FOCUS online bei Polit-Promis in Sachsen - Wagenknecht vergleicht DDR-Ende mit Ampel-Aus - Baerbock dreht erst zum Schluss auf

Sahra Wagenknecht verglich bei einem Wahlkampfauftritt in Chemnitz am Dienstag das Ende der SED mit einem Ampel-Aus.<span class="copyright">Ulf Lüdeke / FOCUS online</span>
Sahra Wagenknecht verglich bei einem Wahlkampfauftritt in Chemnitz am Dienstag das Ende der SED mit einem Ampel-Aus.Ulf Lüdeke / FOCUS online

Showdown in Chemnitz: Obwohl Landtage nicht über Krieg oder Frieden in der Ukraine entscheiden, ging es bei zwei Wahlkampftermine in Chemnitz vor allem darum. Für die Forderung nach einem Waffenstopp und Friedensgesprächen von Sahra Wagenknecht ließ die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wenig später kein gutes Haar an der BSW-Chefin.

Die zwei Wahlkampfveranstaltungen, die gestern in Chemnitz stattfanden, hätten allein was Organisation und Veranstaltungsort angeht, unterschiedlicher kaum sein können. Auf dem Neumarkt mitten in der Altstadt trat um 17.30 Uhr BSW-Chefin Sahra Wagenknecht vor mehreren Hundert Zuschauern auf, Zutritt frei für jedermann. Um 19.30 Uhr trat bei den Grünen im Kino „Metropol“ Annalena Baerbock auf die Bühne. Zutritt gab es nur per vorheriger Anmeldung.

Doch vor allem was Inhalte angeht, traten an diesem warmen Spätsommerabend in der Stadt kurz hintereinander zwei Parteien auf, die sich in harscher Gegnerschaft zueinander befinden. Besonders deutlich wurde dies am Thema des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine.

Plakate mit der Aufschrift „Kriegstreiber Nato“

Die meisten wissen: Landtage entscheiden nicht über Kriegseinsätze und auch nicht über die Unterstützung fremder Armeen. Doch schon an den Redebeiträgen der Vorredner von Wagenknecht wurde fünf Tage vor der mit Hochspannung erwarteten sächsischen Landtagswahl schnell klar, dass es auf dem Neumarkt in Chemnitz vor allem um eines ging: Um „Frieden“ für die Ukraine, der mit einem Waffenlieferungsstopp des Westens an die Ukraine verbunden werden. Plakate wie „Kriegstreiber Nato“, das „t“ zu einem Grabkreuz stilisiert, zeugten auch im Publikum davon.

Und das kam schon vor dem Auftritt von Wagenknecht, die in Chemnitz promoviert hat und 1989 in der untergehenden DDR noch schnell in die SED eingetreten war, bevor auch die „Einheitspartei“ unterging, beim Publikum gut an. Jubel brach auf dem zu einem Drittel belegten Neumarkt aus, als Jörg Scheibe, der Menge zurief: „Waffen sorgen nicht für Frieden, wir wollen keine neuen US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.“ Den zweiten Jubel des Abends heimste der BSW-Listenkandidat 2 ein, als er sagte, das BSW wolle eine „unkontrollierte Migration“ stoppen. Was wie das Waffenthema ebenfalls nicht in der Hand von Landtagen liegt.

Wagenknecht vergleicht DDR-Ende mit Ampel-Aus

Als Wagenknecht dann gegen 17.40 Uhr auf das Podium tritt, versucht sie, das Publikum erst mal mit einer Ampel-Schelte einzustimmen. Und versteigt sich, noch keine fünf Minuten auf der Bühne, zu einem Vergleich des Endes der DDR-Regierung mit einem möglichen Ampel-Aus: „Die, die die Endphase der DDR miterlebt haben, wissen, wie sich das in der Endphase anfühlt, wenn die der Regierung es einfach nicht mehr packen ...“ Wer nicht wolle, sich „das Elend der Ampel noch ein Jahr mit anzuschauen", der möge am 1. September in Sachsen BSW wählen, damit wenigstens FDP und Grüne aus dem Landtag flöge, was in Berlin nicht ohne Folgen bliebe, meint die 55-Jährige.

Zwei Dutzend vorwiegend ukrainische Frauen protestieren am Neumarkt gegen den Auftritt von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht.<span class="copyright">Ulf Lüdeke / FOCUS online</span>
Zwei Dutzend vorwiegend ukrainische Frauen protestieren am Neumarkt gegen den Auftritt von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht.Ulf Lüdeke / FOCUS online

 

BSW-Chefin nennt Bundesregierung „verlogen“

Immer wieder folgen Seitenhiebe gegen Ampel-Regierung und die Grünen. Die Bundesregierung spiele sich als „Moralisierungsweltmeister der Erde“ auf. Sie seien „verlogen“, weil sie russisches Öl nicht direkt aus Russland, sondern indirekt etwa über Indien kauften, obgleich das Öl-Embargo „nichts bringt“. Sätze wie „Frau Baerbock läuft mit erhobenen Zeigefinger durch die Welt“ quittieren die Zuhörer, viele um die 60 Jahre und älter, mit ironischem Geraune, Applaus und Gejohle.

Am Ende ihrer Rede nahm sie nach ein paar kurzen Exkursen zu Bildung, Rente und Krankenversorgung schließlich noch einmal das Thema Krieg und Frieden auf und erklärte, dass „Kriege nicht mit Waffen, sondern mit Friedensgesprächen“ beendet würden.

Ministerin Meier: „Demokratische Zivilgesellschaft steht auf dem Spiel“

Bislang ist Wagenknechts Partei noch in keinem Landtag vertreten. Doch das dürfte sich am kommenden Sonntag aller Wahrscheinlichkeit nach ändern. Jüngste Umfrage prognostizieren dem BSW in Sachen einen Stimmenanteil von rund 15 Prozent, in Thüringen, wo ebenfalls ein neuer Landtag gewählt wird, sind es sogar um die 20 Prozent. Rekordwerte aus dem Stand.

Die Grünen hingegen dümpeln gefährlich nah an der 5-Prozent-Hürde entlang. Das merkt man auch an diesem Abend im Kinosaal des „Metropol“, wo sich gleich ein halbes Dutzend Kandidaten einem Publikum vorstellt, dass zehn bis 15 Jahre jünger scheint als bei Wagenknecht. „Bei der Wahl geht es um viel. Am Sonntag steht die demokratische Zivilgesellschaft auf dem Spiel“, sagt Katja Meier, Justizministerin Sachsens und eine der drei Spitzenkandidaten.

Das bezieht sich nicht nur auf die AfD, sondern auch auf das Bündnis von Sahra Wagenknecht, die bei einer Insa-Umfrage vom 24. August zusammen nur knapp die absolute Mehrheit verfehlten. Wagenknechts Anhänger nennt sie die „Ewiggestrigen, die die Zeit zurückdrehen wollten“.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (2.v.r.) ließ bei einem Wahlkampfauftritt der Grünen in Chemnitz kurz vor der Landtagswahl kein gutes Haar an der Forderung von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht, Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen und über Frieden zu verhandeln.<span class="copyright">Ulf Lüdeke / FOCUS online</span>
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (2.v.r.) ließ bei einem Wahlkampfauftritt der Grünen in Chemnitz kurz vor der Landtagswahl kein gutes Haar an der Forderung von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht, Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen und über Frieden zu verhandeln.Ulf Lüdeke / FOCUS online

 

Baerbock: „Mehrheit in Deutschland steht hinter der Ukraine“

Als nach einer knappen Stunde schließlich Annalena Baerbock auf die Bühne darf, fackelt sie nicht lange und kommt ebenfalls schnell auf das Thema Krieg zu sprechen. Sie versichert, dass „die Mehrheit in Deutschland hinter der Ukraine steht, auch wenn uns mal heftig der Wind ins Gesicht weht“.

Auch die Außenministerin und einstige Partei-Chefin der Grünen erinnert die rund 300 Zuhörer im großen Kinosaal, dass am Sonntag „jede Stimme zählt“. „Was könnte passieren, wenn dann doch zwei Parteien eine Mehrheit haben, die gegen all das sind, wofür demokratische Parteien stehen?“, sagt sie in Anspielung auf AfD und BSW.

„Putin hat Friedensgespräche nicht gewollt“

So richtig deutlich in Bezug auf den Krieg in der Ukraine wird Baerbock dann aber erst zum Schluss, als einige Fragen von den Zuschauern vorgelesen werden, die sich mehrheitlich ebenfalls um dieses Thema drehen. Eine, die immer gestellt wird auch von Anhängern des BSW, lautet, warum der denn Westen keine Friedensgespräche mit Putin aufnehme. „Diese Gespräche gibt es nicht, weil Putin sie nicht will“, sagt Baerbock. Putin habe einen Waffenstillstand bislang nicht mal in Erwägung gezogen.

Sie habe „die meiste Zeit als Außenministerin“ mit dem Thema Ukraine verbracht. Doch es gäbe diverse Gründe, warum Initiativen bislang ohne Erfolg verlaufen seien. Die ersten Friedensgespräche seien gescheitert, nachdem die Massaker der russischen Armee in Butscha und Irpin bekanntgeworden waren.

Bei den Kämpfen um das ukrainische Atomkraftwerk in Saporischschja sei der russische Präsident gebeten worden, aus Gründen der nuklearen Sicherheit die bestimme Waffen zurückzuziehen, was er ebenfalls abgelehnt habe. Und auch, was eine Rückführung der nach Russland entführten rund 20.000 ukrainischen Kinder angeht, habe Russlands Präsident sich bisher unnachgiebig gezeigt.

„Wir haben schon mal darauf vertraut, dass Putin nicht angreift“

Selbst auf die jüngste Einladung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an neuen Friedensgesprächen teilzunehmen habe Putin nicht reagiert, schloss Baerbock. Entweder wüssten das viele Menschen, die die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen wollten, nicht, oder sie wollten es nicht wissen. „Wir haben schon einmal darauf vertraut, dass Putin nicht angreifen wird.“ Das, so Baerbock, werde nicht noch einmal passieren.