FOCUS-Gastbeitrag von Markus Blume - Wir müssen verhindern, dass die Republik schrittweise infiziert wird
Deutschland steckt in der Rezession. Deutschland ist zunehmend geprägt von Frustration. Und Deutschland droht die Isolation. Nach rechts- oder nach linksaußen sind falsche Fragen für eine Nation, die zügig ihren Standpunkt in der Welt klären muss, meint FOCUS-Gastautor Markus Blume.
Die Frage, wie man eine friedliche, plurale, aber nach außen und innen (!) wehrhafte Demokratie aufbaut, beschäftigte die Väter des Grundgesetzes schon vor 75 Jahren. Der Föderalismus sollte das Land immunisieren. Jetzt gilt es zu verhindern, dass die Republik über einzelne Länder schrittweise infiziert wird.
Mit Höcke und Wagenknecht sind die Demagogen zurück in der deutschen Politik
Fest steht nach drei Landtagswahlen, dass zwei Parteien erheblich mobilisiert haben, die beide offensiv mit Ängsten spielen, ungeniert Ressentiments bedienen und zum Teil die Staatsräson in Frage stellen. Mit Höcke und Wagenknecht sind die Demagogen zurück in der deutschen Politik. Rezession und Frustration nutzen sie als Brandbeschleuniger im Kampf gegen das Establishment.
Es ist nicht präzise zu behaupten, die Demokratie sei in Gefahr. Die Demokratie als politisches System von Mehrheit und Minderheit, gefunden in freien, unabhängigen Wahlen, funktioniert. In höchster Gefahr ist die politische Kultur, unsere Art miteinander zu leben, ja unsere Freiheit. Was nicht mehr funktioniert, sind die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse. Warum? Weil keine Einigkeit über das Ziel besteht.
Deutschland ist auf Sinnsuche in verdammt schwierigen Zeiten
Deutschland ist auf Sinnsuche in verdammt schwierigen Zeiten. Die jeweils für sich schon herausfordernde digitale, ökologische und geopolitische Transformation unserer Zeit trifft Deutschland inmitten der eigenen Midlife-Crisis 34 Jahre nach der Wiedervereinigung. „Junge“ Bundesländer werden besonders durchgeschüttelt.
Die Bundesregierung ist längst Sinnbild für die Meinungsdivergenz, die Unversöhnlichkeit und die Orientierungslosigkeit im Land. Anzeichen dafür traten schon während Corona offen zu Tage und die Ampel ist gewiss nicht verantwortlich für den zusätzlichen Zunder aus Krieg und Inflation, doch ihr Agieren war ein Katalysator für die Polarisierung des Landes. Wer kein gemeinsames Verständnis von Ordnung hat, kann ein Land nicht ordnen. Unregierbarkeit ist die direkte Folge von Regierungsunfähigkeit.
Wer und was will Deutschland im nächsten Jahrzehnt sein?
Wir müssen uns bewusst machen, was auf dem Spiel steht. Es geht nicht um eine Wirtschafts- oder eine Flüchtlingskrise – es geht längst um eine staatliche Sinnkrise. Wer und was will Deutschland im nächsten Jahrzehnt sein? Diese Frage müssen wir beantworten, wenn wir wieder einig Vaterland sein wollen.
Die Wissenschaft ist Seismograf für Wandel. Und der ist spürbar: Wir werden immer mehr zum Ausbildungsbetrieb für die Welt, halten aber zu wenig Talente hier. Wir machen aus Ideen Innovationen, scheitern aber an der industriellen Kommerzialisierung. Wir entwickeln modernste Verteidigungstechnik, können uns aber selbst nicht verteidigen. Alles kann man hier studieren, aber technologische Megatrends entstehen im Ausland. Bayern etwa stemmt sich mit Milliardenprogrammen wie der Hightech Agenda dagegen, aber niemand springt uns bei.
Stabile politische Verhältnisse waren immer deutsches Markenzeichen. Geraten sie durch politische Extreme, Verschwörungstheoretiker und Fake News-Konsumenten in Bedrängnis, ist das eine Bedrohung für den Standort Deutschland. Wo die Glaubwürdigkeit von Wahrheit leidet, schwindet die internationale Achtung. Auf Rezession und Frustration folgt dann alsbald Isolation. Welcher ausländische Professor will forschen, wo Remigrationsdebatten Wählerstimmen mobilisieren? Welches Unternehmen will hier investieren, wenn politische Kräfte den planwirtschaftlich verträumten Blick nach Osten richten?
Bundestagswahl wird Richtungswahl
Deutschland muss klären, wer und was es sein will. Und das schnell. Die Bundestagswahl in einem Jahr muss eine Richtungswahl sein. Wollen wir nur Talentschmiede oder auch Produktionsstandort sein? Wollen wir Freilichtmuseum oder Industrienation sein? Wollen wir zaghaft oder wehrhaft sein? Wollen wir unser Schicksal verwalten oder es doch lieber gestalten?
Es ist Zeit für eine große Debatte im Land. Die Kraft der Mitte muss wieder wachsen. Bündnisse, die auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebogen werden, oder auch nur Debatten darüber nähren nur Extreme. Notwendig sind Parteien mit Profil, Persönlichkeiten und Integrationskraft. Es braucht eine starke Union aus CDU und CSU und es ist Zeit für eine neue Union von Bürgerschaft und Politik. Die Idee für das Land muss in den Vordergrund, nicht die Ideologie. Wissenschaft und Kunst dürfen dabei nicht akademisch an der Seitenlinie stehen, sondern müssen in turbulenten Zeiten einen neutralen Beitrag leisten. Ich rufe dazu auf, sich einzumischen. Politik geht jetzt jeden etwas an! Es ist Zeit für eine neue Aufklärung. Wir müssen den Wert von Einigkeit und Recht und Freiheit wieder neu begreifen.
Markus Blume (CSU) ist seit 2008 Mitglied des Bayerischen Landtages. Seit 2022 ist er Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst