FOCUS-Briefing von Thomas Tuma - Der Kettensägen-Ökonom: Warum wir mehr Milei bräuchten

Der argentinische Präsident Javier Milei bezeichnet sich selbst als «Anarchokapitalist». (Archivfoto)<span class="copyright">Natacha Pisarenko/AP/dpa</span>
Der argentinische Präsident Javier Milei bezeichnet sich selbst als «Anarchokapitalist». (Archivfoto)Natacha Pisarenko/AP/dpa

Heute vor genau einem Jahr wurde der Ökonom  Javier Milei  argentinischer Präsident. Wenn ich das Gros deutscher Medien richtig interpretiere, ist der 54-Jährige ein radikaler Irrer, der schon zum Frühstück zwei Beamte verspeist und auch sonst ganz schlimm ist für sein eigenes Land und das Weltklima sowieso.

Mein Rat: Man sollte sich bei seiner Beurteilung auf Mileis Wirtschaftspolitik konzentrieren, nicht auf seine Koteletten oder schmiedeeisernen Manieren. Milei mag  libertär sein, laut und knochenkonservativ . Aber mit seinem Wahlkampf-Accessoire  Kettensäge  illustrierte er immerhin klar, was er vorhatte: den überbordenden Staat stutzen und Argentiniens Hyperinflation auf Normalmaß zurechtschneiden. Dem selbsternannten  „Anarchokapitalisten“  ist das bislang gut gelungen, muss man sagen.

Milei hat hunderte von Regulierungen gestrichen. Den Staatshaushalt hat er zurechtgeschnitten wie andere Leute ihren Buchsbaum vorm Haus: minus 27 Prozent. Renten und Staatsgehälter steigen nicht mehr mit den Preisen.  Die Hälfte seiner 18 Ministerien wurden geschlossen , 30.000 öffentliche Bedienstete entlassen.

 

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Das alles tut weh, klar.  Aktuell bricht die Wirtschaft ein,  die Armut wächst . Für das kommende Jahr prognostiziert der IWF aber schon wieder ein  Wachstum von fünf Prozent . Erstmals seit Jahrzehnten verzeichnet Argentinien einen Haushaltsüberschuss.  Die Börse boomt , und Mileis  Umfragewerte sind stabil bei über 50 Prozent . Viele scheinen schon froh, dass ein Politiker sie wenigstens nicht mehr anlügt, sondern das tut, was versprochen war. Warum also verachten hiesige Medien Milei so? Angst? Neid?

Den Fehler, den viele hierzulande machen: Sie bewerten den Rest der Welt mit deutschen Maßstäben.  Argentinien hat viel größere Probleme als wir , ein Präsident dort also auch größere Aufgaben. Zugleich sind seine Rechte üppiger. Er wird direkt vom Volk gewählt und kann per Dekret dann ziemlich durchregieren. Das würde in Deutschland gar nicht gehen. Umso unbefangener könnte man sich doch fragen, was man trotzdem lernen kann von  Mileis harter Tour .

Wohnungsbau, Arbeitsmarkt, Industrie, Klimaschutz – alles hoffnungslos überreguliert

Deutschland torkelt immerhin ins dritte Rezessionsjahr.  Durch die Bürokratie entgehen der Republik bis zu 146 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung, rechnete das ifo-Institut vor. Pro Jahr. Während bei uns seit fünf Jahren nichts mehr wächst, legten unsere EU-Nachbarn um 4 Prozent zu. Wohnungsbau, Arbeitsmarkt, Industrie, Klimaschutz – alles hoffnungslos überreguliert.

Als der FDP-Vorsitzende Christian Lindner jüngst vorschlug, man müsse  „zumindest ein klein bisschen mehr Milei wagen“ , ging ein Aufschrei der Empörung durchs Land. Ich kann das nicht und zugleich gut verstehen: Vielleicht geht’s uns einfach noch nicht schlecht genug, um uns selbst zu hinterfragen? Lieber verwandeln wir uns allmählich in eine Nation von Schulterzuckern, die nur für andere stets gute Ratschläge parat haben.

Wissen Sie, was so ziemlich das Einzige ist, das während der Ampel-Regierung wuchs?  Die Zahl der Beamten. Um 11.500 Stellen.