FOCUS online in Butler - Am Tatort des Trump-Attentats kursiert jetzt eine unheimliche Theorie

USA-Schilder am Zaun der Butler Farm Show
USA-Schilder am Zaun der Butler Farm Show

Das Attentat auf Donald Trump erschütterte die ganze Welt. Wie geht es den Menschen, die live dabei waren und in dem Ort des Geschehens leben? Welche Folgen hat diese Tat für sie und das ganze Land? Eine Spurensuche in Butler, Pennsylvania - in der neben der Angst auch von einer unheimlichen Theorie die Rede ist.

Niemand kann hin, zu dem Ort, an dem Weltgeschichte geschrieben wurde. Ein weißer Polizeiwagen, das Blaulicht auf dem Dach blinkt, blockiert die Einfahrt zum Gelände der Butler Farm Show. Regungslos sitzt ein Beamter darin, Sonnenbrille, Glatze. Routine. Alltag in Tagen, die eine Nation erschüttert haben. Und möglicherweise Auswirkungen auf die ganze Welt haben werden.

Denn hinter Mr. An-mir-kommt-keiner-vorbei, keine 200 Meter entfernt, stand am 13. Juli Ex-Präsident Donald Trump auf der Bühne, als plötzlich ein 20-Jähriger auf ihn schoss und den republikanischen Politiker am Ohr erwischte. Es könnte der entscheidende Augenblick gewesen sein, der Trump im November bei der Präsidentschaftswahl wieder ins Weiße Haus zurückbefördert.

Im Video: Mitschüler beschreibt den Trump-Attentäter: „War Einzelgänger und wurde gemobbt“

Folgen des Attentats auf Donald Trump

Wer wissen will, welche Auswirkungen, welche Folgen diese Tat auf und für Amerika hat, der ist in Butler genau richtig. Und das nicht nur, weil hier das Attentat verübt wurde. Die Kleinstadt liegt im Bundesstaat Pennsylvania, einem sogenannten Swing State, der wahlentscheidend sein wird. Und diese ländliche Region, die lange vom Stahl und Öl-Geschäft profitierte, steht für so viele Gegenden in den USA, denen der wirtschaftliche Wandel der vergangenen Jahrzehnte viel abverlangt hat, der alte Gewissheiten und Sicherheiten weggespült hat. Es ist Trump-Land, hier hat er bei der letzten Wahl 66 Prozent geholt. Doch was macht dieses Attentat mit Butler, den USA, den Menschen? Eine Suche nach Antworten auf viele Fragen, die am Tatort startet.

1. Station: Butler Farm Show

Das Gelände, auf dem Trumps Wahlkampfveranstaltung stattfand, liegt an einer viel befahrenen Ausfallstraße direkt neben einem kleinen Flughafen. Sie ist umgeben von Zäunen, streng bewacht von Polizei. Noch ist das ganze Areal eine „Federal Crime Scene“, Ermittler vom FBI suchen fieberhaft nach Puzzlestücken in diesem Fall, der die Sicherheitsbehörden so peinlich bloßgestellt hat.

WERBUNG

Eine ganze Region hofft darauf, dass sie sich beeilen. Denn am 5. August soll auf dem Platz das wichtigste Event dieser Gegend nördlich der Großstadt Pittsburgh starten: ein Volksfest, das dem Gelände seinen Namen gab. Fröhlichkeit und Unbeschwertheit sollen dann wieder einkehren in Butler. Doch das wird schwierig.

2. Station: Der schockierte Eisdielen-Manager
Eisdielen-Manager Manny in Butler

Die riesige Eiswaffel vor „Kings Cone Castle“ steht nur einen Steinwurf von dem Show-Gelände entfernt. Innen sind die Wände der Eisdiele mit bunter Graffiti-Kunst besprüht, an rund der Hälfte der Tische sitzen Kinder und Erwachsene und schlecken quietschbuntes Eis, die kleinste Portion für 1,40 Dollar. So war es auch am vergangenen Samstagabend, erzählt Manager Eric Manny.

Er selbst hatte frei, hat sich aber alles haarklein berichten lassen. Ein Kind habe die Trump-Rede auf dem Handy verfolgt und plötzlich gesagt: „Trump ist nicht mehr auf dem Podium.“ Minuten später schon strömten die Trump-Fans vom Gelände und suchten Schutz in der Eisdiele. „Absolut verrückt, was da passiert ist“, sagt Manny. Die Worte sprudeln aus dem 25-Jährigen heraus, der nur einige hundert Meter entfernt aufwuchs. Was ist da bloß an diesem Tag mit seiner Heimat passiert? Eine dunkle Wolke habe sich über Butler gelegt, sagt er, der Anschlag habe die ganze Stadt in einen düsteren Schockzustand versetzt. „Wir werden für immer mit diesem Attentat in Verbindung gebracht werden.“

Manny ist einer der wenigen hier, die sich nicht sofort zu Trump bekennen. Er ordnet sich weder im Lager der Republikaner noch der Demokraten ein. Er macht sich vielmehr Gedanken um die Folgen des 13. Juli für das ganze Land. „Es bringt eine große Unsicherheit nach Amerika, vor allem, weil es in einer Kleinstadt passieren konnte.“ Er sorgt sich, dass die Tat andere inspirieren könnte, dass Extremisten auf beiden Seiten des politischen Spektrums das aufgeheizte Klima noch weiter anheizen. „Es ist so traurig, dass sich unsere Gesellschaft in eine solche Richtung bewegt.“

WERBUNG

Er verliere den Glauben daran, dass sich sein Land in die richtige Richtung entwickle. Von Trump erwartet er sich hier keine positiven Impulse: „Er wird die emotionale Stimmung für seine Zwecke nutzen, dabei hätte er die große Chance, ein Versöhner zu sein.“

An einem der Tische im „Kings Cone Castle“ sitzen drei Frauen, Urgroßmutter, Großmutter und Enkelin und genießen ihr Eis. Sie sind glühende Trump-Fans. Und sie glauben, wie auch viele professionelle politische Beobachter, dass das Attentat dem Ex-Präsidenten helfen wird. „Klar ist, dass Butler noch republikanischer wählen wird“, sagt Urgroßmutter Alexis McEathron, die seit vielen Jahren hier lebt. Und ihre Tochter betet für einen Wahlsieg Trumps. Denn Biden habe das Land wirtschaftlich zugrunde gerichtet. „Wir als Familie müssen wirklich kämpfen, um uns über Wasser zu halten. Es ist hart.“

Es sind Sätze, die zeigen, warum Präsident Joe Biden hier keine Chance hat, egal, was er tut. Denn Tatsache ist, dass die Arbeitslosenquote in Butler seit Jahren rückläufig ist, und mittlerweile unter fünf Prozent liegt. Die Fakten und das Gefühl der Menschen sind weit voneinander entfernt.

3. Station: Die Betenden
Einladung an Gläubige, dahinter das Gelände der Butler Farm Show

Auf der Ostseite grenzt das Farm-Show-Gelände an eine Wohngegend. Großzügige Einfamilienhäuser mit Veranda und großem Garten drumherum. Auf einem Grundstück stehen zwei Partyzelte, darunter ein Dutzend Klappstühle und zwei Tische mit Hot-Dogs und Getränken. Ein Picknick für das Land, ein Hilfeschrei an Gott. „Komm und bete mit uns“ und „Bete für unsere Nation“ haben David Bordy und seine Leute auf Schilder geschrieben und an die Straße gestellt. Den ganzen Tag lang sitzen sie hier vor den Zäunen des Geländes, tief versunken in die Zwiesprache mit Gott.

WERBUNG

Sie glauben, dass nur der Allmächtige das Land jetzt noch retten kann. „Als ein Priester bricht es mir das Herz, dass die politische Stimmung so gespalten ist, dass so ein Attentat passieren kann“, sagt der 39-Jährige, der im Nachbardorf lebt. „Diese Nation ist so polarisiert, die politische Rhetorik ist das Benzin, das das Feuer weiter anheizt.“

Bordy redet viel, ein Priester durch und durch. Natürlich ist für den engagierten evangelikalen Kirchenmann Gott die einzige Lösung, nur er biete ein langfristiges und stabiles Fundament für eine Gesellschaft. Man mag das als frommes Blabla abtun, würde damit jedoch Bordy nicht annähernd gerecht und die Kraft unterschätzen, die der Glaube vor allem in dieser Gegend hat. Nicht umsonst finden sich immer wieder Menschen ein, die spontan anhalten und sich zum Gebet setzen.

Wie Myrleen Manley, 69. Sie ist zwar Mormonin, doch das spielt für sie gerade keine Rolle. Sie hat sich trotzdem die Zeit genommen, um zu beten, für die Opfer, für Trump, für Biden, die Nation. „Wir sind eine so gottesfürchtige Gegend, deshalb ist es so besonders schockierend, dass so etwas bei uns passieren kann.“ Sie hat sogar Mitleid mit dem Schützen, der offenbar ein Außenseiter war und dessen Motiv noch unklar ist. Doch sie hat Hoffnung für ihr geliebtes Land. „Dieses Ereignis wird die Leute enger zusammenbringen.“

Und Priester Bordy, der das Attentat als Zuschauer live erlebte, bringt eine einfache, aber dennoch wichtige Erkenntnis auf den Punkt: „Dieses Attentat hat uns gezeigt, dass wir trotz aller politischen Unterschiede alle Menschen sind, alle Amerikaner.“

4. Station: Die Augenzeugen
Anwohnerin Kuminkosky am Zaun des Geländes. Hinter den Bäumen ist das Firmengebäude, auf dem der Schütze lag

Miridian Road 212, ein zweistöckiges braunes Haus. Der große Garten auf der Rückseite grenzt direkt an das Gelände der Farm Show an. Keiner wohnt näher. Von der Veranda ist die Rückseite der Gebäude zu sehen, vor denen Trump am 13. Juli sprach. Und ein beiges Lagerhaus, keine 300 Meter entfernt. Auf diesem Gebäude der Firma AGR lag der Schütze Thomas Matthew Crooks und drückte ab. Deborah Kuminkosky war dichter dran, als ihr lieb war. Ihrer Schwester gehört das Haus mit der Nummer 212. Am Tattag traf sich dort die ganze Familie. Die Gruppe wollte sich nicht in die Menschenmenge auf dem Gelände stellen, sie wussten ja, dass sie sich am Zaun im Schatten der Bäume aufhalten können und alles mitbekommen würden.

WERBUNG

Tatsächlich stellten sie sich unbewusst direkt unterhalb des Daches auf, auf dem Crooks lag. Ein Mann, der sich als AGR-Angestellter ausgab, wollte Kuminkosky, ihre Angehörigen und dutzend weitere Zaungäste vertreiben, drohte ihnen sogar. Für Kuminkosky unerklärlich; „Warum hat sich der Mann um uns gekümmert? Wir waren harmlos. Warum hat er nicht aufgepasst, dass keine Person mit bösen Absichten auf das Gelände kommt?“ Sie habe nur ein Polizeiauto auf dem ganzen Firmengelände wahrgenommen. Trotzdem habe sie sich sicher gefühlt, schließlich sah sie die Scharfschützen des Secret Service, die sich in Blickrichtung AGR-Gelände positioniert hatten.

Doch dieses Sicherheitsgefühl, das Vertrauen in die Behörden, ist seit der Tat erschüttert. Noch immer kann es Kuminkosky nicht fassen, dass trotz wiederholter Warnungen niemand Crooks stoppte. Die Frau traut sich jetzt nicht mehr auf größere öffentliche Veranstaltungen. Die Angst steckt ihr noch tief in den Knochen. Die nächste Station wird zeigen, dass sie damit nicht die Einzige ist.

5. Station: Die Weinenden an der Bar - und eine unheimliche Theorie

Auf der Route 68 geht es vom Farm-Show-Gelände in Richtung des Ortskerns von Butler. Vorbei an vielen Amerika-Flaggen, einigen Trump-Aufstellern, an den üblichen Fast-Food-Restaurants, an gigantischen Werbeplakaten für Anwälte, für ein Erlebnis-Bad und die örtliche Drogenhilfe. Die Innenstadt der 13.000-Einwohner-Stadt besteht hauptsächlich aus der Main Street, an ihr reihen sich leer stehende Ladengeschäfte an kleine Boutiquen, es gibt ein Kino, einige Bars und Restaurants. In der Kneipe „Brick House“ sitzen an diesem Spät-Nachmittag nur eine Handvoll Gäste am langgestreckten Tresen und trinken Bier für 3,75 Dollar, es ist Happy Hour.

Barfrau Tammy (Namen geändert) ist eine der vielen Einwohner von Butler, die das Attentat auf Trump live vor Ort miterlebt haben. Seitdem ist für die Blondine nichts mehr so, wie es mal war. Zwei Tage lang hat sie sich in ihrem Haus verbarrikadiert, kann nicht mehr schlafen. Weil niemand den Schützen stoppte, weil die Sicherheitsvorkehrungen offensichtlich so lückenhaft waren, glaubt sie an einen „Inside Job“, eine Verschwörung der demokratisch dominierten Politik in Washington gegen Trump. „Ich kann seitdem niemandem mehr vertrauen. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich denken soll.“

Sie kann nicht glauben, dass es die Wahnsinnstat eines Einzelnen war, bei der Trump und weitere Personen verletzt wurden und ein Mann starb. „Wir haben einen Feuerwehrmann aus unserer Community verloren“, sagt sie. „Das alles wird Butler verändern“. Tränen füllen ihre Augen, während genau in diesem Augenblick das Bild des getöteten Corey Comperatore auf dem Bildschirm hinter ihr gezeigt wird.

Das Attentat und die Folgen laufen in Dauerschleife im Fernsehen und unter den Gästen gibt es auch nur dieses eine Thema. „Das ist so unfassbar traurig, so was macht man doch einfach nicht“, sagt Lisa Dennis, selbst Trump-Anhängerin, und lässt ihren Tränen freien Lauf. „Wir haben alle unsere unterschiedlichen Sichtweisen, aber niemand hat das Recht, deshalb jemanden zu töten. Wenn das unsere Gesellschaft sein soll, dann will ich damit nichts zu tun haben.“

Es sind Sätze, die in den patriotischen und stets optimistisch nach vorne blickenden Vereinigten Staaten selten zu hören sind. Dieses Gefühl, dass etwas verrutscht ist, dass die Koordinaten nicht (mehr) stimmen, spielt aber Donald Trump in die Karten. Denn sein größtes Versprechen ist es, das Land wieder zu dem zu machen, was es mal gewesen sei. Er wird wohl seine zweite Chance bekommen. In Butler würden sie es feiern, mit Tränen in den Augen.