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"Filme in Kulissen, das ist Retro-Kacke"

"Gebiete, die Furcht hervorbringen, wo Leute nachts sagen: Da gehe ich nicht durch, da ist irgendwas" - In Berlin, erzählt Regisseur Christian Petzold, vermisse er solche düsteren Orte. Sein neuer Film "Undine" spielt dennoch in der Hauptstadt.

Seit seinem vor 20 Jahren erschienenen Kinodebüt "Die innere Sicherheit" zählt Christian Petzold zu den wichtigsten deutschen Regisseuren der Gegenwart. In fast allen seiner Kinofilme spielte Nina Hoss die Hauptrolle, zuletzt aber fand er mit Paula Beer und Franz Rogowski zwei neue, faszinierende Darsteller. Nach "Transit" (2018) arbeitete das Trio nun auch für "Undine" (Kinostart: 2. Juli) zusammen, eine sehr freie Bearbeitung des alten Mythos um einen Unheil bringenden Wassergeist. Petzolds Film verlegt die Sage ins Berlin von heute und macht aus Undine eine Stadtführerin, die sich gegen den ihr auferlegten Fluch, ihren Freund töten zu müssen, zur Wehr setzt. Am Rande der Berlinale, wo "Undine" im Februar Premiere feierte, spracht Petzold über seine Hauptdarsteller, über die Faszination des Wassers und über die deutsche Bundeshauptstadt. "Berlin liebt man nicht", sagt er.

teleschau: Herr Petzold, Ihr neuer Film basiert auf dem Mythos des Wassergeists Undine. Was verbinden Sie mit dem Element Wasser?

Petzold: Es gibt einen Filmsatz, den ich hasse: Ich will nochmal das Meer sehen. Ich verstehe aber, dass Menschen das Meer sehen wollen. In meinem Film "Die innere Sicherheit" gibt es eine kleine "Moby Dick"-Szene: Darin sagt ein Verleger, dass Menschen, immer wenn sie nicht mehr weiter wissen, an ein Gewässer gehen, an einen Fluss, einen See oder ans Meer. Das leuchtet mir ein. Das Kino liebt das Meer. Das Wasser ist das Element, aus dem wir kommen und in dem wir Trost oder unseren Ursprung suchen. In meinem Film "Toter Mann" kommt die Darstellerin Nina Hoss aus dem Schwimmbad und geht an dem Mann vorbei, den sie verführt, weil sie an seine Unterlagen will. Nina und ich haben damals viel über Nymphen und Sirenen gesprochen, über Heinrich Heine und den Rhein, über Schiffbrüchige, über Odysseus und über Undine. Dieses Thema war immer in meinem Kopf.

teleschau: Wie entwickelten Sie daraus einen Film?

Petzold: Ich hatte schon einmal eine kleine "Undine"-Szene für einen Film geschrieben, der nicht zustande kam. Der enthielt die Szene mit dem zentralen Dialog: "Wenn du mich verlässt, muss ich dich töten." - "Wenn ich in einer halben Stunde zurückkehre, wirst du mich wieder in die Arme nehmen und sagen, dass du mich für immer liebst." - "Wenn du weggehen solltest, musst du sterben." Ich wollte diesen Wischi-Waschi-Liebesgeschichten - "Ich hab' ne andere kennengelernt und mache mal Schluss" oder "Ich hab' nur ein Leben" - diesem Tinder-Zeug und seiner Welt, etwas Rigoroses entgegensetzen.

teleschau: Wie hängen "Undine" und Ihr letzter Film "Transit" zusammen? In beiden Filmen spielen Paula Beer und Franz Rogowski die Hauptrollen ...

Petzold: In "Transit" ist Paula Beer als Marie wahrscheinlich bei einem Schiffsunglück ertrunken, und er, obwohl in größter Gefahr, wartet trotzdem am Hafen, ob sie nicht doch als Schiffbrüchige oder als Tote aus der Unterwelt zurückkommt. Damals habe ich diese beiden Schauspieler und ihre Art, wie sie spielen, gerade erst kennengelernt. Und mit Spielen meine ich Spielen. Sie haben ihre Figuren getanzt. Sie konnten miteinander gehen. Wenn die sich in die Arme nehmen, habe ich nicht das Gefühl, dass die uns brauchen. Wir dürfen sie imaginieren und produzieren etwas, weil wir zuschauen. Die machen keine Werbung für die Liebe.

teleschau: Wie überzeugten Sie die beiden, noch einmal gemeinsam zu drehen?

Petzold: An unserem 25. "Transit"-Drehtag habe mich mit den beiden an einen Tisch gesetzt, und wir verspürten alle drei diese Trauer, weil die Dreharbeiten auf das Ende zugingen. Ich erinnerte mich an die "Undine"-Geschichte und sagte, ich hätte einen neuen Stoff, hatte aber nur diese wenigen Sätze. Aber die habe ich so gut erzählt, dass ich ihre Aufmerksamkeit bekam. Ich improvisierte mit der Schiffbrüchigen Marie, die aus dem Meer kommt, um ihn an Land zu suchen, und der Geschichte dieses Industrietauchers, der ins Wasser geht und eben Marie sucht. So könnte die Liebesgeschichte schlüssig weitergehen.

teleschau: "Transit" ergibt mit seinem Nachfolgefilm "Undine" einen ganz anderen Sinn. Gibt es Stoffe, die Sie nicht anders als mit Beer und Rogowski besetzen würden?

Petzold: Das ist so. Durch die beiden fallen mir die Stoffe erst ein. Ich bin nicht wie andere Regisseure, ich habe keinen Schrank voller Ideen. Ich entwickle meine Ideen, während ich etwas erzähle oder erlebe. Die Art und Weise, wie die beiden bei "Transit" begonnen haben sich zu lieben und diese Liebe sinnlos war, weil sie einen Toten liebt und er eine Lebendige, die einen Toten liebt, ist ja unmöglich. Als ich darüber nachdachte, kam die nächste Geschichte zustande.

"Das Brandenburger Tor? Das ist ja lächerlich."

teleschau: Kennen Sie das von anderen Darstellern?

Petzold: Das war bei Nina Hoss auch so. Ich dachte immer über sie: Das ist eine Königin im Exil. Sie geht so aufrecht, die gehört gar nicht in diese Welt. Wie eine Fremde guckt sie sich alles an und wundert sich: Was mache ich hier und was habt ihr vor? Wie ein Alien, auf gute Art und Weise. Ähnlich wie Jeff Bridges in "Starman": Der kommt auf die Erde und wundert sich über das, was die Menschen hier machen. John Carpenter ließ die Aliens in dem Film im Weltall eine Kapsel entdecken, darin waren die H-Moll-Messe von Bach, Bilder von Picasso und Monet, Hegels Philosophie. Die finden diese Kapsel und denken: Diese Erde ist der Hammer. Starman kommt auf die Erde und sieht, dass das nicht so ist, wie er sich das vorgestellt hat. So ähnlich wie Starman geht Nina Hoss durch ihre Filme. Ihre Figuren können genauso durch die DDR gehen wie durch das postfaschistische Berlin. So konnten wir eine ganze Reihe Filme machen. Das passiert mir gerade auch mit Franz und Paula. Die beiden führen miteinander etwas auf, das über das hinausgeht, was ich mir vorstellen kann.

teleschau: Sie erzählen hier eine Geschichte über mehrere Filme weiter. Das machen Sie nicht zum ersten Mal.

Petzold: Bei Nina Hoss und mir hat das elf Jahre gehalten, sechs Filme und ein Theaterstück. Das ist eine ganze Menge! Wir werden die Arbeit auch sicher irgendwann wieder aufnehmen. Auch die Geschichte mit Paula und Franz geht weiter.

teleschau: "Undine" hält die Stimmung des Films von Anfang bis Ende, eine fühlbare Melancholie, die nicht trieft, aber wahrhaftig ist. Braucht es für diese Melancholie die Großstadt Berlin?

Petzold: Ich lebe in Berlin. Und Berlin liebt man nicht. Das Höchste, was ein Berliner als Lob sagt, ist: Da kann man nicht meckern. Mehr ist nicht drin. Das gefällt mir aber auch. Die Stadt hat Schwierigkeiten damit, Bilder von sich zu produzieren. Paris hat ein Bild, selbst Görlitz hat ein Bild von sich. Und Berlin? Das Brandenburger Tor? Das ist ja lächerlich. Aber: Berlin hat etwas anderes, man kann sich die Liebe zur Stadt erarbeiten, ein Gefühl für die Stadt erarbeiten, auch Hass oder Leidenschaft. Paula Beers Undine ist eine Figur der Romantik, die als Sagen- und Fantasiegestalt in einer Stadt umhergehen muss, die sich ihrer Vergangenheit, ihres Zaubers entledigt.

teleschau: Wo in Berlin nehmen Sie das wahr?

Petzold: Was und wie in Berlin gebaut wird, ist eine Katastrophe. Reine Massenproduktion. Da sitzen Leute an Schaltstellen, die kein Gefühl dafür haben, dass eine Stadt auch wachsen muss, dass eine Stadt organisch ist. Man kann hier nicht nur Wohnhäuser im Retro-Style bauen. Undine ist eine Figur, die Brüche braucht, Sumpfgebiete. Gebiete, die Furcht hervorbringen, wo Leute nachts sagen: Da gehe ich nicht durch, da ist irgendwas. Hunde, die ein Stück meiden, weil sie das spüren. Solche Geheimnisse und solchen Zauber brauchte eine Stadt. Auch Brachflächen, Unbebautes und Ruinen, Verfallenes. All das wird in Berlin gerade weggeschoben. Damit wird Undines Lebensraum zerstört. Über diese Zerstörung des Zaubers kann Undine im Film als Stadthistorikerin berichten. Franz und Paula schaffen es im Film aber, Orte wieder zu verzaubern. Ein Airbnb-Apartment mit fürchterlichen Geräuschen und Ausblicken wird plötzlich schön. Als würde das Apartment wie ein Eimer unter Wasser gesetzt und die beiden darin schwimmen.

teleschau: Braucht es auch dafür das Kino?

Petzold: Ich komme aus Düsseldorf, wie die Band Kraftwerk. Die haben einen Song namens "Neonlicht". Darin singen sie "Wenn die Nacht anbricht, ist diese Stadt aus Licht, Neonlicht". Die Schönheit einer Straßenkreuzung im Neonlicht, mit Ampeln, die für sich schalten, erinnert an Gemälde von Edward Hopper. Auch die Bilder von Antonioni über Turin und Mailand schaffen es, die Städte wieder zu bezaubern. Das ist, was das Kino macht. Sobald das Kino nur noch Filme in Kulissen macht, ist das Retro-Kacke.