Finanz-Profi Lars Erichsen - Von Rezession bis Carry-Trade: Wie sicher Geld an der Börse noch ist

Mehrere Unsicherheitsfaktoren beeinflussen den Aktienmarkt derzeit negativ.<span class="copyright">Getty Images/iStockphoto/traviswolfe</span>
Mehrere Unsicherheitsfaktoren beeinflussen den Aktienmarkt derzeit negativ.Getty Images/iStockphoto/traviswolfe

In turbulenten Zeiten suchen Anleger nach Orientierung. Börsen-Spezialist Lars Erichsen analysiert die aktuellen Unsicherheitsfaktoren und gibt Ausblick auf die möglichen Entwicklungen an den globalen Märkten.

Was sind die Hauptfaktoren, die aktuell die Kurse an den Börsen beeinflussen und wie könnten sich diese in den kommenden Wochen entwickeln?

Mehrere Unsicherheitsfaktoren beeinflussen den Aktienmarkt derzeit negativ. Der amerikanische Arbeitsmarkt entwickelt sich schlechter als erwartet und lässt Sorgen aufkommen, dass sich die Wirtschaft deutlich abkühlen könnte. Die letzten Arbeitsmarktdaten haben dazu geführt, dass ein in der Vergangenheit sehr verlässlicher Rezessions-Indikator, die sogenannte „Sahm-Regel“, jetzt erstmals seit langer Zeit wieder ein Alarm-Signal sendet und auf eine Rezession noch in diesem Jahr hindeutet.

Die wahrscheinlich größte Belastung erfährt der Aktienmarkt allerdings durch einen Effekt, mit dem sich viele Privatanleger kaum beschäftigen: Dem Carry-Trade. Der sogenannte „Carry-Trade“, auch als „Funding-Trade“ bezeichnet, ist eine Anlagestrategie, bei der ein Investor Geld in einer Währung mit niedrigem Zinssatz leiht und es in einer anderen Währung mit höherem Zinssatz anlegt, sowohl in Anleihen als auch Aktien. Der Gewinn entsteht durch die Zinsdifferenz zwischen den beiden Währungen. Diese Strategie ist allerdings nicht ohne Risiko, da Wechselkursänderungen oder plötzliche Zinserhöhungen die Rendite beeinträchtigen können.

Genau dieser Risiko-Fall ist jetzt in Japan eingetreten. Europäische und amerikanische Investoren haben sich den Yen fast zum Nulltarif geliehen und verfügten somit über äußerst günstiges Risikokapital. Durch die Leitzinserhöhung der japanischen Notenbank hat sehr plötzlich eine starke Aufwertung des Yen stattgefunden und durch die erheblichen Währunsgverluste sind die Investoren gezwungen gewesen, diesen Carry-Trade wieder aufzulösen, um weitere Verluste zu vermeiden. Dies hat zu Schockwellen rund um den Globus geführt und auch den japanischen Aktienmarkt erheblich unter druck gesetzt. Der Nikkei fiel phasenweise so heftig wie seit 1987 nicht mehr.

Jeden Faktor für sich betrachtet hätte die Börse vielleicht verkraftet, sämtliche Ereignisse innerhalb weniger Tage zusammengenommen haben aber zu einer Flucht aus Risikowerten geführt, die in den Indizes eine hohe Gewichtung haben. Diese Effekte sollten vorübergehender Natur sein, können aber noch ein paar Tage oder Wochen belastend wirken.

Wie wirkt sich die aktuelle Kriegsangst auf die globalen Märkte aus und welche Szenarien könnten sich daraus ergeben?

Auch wenn es überraschen mag, Krisen und auch Kriege sind, sofern es sich um lokale Konflikte handelt, in der Regel keine Belastung für die Kurse. Zynischerweise kann Krieg die Volkswirtschaft vieler Industrienationen durch Rüstungs- und Infrastrukturausgaben sogar stützen. Solange sich die Konflikte in vorhersehbaren Bahnen bewegen. Droht eine Eskalation wie im Nahen Osten und wird gegenseitig mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht, dann wird diese Kulisse zu einem Belastungsfaktor.

Die Menschheit hat bisher glücklicherweise keinen Atomkrieg erleben müssen, allein die vage Aussicht darauf stellt auch die Börse auf eine Probe, bis es zu einer Deeskalation kommt. Sollten gegen jede Vernunft die eine oder andere Seite atomare Sprengköpfe einsetzen, das muss man in aller Klarheit sagen, dann werden die Notierungen der Aktien in den Keller rauschen. Einzig Rüstungs- und Ölwerte wären gesucht.

Ist der aktuelle Marktabschwung eine Nachkaufgelegenheit oder der Beginn einer Rezession? Wie können Anleger diese Situation am besten bewerten?

Claudia Sahm selbst, die „Erschafferin“ der Sahm-Regel, warnt vor einer Überbewertung der aktuellen Datenlage. Eine Rezession ist alles andere als in Stein gemeißelt. Selbst wenn es zur einer Rezession käme möchte ich darauf hinweisen, dass der Kauf von Aktien und ETFs inmitten dieser Rezession in der Vergangenheit den perfekten Einstiegskurs dargestellt hat. Es muss also eigentlich nicht heißen „Kaufen in der Krise“, sondern konkreter „Kaufen in der Rezession“.

Diese Strategie hatte in der Vergangenheit eine extrem hohe Erfolgswahrscheinlichkeit. Zwar kann niemand exakt die Dauer einer Rezession vorhersehen, aber die aktuellen Vorzeichen sprechen weder für einen lang anhaltenden wirtschaftlichen Abschwung noch für einen Bärenmarkt an der Börse.

Aus Sicht von einigen Wochen oder wenigen Monaten darf man eine Fortsetzung der Korrektur nicht ausschließen, für langfristige Anleger stellen solche Bewegungen sehr gute Chancen nach. Dabei gilt übrigens, nicht unbedingt die Aktien zu kaufen, die am stärksten gefallen sind, sondern sich auf langfristige Qualität zu konzentrieren. Wer ohne Stress auf den Sachwert Aktie setzen möchte, der ist mit Index-ETFs gut bedient.

Wie könnten die Fed und EZB auf die aktuelle Situation reagieren und welche Auswirkungen könnten ihre Maßnahmen auf die globalen Märkte haben?

Der prominente Finanzprofessor Jeremy Siegel hat die FED aufgefordert, auf die aktuellen Ereignisse sofort mit einer großen Zinssenkung von 75 Basispunkten zu reagieren. Obgleich ich so einen Schritt nicht ausschließen kann, hielte ich ihn für verfrüht. Welches Signal würde eine Notenbank senden, die sich zu einer Notfall-Zinssenkung hinreißen ließe, wenn der marktbreite Index gerade mal um 10 Prozent vom Allzeithoch korrigiert? Der Markt würde darauf schließen, die Notenbanker sähen potentiell große Gefahren auf die Wirtschaft zukommen und vermutlich eher negativ reagieren.

Bereits jetzt wird eingepreist, dass zumindest die FED in diesem Jahr noch zweimal aktiv wird, frühestens am September, mit zwei Zinsschritten in Höhe von 50 Basispunkten. Ein paar beruhigende Worte von Jerome Powell und Christine Lagarde, Chefin der EZB, werden nicht lange auf sich warten lassen, aber mehr wäre überraschend. Derartige Ereignisse sollten niemanden beunruhigen. Hoch bewertete Aktien fallen, wenn die Stimmung sich verschlechtert, das ist kein neues Phänomen.

Zu hoffen, dass Aktien jedes Jahr 40 Prozent Rendite liefern ist vermessen. Mit einem diversifizierten Portfolio schläft es sich besser, das war nie anders. Die Geldentwertung, sowohl durch Verbraucherpreis- als auch Vermögenspreisinflation, wird sich absehbar nicht verlangsamen. Der Sachwert Aktie bietet dagegen langfristig einen hervorragenden Schutz.