FOCUS-Briefing von Thomas Tuma - Das Friedrich-Merz-Dilemma: Wie grün kann der Unions-Kanzlerkandidat werden?
Erinnern Sie sich an den Moment, als die CDU 2021 die Bundestagswahl verlor? Gut, es gab damals viele solcher Momente, vor allem die endlosen Sticheleien von CSU-Chef Markus Söder. Der ließ keine Gelegenheit aus, den eigenen Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet zu umspötteln. Subtext: Der kann’s eh nicht. Aber dann kam der 17. Juli. Und Laschet erledigte sich der Einfachheit halber mit Karacho gleich selbst.
Es geschah am Rande eines Festakts für die Ahrtal-Flutopfer. Vorne hielt der Bundespräsident eine Rede. Weit hinten in der Kulisse stand Laschet – und lachte aus nichtigem Anlass kurz. Seit dem Schnappschuss war er erledigt und die Union samt aller Regierungshoffnungen gleich mit. Ein Kasperle als Kanzler ging halt nicht.
Nun ist Friedrich Merz dran. Und auch bei dem warten manche seit seiner Kanzlerkandidatur sehnsüchtig auf einen Laschet-Moment.
Merz ist verdächtig: Er hat neben der Politik sogar mal richtig gearbeitet, u.a. für Blackrock, den größten Vermögensverwalter der Welt. Außerdem fliegt der 69-Jährige privat eine kleine Propellermaschine. Und er lebt im Sauerland. Ein weißer alter Mann aus der Provinz also, mit Geld und Fossil-Freuden – für gewisse Teile des urbanen Akademikerpublikums ist das als Feindbild völlig ausreichend. Der Moment von Merz‘ Selbstzerstörung schien am vergangenen Wochenende gekommen zu sein.
Bei der „Ein Herz für Kinder“-Gala wurden auch Politiker um Spenden gebeten. Etwas linkisch knüpfte Merz seine Zusage erst an Ergebnisse von CDU-Wahlumfragen. Am Ende spendete er 4000 Euro. Aber der Riesen-Aufschrei war schneller: So geldgeil, so herzlos!
Merz wird als Frauenhasser abqualifiziert
Man gab sich alle Mühe, Merz als verkommenen Multimillionär zu beschimpfen wie die Social-Media-Größe Diana zur Löwen, die gleich postete: „Zu geizig für eine Spende für Kinder in Not, aber trotzdem noch immer gegen Abtreibungen.“ Ich vergaß, dass Merz auch gern als Frauenhasser abqualifiziert wird.
Vielleicht habe ich was verpasst. Aber als ich las, dass SPD-Chef Lars Klingbeil am gleichen Abend nur 500 Euro spendete ganz ohne Shitstorm, hörte ich auf, die Empörung verstehen zu wollen. Trotzdem hat die Beliebtheit des Unions-Kanzlerkandidaten Merz zuletzt arg gelitten. Das hat aber nichts mit diesem Charity-Bohei zu tun, sondern damit, dass er sich neuerdings deutlich offener zeigt für Koalitionen mit SPD und gar Grünen.
Grünen für Unions-Basis Triggerpunkt Nummer eins
Die Annäherung mag taktisch begründet sein. Wenn Merz Habeck & Co. von vornherein ausschließt, was Söder lautstark fordert, diktiert die SPD ihm nach der Wahl erst recht die Bedingungen einer Koalition. Andererseits sind die Grünen für die Unions-Basis nun mal Triggerpunkt Nummer eins.
Das Merz-Dilemma: Je mehr er seine Zustimmungswerte ausbauen möchte, umso gefährlicher wird’s für ihn. Laschets Lacher war Pech. Merz‘ Avancen sind dagegen Vorsatz. Mit der Selbstzerstörung sollte er vielleicht nicht gerade in der eigenen Partei anfangen. Klare Kante wäre jetzt von ihm gefragt. Denn das wusste schon die CSU-Legende Franz Josef Strauß: „Everybody's Darling is everybody‘s Depp.“