Folgen des Ampel-Bruchs - Plötzlich bewegt sich Scholz bei Neuwahlen - Experte analysiert die Kanzler-Taktik

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf Scholz<span class="copyright">Christophe Gateau/dpa</span>
Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Bundeskanzler Olaf ScholzChristophe Gateau/dpa

Trotz des Verlusts der Mehrheit will die Regierung weiterarbeiten, während Deutschland vor unsicheren Zeiten steht. Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder analysiert im Interview, was jetzt auf Deutschland zukommt.

Die Ampel-Koalition ist zerbrochen. Die FDP ist raus, SPD und Grüne bleiben. Kanzler Olaf Scholz hat nun bei Caren Miosga angekündigt , er könne sich auch einen früheren Termin für Vertrauensfrage und Neuwahl vorstellen. Aus der Union entgegnet man: Scholz solle „keine weiteren Nebelkerzen werfen, sondern zügig die Vertrauensfrage stellen“, so Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU.

Trotz des Verlusts der Mehrheit wird die Regierung aber in den nächsten Wochen weiterarbeiten. Deutschland steht vor unruhigen Zeiten. Wolfgang Schroeder, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kassel, erklärt im Interview mit FOCUS online, welche Taktik der Kanzler verfolgt und was auf Deutschland jetzt zukommt.

FOCUS online: Herr Schroeder, Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich in der Vertrauensfrage bewegt und eingeräumt, sie noch vor Weihnachten zu stellen und nicht wie zunächst angekündigt erst Anfang des Jahres. Wird der Druck jetzt zu groß?

Wolfgang Schroeder: Verfahrensfragen sind stets Machtfragen. Vielleicht hat er gedacht, dass er diesen Fahrplan so hinbekommt. Auf jeden Fall hätte er an die Zeitplanung kooperativer herangehen müssen.

„Eine schnelle Vertrauensfrage und Neuwahlen machen auf jeden Fall Sinn“

Die Opposition im Bundestag fordert die Vertrauensfrage jetzt und dann schnelle Neuwahlen.

Schroeder: Eine schnelle Vertrauensfrage und Neuwahlen machen auf jeden Fall Sinn angesichts der großen Herausforderungen, die angesichts der geopolitischen Lage existieren. Zugleich muss aber auch sichergestellt sein, dass die Vorbereitung und Durchführung unserer Wahl den von uns selbst gesetzten Qualitätsstandards entsprechen.

Das bedeutet?

Schroeder: Es ist zu berücksichtigen, dass die Parteien bis vor wenigen Tagen vom Wahltermin 25. September ausgegangen sind. Nach mir jetzt vorliegenden Schätzungen sind 40 bis 60 Prozent der Wahlkreise noch ohne Kandidaten. Und die Kandidatenauslese ist ein außerordentlich filigraner, vertrauensbasierter Prozess.

Nicht etablierte Parteien benötigen Unterschriftenlisten, die wiederum von den Gemeinden überprüft und anerkannt werden müssen. Und das BSW hat noch nicht einmal in allen Bundesländern Landesverbände. Wenn wir uns an die Defizite der Wahlen in Berlin erinnern, so sind die Warnungen im Hinblick auf die qualitätsorientierte Durchführung der Wahlen kein apokalyptisches Geschrei, sondern folgen erfahrungsgesättigten Argumenten.

Wolfgang Schroeder ist Professor für das politische System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Kassel.<span class="copyright">David Ausserhofer</span>
Wolfgang Schroeder ist Professor für das politische System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Kassel.David Ausserhofer

„Selbstbewusste und handlungsstarke Regierung muss so schnell wie möglich etabliert werden“

Gefährdet Scholz die Stabilität, wenn er erst spät Neuwahlen zulassen würde, wir also eine fertige Regierung mit Mehrheit im Parlament erst spät im neuen Jahr hätten? Der Krieg in der Ukraine, der politische Wechsel in den USA oder die Wirtschaftsflaute hierzulande machen bis dahin keine Pause.

Schroeder: Klar ist, dass eine eingespielte, selbstbewusste und handlungsstarke Regierung so schnell wie möglich etabliert werden muss. Solange dies nicht der Fall ist, ist dieses Land geschäfts- und handlungsfähig.

Zudem muss man berücksichtigen, dass wir eine Regierung so oder so erst frühestens im April haben werden. Insofern ist es müßig, darüber nachzudenken, wie schön es wäre, diese Regierung schon früher zu haben, sondern man muss alles daran setzen, dass die handelnden Personen durch kluges, transparentes und kooperatives Verhalten auch unter den schwierigen Bedingungen des Übergangs eine optimale Entscheidungsfähigkeit für dieses Land herstellen.

Zuletzt gab es 2005 vorgezogene Neuwahlen. Es war ebenfalls ein SPD-Kanzler, der die Vertrauensfrage stellte: Gerhard Schröder. Damals dauerte es auch mehrere Monate, bis die Bundesbürger erneut an die Wahlurne treten konnten.

Schroeder: Als Gerhard Schröder nach den NRW-Wahlen vom 22. Mai 2005 den Prozess der Auflösung der Regierung in Gang setzte, fanden die Bundestagswahlen am 18. September 2005 statt. Es waren rund vier Monate insgesamt, die ins Land gingen. Der jetzt vorgesehene Zeitplan intendiert eine kürzere Zeitspanne. Das ist recht sportlich.

„Diese Regierung hat nicht mehr über die notwendige Vertrauensgrundlage verfügt“

Wie einschneidend ist dieser Bruch letztlich für die deutsche Politiklandschaft?

Schroeder: Zunächst ist festzustellen, dass die Mehrheit der Bürger das Ende der Ampel-Regierung begrüßt hat. Wir alle haben gesehen, dass diese Regierung nicht mehr über die notwendige Vertrauensgrundlage verfügt hat. Insofern war das Ende eine Befreiung.

Die Bildung einer neuen Regierung braucht Zeit. Erklärt werden muss, warum das so ist und wie es gut und nachvollziehbar funktionieren kann. Gut wäre es, wenn die jetzt notwendigen Schritte im Konsens der zentralen Akteure vollzogen werden können. Dabei müssen wir aber auch berücksichtigen, dass Verfahrensfragen Machtfragen sind.

Könnte der Bruch der Ampel langfristige Auswirkungen auf das Vertrauen der Bürger in Koalitionsregierungen haben?

Schroeder: Ich glaube weniger, dass die Bürger ihr Vertrauen davon abhängig machen, ob zwei, drei oder vier Parteien in der Regierung sind. Ihre Erwartungen sind davon geprägt, dass gut regiert wird und anliegende Probleme nachvollziehbar bearbeitet werden. Wenn der Eindruck entsteht, dass das Land gut regiert wird, ist das Vertrauen da.

Allerdings führt eine Dreier-Konstellation, wie wir sie auch in früheren Koalitionen durch die zum Teil scharfen Konflikte zwischen CDU und CSU schon hatten, schneller zu erhöhten Spannungen. Dabei kann eine Rolle spielen, dass kleinere Parteien sich selbst in der Gefahr wähnen, an den Rand gedrängt zu werden, was bei ihnen zu martialischen, maximalistischen Programmen führen kann, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Dies erzeugt interne Konflikte, wie wir sie etwa in der FDP zwischen Volker Wissing und Christian Lindner erlebt haben.

Was muss also künftig besser laufen?

Schroeder: Grundsätzlich muss überlegt werden, wie Prozesse der Vertrauensbildung in Koalitionsregierungen besser gestaltet werden können. Bei der Ampel zeigte sich: Der Koalitionsvertrag alleine reichte nicht aus. Aber selbst so starke exogene Schocks, wie der Ukraine-Krieg oder das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. November 2023 wurden nicht zum Ausgangspunkt für eine Neujustierung der Regierungspolitik genutzt.

Prozesse der Vertrauensbildung müssen also einerseits permanent stattfinden, was im Alltagsbetrieb nicht en passant sicherzustellen ist; andererseits müssen außerordentliche Ereignisse auch zu gemeinsam erarbeiteten, sichtbaren Prioritätenverschiebungen genutzt werden.

Deshalb hat das moderne Koalitionsmanagement in der Bundesregierung zwei Punkte entwickelt. Erstens: den Koalitionsausschuss. Zweitens: die Meseberger Treffen. Das ist jedoch offensichtlich unzureichend. Es müssen also weitere und andere Formate der Vertrauens- und Stabilitätspolitik in Koalitionsregierungen entwickelt werden. Entscheidend sind am Ende starke Persönlichkeiten, die im Sinne gemeinsam verantworteter Handlungsfähigkeit wirken.