FOCUS online in Florida - Republikaner nach Hurrikan: „Immer mehr haben die Nase voll von Trump“
Zwei Hurrikane rücken den Klimawandel im US-Wahlkampf wieder in den Fokus. FOCUS online war zu Besuch am Rande des Katastrophengebietes - und hat dabei zwei sehr unterschiedliche Wähler kennengelernt.
„Die Stadt hat Glück gehabt“, sagt Ben Smith am Freitag lächelnd unter einer riesigen Eiche vor seiner wuchtigen Holzvilla. Der Himmel darüber: azurblau.
In der Nacht zum Mittwoch wirbelten die Trauben aus meterlangem Moos, die von der Eiche herunterhängen, stundenlang teuflisch umher, als „Milton“ über Florida hinwegfegte.
Die Ausläufer des zweiten Hurrikans in nur zwei Wochen, der die Südstaaten heimsuchte, sorgten zwar auch in Gainesville für bange Stunden. Doch im Gegensatz zu Tampa, Orlando oder Daytona Beach streifte „Milton“ das Gebiet nur.
Drei Aufnahmezentren in Florida sind nach dem Hurrikan wieder leer
Außer massiven Stromausfällen und ein paar umgeknickten Bäumen gab es kaum nennenswerte Schäden. „Helene“, heißt es in der Stadt, „war schlimmer“.
Inzwischen sind auch die drei Aufnahmezentren wieder leer, in denen ein paar Hundert Einwohner der am schlimmsten betroffenen Küstengebiete, die ihre Häuser aus Sicherheitsgründen Anfang der Woche verlassen hatten, Schutz gesucht hatten.
Aber die Stürme, glaubt Ben Smith, haben etwas verändert. Etwas, das möglicherweise auch Einfluss auf die Präsidentenwahl am 5. November haben könnte.
Trumps Unwahrheiten über Katastrophenschutz sorgen für Empörung bei Einheimischen
Dass Donald Trump den Klimawandel leugnet, daraus hat er nie einen Hehl gemacht, im Gegenteil. Als er Anfang 2017 als erste Amtshandlung nach seiner Ernennung zum 45. US-Präsidenten den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen bekanntgab, löste er aus seiner Sicht nur ein Wahlversprechen ein.
Die Art und Weise, wie Trump nach Hurrikan „Helene“ gegen die Biden-Administration ätzte und Unwahrheiten verbreitete, sorgt jedoch für immer größere Empörung.
Trump hatte ihr unterstellt, der nationalen Katastrophenschutzbehörde FEMA (Federal Emergency Management Agency) Gelder entzogen und stattdessen für illegale Migranten eingesetzt zu haben. Zudem verweigere die Behörde republikanischen Wählern Unterstützung. Das Weiße Haus dementierte vehement, Trump blieb Beweise schuldig.
Ort planieren, um Opferzahl von „Helene“ zu vertuschen?
Damit blies der Ex-US-Präsident ins selbe Horn wie rechte Hetzer, die im Internet die absurde Behauptung verbreitet hatten, die FEMA lasse den von „Helene“ überfluteten Ort Chimney Rock in North Carolina dem Erdboden gleichmachen.
Angeblich, um die Zahl der Toten zu vertuschen und das Land dann zu verpfänden. Das millionenfache Teilen in sozialen Netzwerken führte laut „Washington Post“ sogar zu der Forderung, eine Miliz gegen die FEMA zu bilden.
Nachdem Rechtsextreme behauptet hatten, Biden habe den Sturm selbst kreiert, um so den Lithiumabbau zu erleichtern, verstieg sich Marjorie Taylor Greene aus Georgia, republikanische Abgeordnete im Repräsentantenhaus, auf Twitter zu einer abenteuerlichen These.
Sie behauptete, dass die Regierung Biden das Wetter kontrollieren könne und es „lächerlich“ sei, wenn jemand die „Lüge verbreitet, dass dies nicht möglich“ sei.
Katastrophenhelfer müssen gegen Fake News kämpfen
Dass diese hanebüchenen Gerüchte den Mitarbeitern der FEMA in Florida nach den Hurrikans die Arbeit zusätzlich erschweren, kann Ben Smith nur schwer ertragen. „Als hätten die FEMA-Mitarbeiter nicht schon genug zu tun mit Wassermassen und Zerstörung, müssen sie nun auch noch gegen Fake News ankämpfen.“
Smith erkennt auch ein Glaubwürdigkeitsproblem für den Katastrophenschutz. Das gehe zu Lasten Hilfsbedürftiger, die dringend benötigte Hilfe immer häufiger nicht mehr anfordern, so der 73 Jahre alte Chemiker. Er forschte an der Universität in Gainesville und lehrte sogar einmal für sechs Monate in Dortmund.
„Desto mehr Lügen Trump erzählt, desto mehr rücken von ihm ab“
Dass Trump im Staat Florida, den er 2016 nur mit einem einprozentigen Vorsprung gewann, erneut schwächeln könnte, geben Wahlumfragen derzeit nicht her. Doch Smith weiß auch, dass Umfragen in den USA oft stark vom Endergebnis abweichen.
Unter seinen Freunden seien Republikaner, mit denen man in der Regel nur schwer über Politik im Allgemeinen und Trump im Besonderen reden könne - vor allem, weil es ihm an Empathie und Freundlichkeit fehle.
„Aber ich nehme durchaus ein zunehmendes Bedürfnis unter Republikanern nach einem neuen, frischen Wind wahr. Je mehr Lügen er erzählt, desto mehr Republikaner rücken von ihm ab und werden Trump überdrüssig“, sagt Smith. Das zeigt sich in seinen Augen auch an der Debatte um die Hurrikane.
„Immer mehr haben die Nase voll von diesem Narzissten, den nur sein eigenes Wohl statt das des Volkes interessiert. Vielleicht erleben wir bei der Wahl hier in Florida doch noch eine Überraschung.“
In der Stadt dominieren Demokraten, auf dem Land Republikaner
Wie in anderen US-Bundesstaaten sind die Republikaner auch hier in demokratisch geprägten Städten eher schwach, auf dem Land hingegen stark. „Man muss nur wenige Kilometer aus Gainesville rausfahren, ganz gleich in welche Richtung, und schon stecken im Rasen vor den Häusern keine Harris- & Walz-Schilder mehr wie vor meinem, sondern Trump & Vance“, sagt Smith. Wie zum Beispiel in Micanopy.
Der Ort, 20 Autominuten südlich von Gainesville zwischen ausgedehnten Sumpflandschaften gelegen, wurde 1821 gegründet, hat keine 700 Einwohner und wirkt mit seinem kleinen Platz am Cholokka Boulevard seit seinen ersten Tagen unverändert.
Etwas abseits in einer Seitenstraße fährt am späten Nachmittag bei angenehmen 27 Grad Wanda mit ihrem Wagen auf das kleine Familiengrundstück. Im Vorgarten steckt ein Schild mit der Aufschrift „Trump & Vance“.
„Das Trump Klimawandel leugnet, stört mich nicht“
Auf Trumps notorisches Leugnen des Klimawandels angesprochen, wartet Wanda sofort mit einer Überraschung auf. „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Menschen die Schuld daran tragen. Meine Familie lebt sehr umweltbewusst, wir recyceln alles, produzieren eigenen Kompost, haben eine Solaranlage auf dem Dach“, sagt die End-Fünfzigerin, die in einem Geschäft für Drucker arbeitet. Zu Trumps Leugnerei sagt sie: „Das stört mich nicht.“
Dass die neuesten grotesken Vorwürfe Trumps gegen die FEMA, die von der Biden-Administration bestritten werden, sich negativ auf den republikanischen Wahlkampf auswirken könnten, glaubt sie indes nicht.
„Ich weiß nicht, ob die Behauptung mit der Zweckentfremdung der FEMA-Gelder stimmt, wie Trump sagt, ich habe da keinen Überblick. Was ich aber weiß, ist, dass unsere Regierung viel zu viele Milliarden an Menschen aus anderen Ländern zahlt.“
Wanda findet, dass die Regierung zuerst Geld für die Amerikaner ausgeben sollte. „Denn schließlich bezahlen wir der Regierung ja auch mit unseren Steuern ihre Gehälter.“
„Ich glaube nicht, dass Harris die besten Absichten hat“
Wahlentscheidend wird das Thema Klimawandel in Florida nicht sein, da ist sich Wanda, die mit ihrem Vater und ihren beiden Enkelinnen in einem rechteckigen Haus wohnt, sicher. „Das Wichtigste für uns ist, dass wir mit unseren Gehältern ein problemloses Auskommen haben.“
Bei den gestiegenen Kosten allein für Strom, Wasser und Treibstoff auf der einen und den hohen Steuerabgaben auf der anderen Seite bleibt das für ihre Familie allerdings ein Traum.
„Meine Schwester hatte vor 12 Jahren einen Schlaganfall, sie ist seitdem zu 100 Prozent behindert. Hätten meine Eltern ihr nicht unter die Arme gegriffen, hätten wir das nicht geschafft“, erklärt Wanda.
„Trump“, fasst sie am Gartenzaun, hinter dem ihr Hund Fritz bellt, zusammen, „liegt viel mehr an Freiheit und unserem Land als Kamala Harris. Ich glaube nicht, dass sie die besten Absichten hegt. Das sagen mir auch viele schwarze Freunde, die ich habe“.
„Allein wegen Strafverfahren wird Trump sich mit Niederlage nicht abfinden“
Einig sind sich Ben Smith und Wanda in der Hoffnung, dass es, sollte Kamala Harris die Wahl gewinnen, nicht erneut zu ähnlich gewalttätigen Szenen wie beim Sturm aufs Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 kommt.
Während Wanda sich „nicht vorstellen kann, dass Trump noch einmal zu einer Versammlung vor dem Kapitol aufruft“, ist Ben Smith sich da nicht so sicher.
„Er hat ja schon mehrfach angekündigt, dass er sich mit einer Niederlage nicht abfinden wird. Das wird er allein wegen der ganzen Strafverfahren, die noch gegen ihn laufen, nicht machen.“ Ob es dabei dann zu Gewalt kommen könnte, stehe in den Sternen.