Werbung

Ferdinand von Schirachs "Strafe": Wenn RTL ein Arthouse-Kino eröffnet

Einzelgänger Ascher (Olli Dittrich) hat ein Haus am See geerbt, in das er gerade eingezogen ist. Doch die Nachbarn respektieren sein ausgeprägtes Ruhebedürfnis nicht. "Das Seehaus" (Regie: Patrick Vollrath) ist eine von sechs verfilmten Kurzgeschichten aus Ferdinand von Schirachs 2018 erschienenen Erzählband "Strafe", RTL+ zeigt sie ab 28. Juni.     (Bild:  RTL / Moovie / Luis Zeno Kuhn)

Ferdinand von Schirachs Erzählband "Strafe" von 2018 enthält zwölf unglaubliche Geschichten über menschliche Verwerfungen im Spiegel von Recht und Gerechtigkeit. Nun hat der Streamingdienst RTL+ sechs renommierten deutschen Filmschaffenden ein Freispiel ambitionierter Adaptionen finanziert.

Ferdinand von Schirachs Romane, Erzählbände und Bühnenstücke sind nicht nur in der Lesevariante ein Hit, respektive ein Bestseller. Auch die Verfilmungen sorgen für Aufsehen und meist starke Quoten. Oliver Berben, der mit seiner Produktionsfirma Moovie fast schon eine Art Abo auf von Schirach-Stoffe besitzt, machte 2013 mit "Verbrechen" beim ZDF den Anfang: Eine starke Miniserie mit Moritz Bleibtreu als die Fälle verbindender Anwalt, die den bald einsetzenden Boom ambitionierter deutscher Qualitätsserien schon ein wenig vorwegnahm. Neun Jahre später zieht der Name von Schirach immer noch und was der Streamingdienst RTL+ nun mit der 2018 erschienenen Kurzgeschichtensammlung "Strafe" anstellt, lässt alte von Schirach-Inszenierungen fast so mainstreamig aussehen wie vielleicht "Das Traumschiff".

Sechs renommierten Filmschaffenden aus Deutschland gab der "Sender" komplette künstlerische Freiheit bei der filmischen Adaption einer von zwölf Kurzgeschichten des Erzählbandes "Strafe". Darin wird in sprachlich radikal verknappter Form, eben von Schirach-typisch, von menschlichen Verwerfungen im Spiegel von Recht und Gerechtigkeit erzählt.

"Das Seehaus" (Regie: Patrick Vollrath) begleitet den Einzelgänger Ascher (Olli Dittrich), der ein wunderschönes Haus am See geerbt hat, aber nicht glücklich wird, weil die Nachbarn sein ausgeprägtes Ruhebedürfnis nicht akzeptieren. Oliver Hirschbiegels "Der Taucher" berichtet im Rückblick von einer Paarbeziehung. Claudia (Katharina Hauter) und Andreas (Jan Krauter) waren einst glücklich, doch nun scheint über der oberbayerisch-dörflichen Gegenwart ihrer Ehe eine seltsame Apathie zu liegen. "Ein hellblauer Tag" von David Wnendt erzählt das knallharte Porträt einer Verliererin: "M." (Jule Böwe) sitzt im Knast und erlebt ein unfassbares Martyrium.

Rückblick auf eine Paarbeziehung: Claudia (Katharina Hauter) und Andreas (Jan Krauter) werden in Oliver Hirschbiegels Verfilmung von "Der Taucher" als einst glückliches Paar gezeigt, über das in der oberbayerisch-dörflichen Gegenwart ihrer Ehe eine seltsame Apathie zu liegen scheint.
 (Bild:  RTL / Moovie / Luis Zeno Kuhn)
Rückblick auf eine Paarbeziehung: Claudia (Katharina Hauter) und Andreas (Jan Krauter) werden in Oliver Hirschbiegels Verfilmung von "Der Taucher" als einst glückliches Paar gezeigt, über das in der oberbayerisch-dörflichen Gegenwart ihrer Ehe eine seltsame Apathie zu liegen scheint. (Bild: RTL / Moovie / Luis Zeno Kuhn)

Wer "Bachelor" sucht und "Strafe" findet

"Die Schöffin" stellt mit Katharina (Elisabeth Hofmann) eine intelligente, erfolgreiche und taffe Frau in den Mittelpunkt, die sich eher widerwillig zur Schöffin berufen lässt. Im neuen Amt widerfährt ihr jedoch etwas, das ihr Leben verändert. Regie bei diesem vielleicht überraschendsten der sechs Kurzfilme von etwa einer Stunde Spieldauer führte Mia Spengler, die unlängst einen Hamburger "Tatort" über radikale Feministinnen drehte.

Im vielleicht beeindruckendsten der sechs Werke lernt man Jung-Anwältin Seyma (Ebru "Ebow" Düzgün) kennen, die in "Subotnik" (Regie: Helene Hegemann) einen Mann verteidigt, der einer Frau offenbar schwere Gewalt angetan hat. Während ihres ersten Prozesses für eine Edel-Kanzlei erkennt die Anwältin mit Migrationshintergrund, dass sie dem Opfer sehr viel näher steht als ihrem Mandanten. Schließlich bekommt man in "Der Dorn" (Regie: Hüseyin Tabak) mehrere Jahrzehnte im Leben des Einzelgängers Herrn Feldmayer (Hans Löw) aufgetischt, dessen monotoner Job als Museumswächter ihn einerseits seltsame Talente und Beschäftigungen entwickeln lässt, ihn aber andererseits auch ein wenig wunderlich macht.

Alle sechs Filme sind künstlerisch bemerkenswerte Einzelstücke, die sich als Anthologie-Serie einer Gesamtbewertung ein Stück weit entziehen. Die radikalen Gewaltbilder und das quälende Leid der Figuren in "Ein himmelblauer Tag" oder "Subotnik" mögen für manch Zusehende ähnlich schwer zu ertragen sein, wie die bleierne atmosphärische Schwere von "Der Taucher" oder die psychotischen Momente in "Der Dorn". Und selbst mit Olli Dittrich gibt's diesmal nichts zu lachen, denn sein Herr Ascher in "Das Seehaus" hat wenig bis nichts mit der "Dittsche"-Impro aus einem Hamburger Imbiss zu tun. Allerdings bleiben diese Filme auch stärker in Kopf und Seele hängen, als die stets klugen, aber eben auch geschmeidiger "flutschenden" von Schirach-Adaptionen, die Berben bisher für andere Sender und Verwertungswege realisieren ließ.

Normalerweise bekommt man die für RTL+ produzierten Programme mit etwas zeitlichem Abstand auch im Free-TV der RTL-Gruppe zu sehen. Beim starken, aber radikalkünstlerischen Projekt "Strafe" kann man sich das irgendwie schlecht vorstellen. Sollten sich Fans von Programmen wie "Der Bachelor" zufällig beim Zappen in einen der sechs "Strafe"-Filme verirren, müssen sie davon ausgehen, dass gerade die Welt untergeht. Nichts weniger als das.

In "Der Dorn" erzählt Regisseur Hüseyin Tabak mehrere Jahrzehnte im Leben des Einzelgängers Herrn Feldmayer (Hans Löw). Dessen monotoner Job als Museumswächter lässt ihn einerseits seltsame Talente und Beschäftigungen entwickeln, er macht ihn andererseits aber auch ein wenig wunderlich. (Bild: RTL / Moovie / Luis Zeno Kuhn)
In "Der Dorn" erzählt Regisseur Hüseyin Tabak mehrere Jahrzehnte im Leben des Einzelgängers Herrn Feldmayer (Hans Löw). Dessen monotoner Job als Museumswächter lässt ihn einerseits seltsame Talente und Beschäftigungen entwickeln, er macht ihn andererseits aber auch ein wenig wunderlich. (Bild: RTL / Moovie / Luis Zeno Kuhn)