Arzt erklärt Cushing-Syndrom - Wann hinter einem geschwollenen Gesicht eine ernste Krankheit steckt
Influencer warnen derzeit auf diversen Sozialen Plattformen vor dem Stresshormon Cortisol. Es soll verantwortlich sein für runde und aufgedunsene Gesichter. Die einfache Lösung: Anti-Stress-Tipps. Dabei steckt hinter einem „Cortisol-Gesicht“ kein Stress, sondern eine ernstzunehmende Erkrankung.
In kurzen Videos erklären Lifestyle-Influencer auf TikTok, wie negativ sich das Stresshormon Cortisol auf die äußere Erscheinung auswirken kann. Neben ausdünnenden Haaren und Pickeln wird immer wieder auch das sogenannte „Cortisol-Gesicht“ genannt. Das Hormon, welches der Körper bei Stress vermehrt ausschüttet, lasse das Gesicht rund und geschwollen aussehen, so die Diagnose der Laien. Eine Cortisol-senkende Routine soll Stress reduzieren und gleichzeitig für ein schmaleres Gesicht sorgen.
„Das ist Unsinn“, erklärt Martin Reincke, Endokrinologe und Direktor der medizinischen Klinik und Poliklinik an der LMU München, gegenüber FOCUS online. Zwar könne ein enorm hoher Cortisol-Spiegel durchaus zu Fettablagerungen im Gesicht führen. Dafür müsse der Cortisol-Spiegel allerdings enorm hoch sein. Allein durch Stress, selbst wenn er chronisch ist, kommen so hohe Werte nicht zustande. Fettablagerungen, die nicht auf Übergewicht, sondern auf zu viel Cortisol zurückgehen, entstehen nur durch eine krankhafte Überproduktion des Hormons im Körper.
Das Stresshormon: ein wichtiger Mechanismus unseres Körpers
Dass wir von Zeit zu Zeit einen erhöhten Cortisol-Spiegel haben ist vollkommen normal. Ein Anstieg des Stresshormons ist die natürliche Reaktion unseres Körpers auf äußere Stressoren und aktiviert Stoffwechselvorgänge. Es wird in der Nebenniere gebildet und mobilisiert gespeicherte Energiereserven, lässt den Blutzuckerspiegel steigen und beschleunigt Atem und Herz. So war und ist der Körper in der Lage, belastende Situationen zu überstehen. Unsere Gesichtsform beeinflusst das aber nicht.
In vormodernen Zeiten wurde Coritsol vor allem in bedrohlichen Situationen wie Hunger, Kälte oder Gefahr ausgestoßen. Heute sind wir deutlich mehr Stressoren ausgesetzt - Leistungsgesellschaft, Schichtarbeit, Termindruck, ständige Erreichbarkeit - was zu chronischem Stress und einem dauerhaft erhöhten Cortisol-Spiegel führen kann. „Darauf ist unser Organismus viel weniger vorbereitet“, sagt Reincke.
Dennoch: Ein geschwollenes „Cortisol-Gesicht“ bekommt man davon nicht. „Es wäre ja super, wenn wir Schwankungen unseres Cortisol-Levels in unserem Gesicht ablesen könnten“, so Reincke. Aber auch Patienten, die unter langanhaltendem chronischen Stress litten, zeigten kein aufgedunsenes oder dickes Gesicht als Symptom, betont der Arzt.
„Cortisol-Gesicht“ - Hinweis auf seltene Erkrankung
Was stattdessen hinter einem krankhaft geschwollenen Gesicht stecken kann: eine überaktive Nebenniere. „Wir kennen dieses ,Cortisol-Gesicht' als krankhafte Form einer überaktiven Nebenniere.“ Dann produziert der Körper tatsächlich so viel Cortisol, dass es zum sogenannten Cushing-Syndrom und in Folge zu sichtbaren Veränderungen im Gesicht kommt.
Verantwortlich für diesen „Hyperkortisolismus“ kann ein Tumor an der Hyophyse oder der Nebennierenrinde sein. Das tumorbedingte Cushing-Syndrom tritt äußerst selten auf. Laut des Universitätsspitals Zürich gibt es nur etwa zwei bis fünf Fälle je eine Millionen Einwohner. Dabei sind vermehrt Frauen zwischen 30 und 50 Jahren betroffen.
In anderen Fällen können auch bestimmte Medikamente mit dem Inhaltsstoff Kortison für starke Schwellungen im Gesicht verantwortlich sein.
Extrem hoher Cortisol-Spiegel verändert nicht nur Gesichtszüge
Da Cortisol an vielen Funktionen des Körpers beteiligt ist, zeigt sich eine starke Überproduktion nicht nur an Fettablagerungen in den Wangen. Andere Symptome können sein:
Fettablagerungen an Oberkörper, Bauch und Hüfte sowie am Nacken
dünne Arme und Beine, bedingt durch eine Muskelschwäche
Bluthochdruck
ausbleibende Monatsblutung
erhöhte Cholesterinwerte
Muskelschwäche und verminderte Knochendichte, was zu vermehrten Brüchen führen kann
Frauen wachsen Haare an für Männer typischen Stellen: Oberlippe, Kinn, Brust
Rundes Gesicht durch Gewichtszunahme
Obwohl sich andauernder Stress und ein dadurch erhöhter Cortisol-Spiegel nicht direkt in einem geschwollenen Gesicht äußern, belastet er trotzdem den Körper. Und kann durchaus zu sichtbaren Veränderungen führen, wie der Experte erklärt: Betroffene sehen dann aber nicht aufgedunsen, sondern eher kraftlos und müde aus.
Weil Stress auch einen ungesunden Lebensstil und eine damit verbundene Gewichtszunahme bedingen kann, kann stressbedingt durchaus ein rundliches Gesicht entstehen - allerdings immer in Verbindung mit einer Zunahme an weiteren Körperstellen, stellt der Mediziner klar. Dünne Arme und Beine sind hierfür eher untypisch.