Firmen können 1,3 Millionen Stellen nicht besetzen – darum bleiben Arbeitskräfte trotz der miesen Wirtschaftslage knapp
Deutschland ist ein geteiltes Land – zumindest gilt das beim Blick auf Unternehmen und Arbeitsmarkt. Auf der einen Seite die Wirtschaftskrise: das Land taumelt am Rande der Rezession. Die Meldungen von Unternehmen, die Personal abbauen, reißen nicht ab. Beispielhaft stehen dafür Industrie-Ikonen wie Volkswagen, Thyssen oder Bosch.
Doch auf der anderen Seite suchen tausende Firmen händeringend Personal. Im dritten Quartal konnten sie 1,28 Millionen offene Stellen nicht besetzen, weil sie keine geeigneten Kandidaten fanden. Das ergab eine Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Der Personalmangel bremst ihr Wachstum, verzögert das Abarbeiten von Aufträgen, verschlechtert die Versorgung der Menschen und den Ausbau der Infrastruktur.
Eigentlich müsste angesichts der deutschen Dauerkrise die Arbeitslosigkeit stark steigen. In geringem Maße tut sie das auch. Im November waren 2,77 Millionen Menschen arbeitslos. Das waren rund 168.000 mehr als vor einem Jahr. Auch die in der IAB-Erhebung genannte Zahl der offenen Stellen geht seit ihrem Rekord bei über zwei Millionen Anfang 2023 stetig zurück – jetzt sieben Quartale in Folge.
Es fehlt Arbeit – und doch fehlen auch Arbeitskräfte
Dennoch ist der Arbeitsmarkt viel stabiler als in früheren Krisen. Dennoch wundern sich viele Firmen, warum sie einfach keine Leute finden. Ein Grund ist die demografische Entwicklung und der daraus folgende grundlegende Mangel an Arbeitskräften. Er lähmt selbst in der Flaute viele Firmen zusätzlich und drückt die Wirtschaft noch tiefer nach unten. Unter der Oberfläche der flauen Konjunktur wächst der Druck des demografischen Wandels sogar. Deutschlands Bevölkerung altert, die Zahl der Menschen im Erwerbsalter schrumpft. Und beides geht nun sehr schnell.
Die Babyboomer hinterlassen eine große Lücke
Jetzt wird es kritisch. In den nächsten Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in den Ruhestand. Jahr für Jahr scheiden dann hunderttausende Beschäftigte mehr aus dem Arbeitsleben aus, als junge Menschen in den Beruf nachrücke. Das Problem ist bekannt. Bevölkerungsprognosen lassen sich präzise erstellen. Doch die Gesellschaft stellt sich erst langsam darauf ein.
Das liegt auch daran, dass der Zustrom an Geflüchteten zuletzt aus der Ukraine die Bevölkerung in Deutschland noch einmal hat wachsen lassen. Das hilft der Beschäftigung und der Wirtschaftskraft kurz. Doch es war nur eine Atempause im demografischen Abwärtstrend.
Immerhin versucht die Politik, gegenzusteuern. Alle Parteien der Mitte wollen Anreize für ältere Beschäftigte schaffen, länger im Beruf zu bleiben. Die Ampel wollte Bedingungen verbessern, die es Eltern, vor allem Müttern, erleichtern, häufiger Vollzeit und nicht Teilzeit zu arbeiten. Sie versuchte, Geflüchtete früher in Arbeit zu bringen.
Das mag den demografischen Effekt mildern. Am Ende aber braucht Deutschland mehr Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, um seine Wachstumskraft und seinen Wohlstand zu halten. Um die Arbeitskräftelücke zu füllen, müssten jährlich etwa 400.000 bis 500.000 Menschen aus den Ausland in Deutschland Job annehmen, errechnen Experten.
„Uns fehlen die Köpfe“: Besonders Ostdeutschland braucht Zuwanderung
Besonders stark trifft die Entwicklung Ostdeutschland - wo die Wirtschaft übrigens auch in diesem Jahr wächst, während sie im Westen schrumpft. Doch das kleine Wirtschaftswunder ist in Gefahr. Im Osten ist die Bevölkerung noch älter als im Westen. Die Erwerbsquote bei Frauen ist bereits hoch. Im nur wenigen Jahren sinkt die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter in Ostdeutschland um 20 Prozent, sagt Ifo-Forscher Robert Lehmann. „Uns fehlen die Köpfe. Das ist die größte Gefahr für die wirtschaftliche Zukunft des Ostens".
In Deutschland lähmt die Demografie die Wachstumskraft. Um mit weniger Menschen auch nur die gleiche Wirtschaftsleistung zu erzielen, müssten diese Menschen entweder mehr arbeiten oder ihre Produktivität müsste steigen. Doch die Produktivität geht sogar zurück. In Deutschland wird zu wenig investiert. Auch dabei spielt laut Ifo-Ökonom Wollmershäuser die Alterung eine Rolle. Unternehmen würden das Geschäft aufgeben, weil Nachfolger fehlen. Anderer fragten sich, wer denn künftig an den Maschinen stehen soll, in die sie jetzt investieren würden.
„Wir steuern auf eine Situation zu, dass die deutsche Wirtschaft überhaupt nur noch um 0,5 Prozent wachsen kann" – selbst bei Vollauslastung in konjunkturell starken Zeiten, warnt Wollmershäuser. Ein wichtiger Faktor für diese schwindende Wachstumskraft ist der zunehmende Mangel an Arbeitskräften.