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Kommentar: Empörung über Neubauer - so nicht

Luisa Neubauer, Fridays-for-Future-Aktivistin, fragt, welches wirtschaftliche Wachstum man sich leisten könne. Gleichzeitig trägt sie teure Kopfhörer. Viele Menschen empören sich daraufhin - und machen es sich damit zu leicht.

Luisa Neubauer (Mitte) und links daneben Greta Thunberg im Dezember bei der Weltklimakonferenz. Foto: AP Photo / Paul White
Luisa Neubauer (Mitte) und links daneben Greta Thunberg im Dezember bei der Weltklimakonferenz. Foto: AP Photo / Paul White

Ein Kommentar von Johannes Giesler.

Luisa Neubauer, Fridays-for-Future-Aktivistin, hat auf Instagram eine Story veröffentlicht. Darin fragt sie „offen in die Runde, ob wir nicht differenziert über Wachstum nachdenken könnten“? Sie möchte wissen, „welche Art von Wachstum können wir uns eigentlich leisten“ und „müssen wir jetzt allen Leuten moralisierend auferlegen, sie mögen doch bitte einkaufen zur Rettung der deutschen Wirtschaft?“.

Während des etwa 30-sekündigen Videos, das Neubauer im Selfie-Modus aufgenommen hat, sind in ihren Ohren schnurlose weiße Kopfhörer zu sehen – vielleicht sind es „AirPods“ von Apple. Die kosten neu zwischen 180 und 280 Euro. Solche (oder ähnliche) Kopfhörer zu besitzen und Fragen über Konsum zu stellen, ist offensichtlich nicht möglich. Denn auf ihre Story folgte keine Konsum-Debatte, sondern Empörung und der Vorwurf der Doppelmoral.

„So ein dummes Kind“

Auf Twitter etwa, dort hat die Nutzerin „Maxima“ Neubauers Story geteilt, wurde das Video bis Freitag rund 150.000 Mal angeklickt. Die Kommentare darunter handeln nicht von Wachstum – viele sind stattdessen beleidigend oder anklagend. Da heißt es: „Sorry aber mir geht bei der Tussi einfach das Messer in der Tasche auf. Wenn so ein dümmliches Gör versucht differenziert über Konsum nachzudenken.“ Oder: „Über ihr geistiges Wachstum würde ich mich freuen.“ Und: „So ein dummes Kind. Bekommt alles von den reichen Eltern bezahlt.“

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An dieser Stelle soll es nun nicht weiter um Luisa Neubauer, Fridays for Future, die Twitter-Netiquette oder das Anreizsystem sozialer Medien gehen, das besonders emotionale und damit polarisierende Inhalte belohnt. Sondern: Wieso wurde hier nicht die – durchaus berechtigte – Frage diskutiert, wie Konsum stattfinden kann oder sich ändern muss, in einer Zeit, in der einerseits die Wirtschaft von einer weltweiten Pandemie angeschlagen ist, andererseits aber die Auswirkungen des Klimawandels drohen, immer mehr Menschen die Lebensgrundlage zu nehmen? Stattdessen empören sich viele Menschen über eine Frau, die teure Kopfhörer trägt?

Wut bei politischen Gegnern fördert den eigenen Zusammenhalt

Einen Erklärungsansatz dafür liefert Sascha Lobo mit der sogenannten „Empörungslust“ – diesen Begriff hat er einmal in seiner Spiegel-Kolumne benutzt. Dazu schrieb er: „Gegenruhm durch Empörungslust bedeutet, soziale Anerkennung nicht durch Lobpreisung der eigenen Anhänger zu bekommen, sondern durch wütenden Widerspruch der Gegner. Früher hätte der Volksmund gesagt: ‚Viel Feind, viel Ehr‘ oder ‚Ein gemeinsamer Gegner verbindet.‘“ Laut Lobo wählen, vor allem in sozialen Medien, viele Menschen ihre Äußerungen nicht nach Faktenlage aus, sondern nach dem Aufregungspotenzial bei politischen Gegnern. Die Empörung der Gegnerschaft fungiere sozusagen als soziales Bindemittel der eigenen Gemeinschaft.

Deshalb werden Ideen oder Vorschläge von Menschen, die nicht zur „eigenen Gemeinschaft“ gehören, gar nicht erst als diskussionswürdig erachtet – sondern aggressiv verurteilt.

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Menschen Fehler zugestehen

Dazu kommt, dass Luisa Neubauer in der Öffentlichkeit oft stellvertretend steht für Fridays for Future – sie ist eine Vorreiterin und Initiatorin der Bewegung in Deutschland. Diese Rolle kann dazu führen, dass Klimaschutz als allgemeingültiges Attribut für ihre Person angesehen und ihr Verhalten stets daran gemessen wird. Ihr werden deshalb keine Grautöne zugestanden: absoluter Klimaschutz, kein Plastik, keine Flugreise. Sonst ist sie unglaubwürdig.

Die Journalistin Kübra Gümüşay hat für solche Stellvertreter und Stellvertreterinnen einer Kategorie in ihrem Buch „Sprache und Sein“ ein Wort etabliert: „Benannte“. Diese „Benannten“ werden nicht als facettenreiche Individuen, also normale Menschen, zu denen Ecken und Kanten und Makel und Komplexität gehören, wahrgenommen. Ihr Handeln wird stattdessen immer in Relation zu ihrer Kategorie gesehen – beispielsweise als „alter weißer Mann“, „Ostdeutscher“ oder eben „Fridays for Future“-Aktivistin.

Menschen könnten aber nicht durch eine Kategorie erklärt werden, sagt Gümüşay. Sie plädiert deshalb, dass Menschen wieder lernen müssten, mit der Vielschichtigkeit anderer umzugehen. Dazu gehöre auch, einander Raum für Fehler zuzugestehen.

Ob es nun ein Fehler ist, ein Widerspruch oder nichts davon, „AirPods“ zu tragen und gleichzeitig Fragen über zukünftigen Konsum stellen zu wollen – das darf gerne diskutiert werden. Aber Beleidigungen und Empörung als Antworten darauf zu geben, bringt nichts.

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Pauschalisieren kränkt immer

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen nennt dieses Verhalten „Diskurs-Verwilderung“, er beschäftigt sich damit seit Jahren. Zuletzt hat er dazu das Buch „Die Kunst des Miteinander-Redens“ veröffentlicht und unterbreitet darin einige Vorschläge gegen die ständige Empörung.

Im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk sagt Pörksen, worum es dabei für ihn geht: „Dem anderen mit einem Minimum an Wertschätzung zu begegnen. Positionen und Personen voneinander zu unterscheiden. Also nicht von einer Auffassung, die einem massiv kritikwürdig erscheint, auf den ganzen Menschen zu schließen und zu sagen: Dieser ist nun eben der typische weiße, alte Mann oder die frustrierte Feministin oder der hysterische oder vom Leben geschlagene Ostdeutsche. Diese Form der Verallgemeinerung, diese Form des Pauschalismus, kränkt unter allen Umständen. Und wer ein Gespräch ruinieren will, der betreibt genau diese Form der Kränkung.“

Für eine gelingende Kommunikation, schließt Pörksen, brauche es vor allem Zeit, Kontexte, ein Sich-Einlassen, ein wirkliches Zuhören und Unterbrechungsfreiheit. Vielleicht wäre die Diskussion zu dem Thema, das Luisa Neubauer in ihrem Instagram-Video anregt, mit diesen Hinweisen konstruktiver verlaufen.

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