FOCUS online vor Ort - „Dann verhungere ich“: Im Höcke-Wahlkreis macht Frau eine krasse Ansage
Björn Höckes Wahlkreis liegt im tiefsten Thüringer Land. Die CDU verhinderte ein Direktmandat für den AfD-Spitzenkandidaten. Doch der Frust in den Dörfern sitzt tief.
Auf der Landkarte ist Hilbersdorf nicht einfach zu finden. Kaum 200 Einwohner zählt die Gemeinde, sie alle leben an der gleichen Straße. Eine Handvoll Kfz- und Landwirtschaftsbetriebe sind hier noch zu finden.
An der einzigen Bushaltestelle zeigt der Fahrplan mehr Leerstellen als Abfahrtszeiten. Auf einer Tafel kündigt die Kirchengemeinde die Termine für die nächsten Gottesdienste an – einmal im Monat kommen die Hilbersdorfer hier zusammen. Oder wie es eine Anwohnerin formuliert: „An der Straße ist alles tot. Es gibt nichts mehr.“
Trotzdem haben sie den AfD-Spitzenkandidaten, Björn Höcke, hier bei den Thüringer Landtagswahlen am Sonntag in die Schranken gewiesen. Im Wahlkreis Greiz II, zu dem auch Hilbersdorf zählt, hat er sich um das Direktmandat beworben – und ist gescheitert.
CDU-Mann Christian Tischner vereinte 43 Prozent der Stimmen auf sich, Höcke ging mit 38,9 Prozent leer aus. Als Spitzenkandidat erhält er seinen Platz im Landtag nun über die Landesliste.
Selbst langjährige CDU-Mitglieder nicht völlig gegen die AfD
In Hilbersdorf fuhr Höcke mit 33,3 Prozent das schlechteste Erststimmen-Ergebnis ein – so mancher Bewohner zweifelt prompt die Korrektheit der Auszählung an. „Von dem, was die Leute sagen, müssten es 80 Prozent sein“, kommentiert einer schmallippig. Vielleicht hätten die Bewohner, die ihre Stimmen nicht der AfD gaben, auch keine Veränderung gewollt.
Doch ganz so einfach ist es offenbar nicht. Selbst langjährige CDU-Mitglieder sagen hier, dass sie der AfD zwar nicht gänzlich abgeneigt sind. Trotzdem sind Höcke und seine Anhängerschaft vielen dann doch zu krass. „Wenn da die richtigen Leute wären, würde ich sie auch wählen. Aber da sind nur Krawallmacher“, sagt ein CDU-Mitglied.
Denn der Frust, der sich in ganz Thüringen an den Wahlergebnissen zeigt, ist auch in Höckes Wahlkreis zu spüren. Erst vor wenigen Wochen zog ein Unwetter über Hilbersdorf, einige Häuser standen unter Wasser.
Handwerker beheben noch immer die Schäden, tauschen etwa die Öltanks aus. Hochrangige Politiker hätten sie gar nicht erwartet, doch zumindest die kommunalen Würdenträger hätten vorbeischauen können, meint eine Anwohnerin. Das bestätigt für sie den Eindruck: „Es ist nichts mehr an Infrastruktur da – es kümmert sich keiner drum.“
„Es sind nur noch alte Leute“
Trotzdem zweifeln in Hilbersdorf einige, ob eine Höcke-AfD wirklich ein Ohr für ihre Sorgen hat. Auch die Anwohnerin. „Mir graut es schon, wenn ich nicht mehr fahren kann. Dann verhungere ich“, sagt die ältere Frau.
Sie habe noch Glück, weil die Tochter nach der Ausbildung im Westen wieder zurück kam. Viele andere blieben der Heimat mangels Perspektiven fern. „Das fehlt hier. Es sind nur noch alte Leute“, so das bittere Fazit.
Da rückt dann auch die in Berlin oder Erfurt propagierte Wärmewende in weite Ferne. „Wir machen nur noch das Nötigste, damit wir noch ein paar Jahre über die Runden kommen“, sagt ihr Mann. Wofür solle das ältere Ehepaar noch in die Immobilie investieren, wenn sie später niemand übernehme? Wärmepumpe – zu teuer. Holzheizung – im hohen Alter nicht mehr stemmbar. Erdgas gibt es in Hilbersdorf nicht.
Doch trotz allen Unmutes kommt zumindest für sie die AfD in ihrer aktuellen Besetzung nicht infrage. „Da hätte ich auch Angst, die sind doch ein bisschen extrem. Ich bin nicht am nächsten Krieg interessiert“, sagt der Anwohner und seine Frau pflichtet bei: „Ich will auch mal protestieren. Aber AfD zu wählen, ist lebensmüde.“
„Die Mittelschicht sind die Dummen, die den Staat finanzieren“
Nur wenige Kilometer weiter sieht das eine Gruppe Männer ganz anders. In Kauern sanieren sie trotz der Hitze seit Wochen ein altes Haus. Über ein Sonnenstudio ließe sich der Bräunungsgrad der Haut kaum erreichen. Einen Handwerker für alle Arbeiten zu bezahlen, ist schlicht zu teuer, sagen sie. Also muss es in Eigenleistung und mit Hilfe von Freunden geschehen.
In Kauern kam Höcke am Sonntag auf 60,6 Prozent der Erststimmen. Genüsslich nimmt die Gruppe das Ergebnis zur Kenntnis. „Das funktioniert nicht mehr“, sagt einer der Helfer verbittert über die aktuelle Situation.
„Die Mittelschicht sind die Dummen, die den Staat finanzieren“, poltert er. Steuern, Versicherungen und Auflagen würden die eigene Arbeit kaum mehr rentabel machen. Frustriert lese man dann von Milliardenhilfen, etwa für die Ukraine, während in der Region kein Geld für Kitaplätze vorhanden sei und die Renten der Älteren nicht zum Leben ausreichten.
Auch der Eindruck, die Bundesregierung habe die Migration – die im ländlichen Thüringer Raum kaum eine Rolle spielt – nicht unter Kontrolle, verstärkt hier den Wunsch nach Veränderung. „Ich würde nicht in die Großstadt wollen“, sagt der Helfer.
Selbst überzeugte AfD-Wähler sind skeptisch
Ob nun CDU, SPD, FDP, Grüne oder Linke die Regierung stellen würden: Seit 2015 habe sich nichts zum Besseren verändert, sagen sie hier in Kauern. Dass der Verfassungsschutz die AfD in Thüringen als rechtsextrem einstuft, scheint hier keinen zu stören.
Wichtiger ist da, ein Statement zu setzen. Zu verhindern, dass die aktuelle Politik das einreißt und wegnimmt, was hier nach der Wiedervereinigung mühevoll aufgebaut wurde. So denken jedenfalls einige in Kauern.
Vielleicht richtet es also die AfD, sagt der Helfer: „Man sollte ihnen die Chance geben und sehen, ob sie ihre Versprechen halten.“ Auch wenn sich die Versäumnisse der vergangenen Jahre kaum in einer Legislaturperiode in Thüringen beheben ließen.
Doch selbst die überzeugten AfD-Wähler sind skeptisch, ob die Funktionäre nicht doch nur nach Posten streben. Das werde sich zeigen – am liebsten in einer Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht, findet der Hausbesitzer.