FOCUS-online-Recherche - „Geld oder Tod“: Ermittlungen offenbaren, wie kriminelle Köln-Amsterdam-Bande agiert
Eine Drogenbande sorgt zwischen Köln und Amsterdam für Schrecken. Explosionen, Geiselnahmen und Auftragsmorde sind im Drogenkrieg an der Tagesordnung. Ermittler zeigen auf, wie die kriminelle Bande vorgeht.
Die beiden Männer warteten an jenem 25. Juni auf die Polizei in einem Wagen draußen vor dem Tor einer Lagerhalle in Hürth. Als die Einsatzkräfte eintrafen, gaben sich beide als Hinweisgeber zu erkennen, die ein Verbrechen verhindern wollten. In der Halle hatten drei Abgesandte eines niederländischen Drogenkartells fünf Männer an Stühlen gefesselt und unter Drohungen gefoltert. Die Kartell-Gangster wurden nach kurzer Flucht verhaftet, die beiden Tippgeber durften zunächst gehen.
80 Ermittler forschen zur Köln-Amsterdam-Bande
Einer von ihnen wurde nach FOCUS-online-Informationen in den Zeugenschutz genommen, den anderen verhafteten Spezialeinsatzkräfte der Polizei am vergangenen Freitag.
Mehmet C., 25, (Name geändert) spielt den Ermittlungen zufolge eine wichtige Rolle im rheinischen Drogenkrieg mit Bezügen zu einem niederländischen Rauschgiftkartell. Weitere Nachforschungen der 80-köpfigen Ermittlungsgruppe (EG) „Sattla“ (arabisch für Haschisch) ergaben, dass der Mittzwanziger ebenfalls an der Gefangennahme der fünf Männer in der Lagerhalle beteiligt gewesen sein soll.
Cannabis im Wert von 1,5 Millionen Euro gestohlen
Nachdem aus der Halle 350 Kilogramm Cannabis im Wert von 1,5 Millionen Euro bei einem Raubüberfall gestohlen worden waren, vermuteten die Besitzer, dass die fünf Aufpasser die Aktion durchgeführt hatten. Tatsächlich ist bis heute nicht klar, wer hinter dem Diebstahl steckt.
Mehmet C. soll zu einer Drogenbande gehören, die von Köln-Kalk aus ihre Rauschgiftgeschäfte betreibt. Der Deutsche mit türkischen Wurzeln soll laut Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer Informationen und Befehle via Handy in Hürth an die Hintermänner weitergegeben haben. Sein Medienanwalt weist dies zurück. „Die Strafverteidigung prüft die Vorwürfe momentan. Der Mandant behält sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt weitergehende Aussagen zu machen.“
Drogenkrieg zwischen deutschen Städten eskalierte bereits im Sommer
Bereits im Sommer eskalierte ein Drogenkrieg zwischen Duisburg, Düsseldorf, Köln bis hin nach Engelskirchen in einer nie dagewesenen Brutalität. Bisher listen die Ermittler mehr als ein Dutzend Sprengstoffanschläge, drei Geiselnahmen und mehrere versuchte mörderische Attentate auf. Die Staatsanwaltschaft führt nach eigenen Angaben in dem Komplex inzwischen 16 Inhaftierte und 35 Beschuldigte.
Bei den Durchsuchungen vorigen Freitag wanderte auch der 24-jährige Deutsch-Tunesier Mohammed L. (Name geändert) in Untersuchungshaft. Sein Kiosk wurde ebenfalls auf den Kopf gestellt. Über diese Schiene soll er für eine Kalker Drogengang die Finanzen gesteuert haben. Auch soll er die Lieferung von 700 Kilogramm Cannabis durch das niederländische Kartell abgewickelt haben, von der die Hälfte geraubt wurde.
22-jähriger Deutsch-Iraker als Schlüsselfigur im Drogenkrieg
Beide Inhaftierte gehören laut den Strafverfolgern zur Bande des mutmaßlichen Kalker Drogenbosses Sermet A. Der 22-jährige Deutsch-Iraker mit kurdischem Hintergrund firmiert als Schlüsselfigur in der Rauschgiftfehde. Nach FOCUS-online-Informationen soll er den Cannabis-Deal mit den niederländischen Lieferanten eingefädelt haben.
Nachdem ein Teil des Stoffes gestohlen wurde, soll A. bei seinen Kontaktleuten jenseits der Grenze Gangster angeheuert haben, um die geraubte Ware wiederzubeschaffen – vermutlich auch durch Anschläge. Wenn überhaupt, so die Ermittler jetzt, spielt die sogenannte niederländische Mocro-Mafia (Slangwort für marokkanisch stämmige Drogenbanden) nur eine marginale Rolle. Der Anwalt des mutmaßlichen Bandenchefs reagierte nicht auf eine Anfrage.
Auslieferungsverfahren von flüchtigem Drogenboss läuft
Im Oktober wurde der flüchtige Kölner Sermet A. auf dem französischen Flughafen Paris-Orly festgesetzt. „Derzeit läuft noch das Auslieferungsverfahren“, berichtet Behördensprecher Bremer weiter, „der Beschuldigte hat seiner Überstellung widersprochen, nun muss ein Gericht über den weiteren Verfahrensgang entscheiden“.
Laut den Erkenntnissen der EG Sattla soll Sermet A. bei der Suche nach dem geklauten Gras eng mit dem niederländischen Drogennetzwerk zusammen gearbeitet haben. So etwa bei der Geiselnahme zweier mutmaßlicher palästinensischer Drogenhändler am 4. Juli in Bochum. Die Entführer vermuteten, dass der gekidnappte Mann nebst Freundin hinter dem Cannabisraub steckten. Seine Familie, so kriminalpolizeiliche Erkenntnisse, soll im Drogenhandel im Ruhrgebiet mitmischen.
Das Paar wurde in eine Villa nach Köln-Rodenkirchen gebracht und soll dort im Keller mit Pistolen bedroht und geschlagen worden sein. „Geld oder Tod“, brüllten die angeheuerten niederländischen Killer angeblich. Als eigentliche Folterer sollen mindestens fünf Handlanger des Kalker Drogenbosses agiert haben. Ein Spezialeinsatzkommando befreite die Geiseln tags darauf. Die drei Niederländer setzten sich nach Amsterdam ab.
Unterwelt in Köln immer präsenter
Längst ist die Unterwelt im rechtsrheinischen Köln auf dem Vormarsch. Am 27. Juni ging ein Notruf bei der Polizei ein. Demnach wurde eine Person in einem Wagen vor einem Kalker Restaurant verprügelt. Die Einsatzkräfte untersuchten den Volvo-Kombi. Das Opfer war geflohen. Im Fußraum stellten die Ermittler eine Maschinenpistole mit zwei Magazinen sicher. Im Kofferraum fanden sich weitere Magazine nebst einem Schalldämpfer. Mieter des Wagens war ein Mitglied aus der Kalker Drogen-Connection um Sermet A.
Sukzessive klären die Ermittler ein kriminelles Joint-Venture zwischen Amsterdam und Köln auf. Zu den rheinischen Hauptakteuren zählte etwa ein Syrer, der sich Osman nennt. Bei der Wahllichtvorlage erkannte die weibliche Geisel ihn wieder. „Oh mein Gott, was er mit mir gemacht hat“, entfuhr es der Frau während ihrer Vernehmung. Osman füllt zahlreiche Polizeiakten wegen gefährlicher Körperverletzung, räuberischen Diebstahls, Betruges und Geldwäsche.
Das Gleiche gilt für die anderen inhaftierten mutmaßlichen Kölner Geiselnehmer.
Über Telegram werden junge Männer für Anschlagkommandos rekrutiert
Eine große Rolle im Kölner Folterkeller spielte ein Iraker, der unter dem Synonym Xidir operierte. Der Tatverdächtige ist wegen Vergewaltigung und Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz polizeibekannt. Er soll Zimmer eines Kalker Hotels als Drogenumschlagplatz und Waffenbunker benutzt haben. Ein Komplize hatte der Polizei die Codes für die Türen genannt. Bei einer Razzia funktionierten die Schlüsselzahlen. Auf Anfrage wollten die Strafverfolger nicht mitteilen, was sich in den Räumen fand.
Inzwischen sieht die EG Sattla viel klarer, wenn es sich um die komplexen Strukturen rund um den Drogenkrieg dreht. Zudem geht man davon aus, dass manche Sprengkörper an der falschen Adresse hochgingen. So etwa am Disko-Club „Vanity“ auf den Kölner Ringen. „Offenbar hatte sich der Attentäter in der Adresse geirrt“, glaubt ein Ermittler.
Für die niederländischen Drogenhändler sei es ein Leichtes, per Netzwerk „Telegram“ für ein paar hundert Euro aus den sozialen Brennpunkten in Utrecht, Amsterdam oder Rotterdam junge Männer für Anschlagkommandos zu rekrutieren. „Das sind aber keine Profis“, referierte der Beamte.
Attacken gehen auch schief
Mitunter gingen die Attacken aber auch schief. Beispielsweise in Solingen. Ein Kronzeuge hatte sich aus dem Polizeischutz verabschiedet, um seine Freundin aufzusuchen. Die kölnisch-niederländische-Drogenconnection bekam Wind von der Geschichte und sandte zwei Killer aus.
Allerdings irrten sich die beiden Emissäre an der Haustür. Sie machten so viel Lärm im Treppenhaus, dass der Mieter im vierten Stock wach wurde und durch den Türspion schaute. Als er die Männer sah, wich der Bewohner geistesgegenwärtig zur Seite. Der Schuss durch die Tür verfehlte ihn nur knapp. Danach verschwanden die Auftragsmörder.
Normalerweise dauern Verfahren im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) mehrere Jahre. Doch in diesem Komplex haben Justiz und Polizei in Köln große Fortschritte gemacht. Laut Oberstaatsanwalt Bremer ist mit ersten Anklagen zum kommenden Jahresanfang zu rechnen.