FOCUS online in den USA - Ein unheimlicher Spaziergang durch Washington zeigt, was bei Trump-Niederlage droht
Am Vorabend der US-Wahl ist die Gegend um das Weiße Haus im Ausnahmezustand. Ladenbesitzer verrammeln ihre Geschäfte mit Spanplatten, die Menschen fürchten Angriffe von Trump-Chaoten, sollte er die Wahl verlieren. FOCUS online hat mit einigen vor Ort gesprochen.
Als um 16.45 Uhr am Vorabend der Präsidentschaftswahl an der Kreuzung Pittsburgh Ave. NW/17th Street NW die Außentür aufgeht, ruft der Rezeptionist mit langem, grauen Bart dem hinausschreitenden Geschäftsmann im feinzwirnigen Anzug kumpelhaft zu: „Na, Sir, was wird das morgen wohl werden?“
Der Anzug-Träger wendet sich, ohne langsamer zu gehen, dem Rezeptionisten zu und sagt etwas gequält: „Well, wir werden sehen und lassen uns überraschen.“
Wer auf das zehngeschossige Bürogebäude aus den 60er-Jahren steigt, kann vor dort oben direkt in den Garten von Joe Biden und dessen Wohnsitz blicken. Das Weiße Haus liegt einem von hier aus in nur etwas mehr als 300 Metern quasi zu Füßen.
Biden wohnt dort seit knapp vier Jahren, wie sich das für den US-Präsidenten so gehört. Und weil sein Nachmieter möglicherweise nicht Donald Trump heißen könnte, obwohl sich Bidens Vorgänger darum erneut bewirbt, ist hier am Vorabend der US-Wahl im Herzen von Washington D.C. gerade nichts mehr so, wie es mal war.
Rezeptionist: „Tragödie, dass Hauptstadt der USA so was nötig hat“
Der Rezeptionist des Bürogebäudes, der auf dem Bürgersteig am Montagabend ein bisschen frische Luft schnappt, dreht sich um, greift sich fast festhaltend in den Bart, blickt auf die komplett mit handdicken Spanplatten vernagelte, drei Meter hohe Erdgeschossfront und seufzt.
„Was für eine Tragödie, dass die Hauptstadt der USA so etwas nötig hat - einen Schutz vor Chaoten, die alles kaputtmachen könnten, nur weil sie schon vor vier Jahren nicht an die Rechtmäßigkeit der Präsidentschaftswahl geglaubt haben.“ Das, sagt der Mann, der anonym bleiben will, sei nicht das Amerika, das er liebe.
Schon bei der Wahl 2020 habe es hier ähnlich ausgesehen. „Ein einziges Fensterglas kostet 43.000 Dollar. Klar, dass das geschützt werden muss vor Schwachköpfen.“
Er sei müde von „diesem Irrsinn“, den dieser aggressive Mob im Schlepptau von Donald Trump dem Staat aufzwänge. „Das muss man sich mal vorstellen: Da wählt ein demokratisches Land einen neuen Präsidenten und es scheint nicht mehr möglich zu sein, die Geschäfte vor Randalierern zu schützen - quasi direkt vor dem Weißen Haus. Beim Sturm aufs Kapitol sind damals, am 6. Januar 2021, sogar Menschen getötet worden.“ Was für ein „armseliges Bild“, das sein Land da abgebe.
Am Ende hofft der Rezeptionist aber, dass es nicht zu Gewalttätigkeiten kommen werde. „Passen Sie trotzdem gut auf sich auf, wenn Sie hier morgen und übermorgen wieder herkommen. Und viel Glück!“
Touristen und TV-Teams filmen zugenagelte Geschäfte nahe Weißem Haus
Falls alles ruhig bleiben sollte am Tag der Präsidentschaftswahl, dann dürfte das auch an den zahllosen Polizeieinheiten des Secret Service liegen, die hier um das Weiße Haus und den großen Park einen dichten Kordon aus Posten, Gittern und Absperrzäunen erreichtet haben, die am Montagabend zumindest teilweise noch passierbar waren.
Immer wieder halten Touristen vor den Sperrholzplatten an, die hier an diesem Block direkt gegenüber der Renwick Gallery und den angrenzenden Straßen einem halben Dutzend Geschäften Schutz bieten sollen, und fotografieren sie.
TV-Teams aus Japan filmen minutenlang gefühlt jeden Quadratmeter der Schutzwände ab. Chilenische Kollegen interviewen vor dem Lafayette Square einen Landsmann im Zweireiher, der wichtig aussieht. Am 5. November dürfte es hier überall von Polizei nur so wimmeln.
Finstere Aussichten: Bretterwand lässt Sandwich-Shop erblinden
Eine unheimliche Begegnung der besonderen Art erlebt, wer sich überwindet, an der 17th Street NW die Türklinke in der kinoleinwandgroßen Schutzverschalung nach unten zu drücken und in den Sandwich-Shop „Petbellys“ einzutreten. Das große Imbiss-Lokal hat ganz normal geöffnet, im Gegensatz zum Nachbarn „Peet's Coffee“ steht aber nirgendwo in tellergroßen Lettern „We're Open“, sondern nur auf einem DIN-A-4-Blatt mickrig in der Mitte.
Kaum steht man drinnen und hört die Tür ins Schloss fallen, wird man von einem beklemmenden Gefühl ergriffen: Die vier Meter hohe Fensterfassade ist komplett zugenagelt, weder Tages- noch Kunstlicht dringt von außen nach innen. Einsam und verloren isst eine dreiköpfige Familie, die Spanisch spricht, vor der finsteren Bretterwand.
„Total abgefahrene Zeiten“: Darnevon betet und hofft auf das Beste
Darnevon macht trotzdem einen vergnügten Eindruck, als er seinem Kollegen Brot für ein neues Sandwich reicht und sich dann dem Reporter zuwendet. Geübt im Blick aus Corona-Zeiten ahnt man, wie der junge Mann hinter seiner Atemmaske breit lächelt. „Hey Bruder, wie geht's? Heute erst angekommen? Willkommen, genieße es!“
Verrückt sei das mit diesen ganzen Schutzmaßnahmen, sagt der Mittzwanziger, „total abgefahrene Zeiten“. In der vergangenen Woche hätte der Besitzer die Spanplatten außen befestigt.
Ob er sich um seine Sicherheit sorge, will der Reporter wissen. „Also nach dem, was ich gehört habe, bin ich ein kleines bisschen besorgt, aber ich glaube an Gott und bete und hoffe das Beste“, sagt Darnevon etwas verzagt. Worauf sein Kollege lachend antwortet, ohne sich umzudrehen: „Das heißt so viel wie: Er hat Angst!“
Imbissbuden-Chef: „Alle alten Präsidenten sind weg. Aber ich bin immer noch da“
Ziemlich cool hingegen reagiert Nageb, ein 58 Jahre alter Afghane, der gerade direkt an der Ecke des Blocks eine kleine Hot-Dog-Bude für die Nacht vorbereitet, die Lebensmittel in seinen Wagen bringt und die Bude dann verschließt.
Er habe keine Angst, sagt er, und werde auf jeden Fall auch am Wahltag, am Tag danach und an allen folgenden seine Imbissbude wieder öffnen. „Ich vertraue ganz auf die Polizei und den Secret Service, die werden schon aufpassen, dass hier nicht passiert.“
Vor 34 Jahren sei er aus Afghanistan in die Staaten ausgewandert. Und ja, er habe gehört, dass inzwischen auch in Deutschland viele seiner Landsleute leben, seit die Taliban der Bevölkerung das Leben wieder schwer machten.
Was die Präsidentenwahl angehe, mache er sich ebenfalls keine Sorgen. „Als ich hier ankam, war 'Bush Daddy' im Amt, Bush Senior. Seit ich in den Staaten lebe, habe ich viele Präsidenten kommen und gehen sehen. Die alten sind alle weg, ich bin aber immer noch da“, sagt Nageb, nimmt seine letzte Hot-Dog-Kiste und verschwindet rau lachend und mit einer Hand winkend zu seinem Auto.