FOCUS online sprach mit DB-Mitarbeitern - „Fahren sinnlos durch die Prärie“: Lokführer enthüllt absurde Bahn-Abläufe

Ein Fahrgast steht vor einem abfahrenden ICE.<span class="copyright">Christoph Soeder/dpa/dpa-tmn</span>
Ein Fahrgast steht vor einem abfahrenden ICE.Christoph Soeder/dpa/dpa-tmn

Mitarbeiter der Deutschen Bahn packen weitere erschütternde Details über das Unternehmen aus: Offenbar fahren zahlreiche Züge leer durch die Gegend, weil am falschen Ende gespart wurde. Darunter leiden nicht nur die Fahrgäste, sondern auch Lokführer.

Fahrpläne werden geschätzt, Züge nicht besetzt – in den vergangenen Wochen gab es immer wieder Kritik am System Deutsche Bahn. Mitarbeiter des Unternehmens haben ihrem Frust öffentlich Luft verschafft und Einblicke in die Abläufe geben.

Jetzt zeigt sich eine neue Absurdität: Während sich Fahrgäste über Verspätungen und Ausfälle ärgern, rollen etliche Züge ganz ohne Passagiere durchs Land – ,weil Kapazitäten fehlen. „Wir fahren sinnlos durch die Prärie“, beschreibt ein Lokführer die Situation im Gespräch mit FOCUS online.

Um mehr Linien anbieten und die Fahrgastzahlen erhöhen zu können, hat die Deutsche Bahn in den vergangenen Jahren etliche Züge neu angeschafft. Die Kapazitäten an den Betriebsbahnhöfen seien jedoch nicht im gleichen Tempo gewachsen, berichten mehrere Mitarbeiter.

Im Gegenteil: „Gleise wurden stillgelegt und zurückgebaut, Weichen durch Prellböcke ersetzt – auch an Betriebsbahnhöfen“, sagt ein Mitarbeiter. Entsprechend fehlen Abstellmöglichkeiten.

Regelmäßig würden die Lokführer ihre Nachtschicht deshalb damit verbringen, leer auf wenig frequentierten Strecken zu fahren; bis der reguläre Betrieb weitergeht.

Bahn bestätigt einige Leerfahrten, andere streitet sie ab

Ähnlich problematisch seien die Kapazitäten bei den Waschanlagen. Deshalb seinen manchmal Hunderte Kilometer Leerfahrt nötig, um die Reinigung anderswo durchführen zu können. „Das sind vergeudete Ressourcen“, findet der Lokführer.

Die Konzernzentrale in Berlin reagiert abwehrend: „Überführungen von Zügen nur zum Zweck der Außenwäsche sind nicht geplant“, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Die Außenreinigung erfolge während der planmäßigen Werkstattaufenthalte. Gleichwohl räumt das Unternehmen ein: „Bereits heute stößt die Schieneninfrastruktur an ihre Grenzen.“

Vage lässt die DB verlauten, dass sie an mehr Abstellkapazitäten arbeite, in Depots ebenso wie Werken. „Die Infrastruktur ist nicht im gleichen Maße mitgewachsen“, bestätigt das Unternehmen mit Blick auf die steigende Verkehrsleistung. An 145 Service-Einrichtungen seien ein Aus- oder Neubau beziehungswiese Sanierung und Modernisierung geplant.

„Insbesondere in den großen Knoten fehlen aktuell in der Nacht aber noch Abstellmöglichkeiten für ICE-Züge“, bestätigt die Bahn. Ein „kleiner Teil“ fahre deshalb leer an andere Standorte, um sie dort zu parken, „ähnlich wie es mit LKWs an Autobahn-Raststätten geschieht“. Leerfahrten, weil Abstellmöglichkeiten fehlten, bestätigt das das Unternehmen dagegen nicht.

„Das ist wirklich irre, was da abgeht“, kommentiert der Lokführer.

Deutsche Bahn rechnet vor, wie Infrastruktur kaputtgespart wurde

Wie sehr die Infrastruktur – auch auf Spardruck der Politik – seit der Bahnreform im Jahr 1994 heruntergespart wurde, rechnet der Konzern selbst vor:

  • Das Bahnnetz schrumpfte von fast 40.000 auf 33.400 Kilometer.

  • Die Anzahl von Kreuzungen und Weichen wurde von 139.000 auf 65.000 halbiert.

  • Gleichzeitig rollen mit 51.000 Zügen täglich rund 4000 mehr als noch 2010 über das marode Netz.

  • Hoch frequentierte Strecken wie die Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt/Main (wird derzeit saniert) kamen dadurch ohne Baustellen schon auf eine Auslastung von 125 Prozent.

Durch Baustellen steige die Anfälligkeit für Verspätungen exponentiell, die setzten sich dann wie ein Domino-Effekt im gesamten Netz fort. Mit der sogenannten „Generalsanierung“ will die Bahn nun eine Trendwende einleiten.

„Planungssicherheit und Familienfreundlichkeit sind gleich null“

Die Auswirkungen bekommen aktuell nicht nur die Fahrgäste, sondern auch die Mitarbeiter zu spüren. Noch unzuverlässiger als der Fahrplan der Züge gestaltet sich nach Informationen von FOCUS online die Einsatzplanung des Personals.

Mitarbeiter berichten übereinstimmend, dass sie über ihre endgültigen Schichten teils mit nur mit einem Tag Vorlauf Bescheid wissen; vorher werde mit Platzhaltern gearbeitet.

Baustellen und Störungen würden immer wieder kurzfristige Anpassungen erfordern. „Planungssicherheit und Familienfreundlichkeit sind gleich null“, sagt ein Lokführer. Bei rund 200 Arbeitsstunden allein im Mai sei er zu Hause wie ein Geist gewesen.

Die Darstellung der Konzernzentrale klingt anders. „Die Triebfahrzeugführer, Zugbegleiter und Bordgastronomen erhalten Ende des Vorjahres eine verbindliche Jahresabwesenheitsplanung, in der bereits der Urlaub, Ruhetage und weitere geplante Abwesenheiten enthalten sind“, führt der Sprecher aus.

Mit zwei Monaten Vorlauf wird laut dem Sprecher alles konkretisiert, bei Überarbeitung bestimme der Betriebsrat mit. Auch auf tarifvertragliche Regelungen weist er hin. Um Verspätungen, Umplanungen und Umleitungen abzufedern, habe die Bahn Übergangszeiten und Bereitschaften geschaffen.

„Das wird im Chaos enden“

Zu den Mitarbeitern ist das offenbar noch nicht durchgedrungen. Laut ihrer Darstellung werden sie angehalten, auch an freien Tagen erreichbar zu sein, falls es zu kurzfristigen Änderungen kommt – obwohl keine Rufbereitschaft besteht.

„Es gibt kollektive Regelungen zur Nichterreichbarkeit. Danach besteht ausdrücklich keine Verpflichtung, außerhalb der im Betrieb vereinbarten Arbeits- beziehungsweise Ansprechzeiten erreichbar zu sein“, erklärt der Bahn-Sprecher.

Unterdessen plant das Unternehmen nach Informationen von FOCUS online, verschiedene Standorte der Verkehrsleitung für die Nachtschicht zusammenzulegen, um Personalkapazitäten zu sparen. Bestätigen will die DB das nicht, lässt aber durchblicken:

„Wir arbeiten kontinuierlich daran, unsere internen Systeme optimal aufzustellen und informieren hierzu die entsprechenden Stellen zu geeigneter Zeit.“