Folgen der Cannabis-Legalisierung - NRW-Wut auf Lauterbach: Großdealer kommen frei, Mocro-Mafia jubelt

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, spricht bei einer Pressekonferenz.<span class="copyright">Michael Kappeler/dpa</span>
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, spricht bei einer Pressekonferenz.Michael Kappeler/dpa

Die Versprechen von Karl Lauterbachs Cannabis-Gesetz konnten nicht eingehalten werden. In Nordrhein-Westfalen kämpfen Staatsanwälte jetzt mit tausenden neuen Strafakten und Großdealer werden einfach freigesprochen. Wird die Mocro-Mafia zum größten Nutznießer der Lauterbach-Novelle?

  • Im Video: Brutale Mocro-Mafia expandiert nach Deutschland - wer hinter der Drogenbande steckt

Wenn Staatsanwälte den Namen Karl Lauterbach hören, sträuben sich bei vielen die Nackenhaare nach oben. Was hatte der SPD-Bundesgesundheitsminister nicht alles mit der Einführung des liberalen Cannabis-Gesetzes versprochen? Die Kiffer wollte er entkriminalisieren, der legale Verkauf von Marihuana sollte den Schwarzmarkt austrocknen, in der Folge sollte das Geschäft der Drogenbanden abstürzen. Und zu guter Letzt würden Polizei und Justiz entlastet.

Gut drei Monate nach dem Start der Legalize-It-Novelle kann davon keine Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall. In NRW bekriegt sich die holländische Mocro-Mafia mit lokalen Rauschgiftbanden wegen 350 Kilogramm Marihuana. Geiselnahmen und Sprengstoffanschläge zeugen von einer nie dagewesenen Gewaltspirale.

Experten der Organisierten Kriminalität und auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) warnen vor brutalen Bandenkriegen. Holländische Drogennetzwerke überfluten demnach die hiesigen Metropolen an Rhein und Ruhr mit einer Cannabis- und Kokainschwemme.

Bereits Ende 2022 wies Reul im Interview mit der „FAZ“ darauf hin, dass alles, was von den Legalisierungsbefürwortern versprochen werde, „durch die Wirklichkeit vor allem in den Niederlanden“ längst widerlegt sei. „Dort hat die libertäre Cannabispolitik zu einer drastischen Verschärfung der gesamten Rauschgiftkriminalität bis hin zu Bandenkriegen und Morden geführt.“

Lauterbach-Novelle hat zu eklatanter Mehrbelastung der Justiz geführt

Damit nicht genug. Die Lauterbach-Novelle hat auch zu einer eklatanten Mehrbelastung der Justiz geführt: Weil das neue Gesetz den Besitz bis zu einer Menge von 50 Gramm Gras erlaubt, müssen Staatsanwälte zehntausende Strafakten bereits verurteilter Dealer und Ganoven durchkämmen, um die Cannabis-Vorwürfe zu streichen und das Strafmaß durch Gerichte absenken zu lassen. Immer neue Aktenkonvolute hindern die Ankläger daran, ihren eigentlichen Aufgaben nachzugehen: der Strafverfolgung.

Inzwischen tut sich ein neuer gravierender Handwerksfehler im Ampel-Cannabis-Paragrafen auf: Zahlreiche Strafprozesse gegen Drogendealer gehen den Bach herunter. So hat das Landgericht Mannheim am 12. April einen 36-jährigen Angeklagten freigesprochen, der fast eine halbe Tonne Marihuana im Wert von knapp zwei Millionen Euro nach Deutschland geschmuggelt haben soll, wie der „SWR“ berichtete.

Als einziger Beweis dienten der Anklage via Encrochat-Software verschlüsselte Nachrichten über Krypto-Handys. 2020 war es französischen und holländischen IT-Technikern der Polizei gelungen, die Server der Gangster-Chats zu knacken. Dadurch filterten sie zigtausende kompromittierende Messenger-Nachrichten von Großdealern heraus. Im Glauben, dass Encrochat sicher sei, plauderten die Gangster ganz offen über ihre Verbrechen.

Allein in Deutschland wurden bis Ende Juni 4100 Enrochat-Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dies teilte das Bundeskriminalamt auf FOCUS-online-Anfrage mit.

Schmuggel hunderter Kilogramm „Gras“ noch ein Kapitaldelikt?

Bei reinen Cannabis-Fällen allerdings verunsichert die Strafverfolger zunehmend, wie die Justiz in großen Fällen weiterhin urteilt. Das Landgericht Mannheim berief sich mit seinem Freispruch auf eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof. Demnach ist die Auswertung von Encrochat-Daten nur möglich, wenn es sich um besonders schwere Straftaten handelt.

Im Kern geht es um den Paragraf 100b der Strafprozessordnung, der Online-Durchsuchungen regelt. Nach Einführung der Lauterbach’schen Cannabis-Liberalisierung zweifeln zahlreiche Strafkammern an, dass es sich beim Schmuggel hunderter Kilogramm „Gras“ noch um ein Kapitaldelikt handelt, in dem kriminelle Encrochat-Mitteilungen im Prozess verwertbar sind.

Nun stellen sich etliche Staatsanwaltschaften in NRW und anderen Bundesländern die Frage, wie Justiz und Polizei fortan mit diesen Fällen umgehen, die sich um die illegale Einfuhr von Marihuana oder Haschisch im großen Stil drehen.

Im Rheinland zum Beispiel winkten die Richter die Encrochat-Fälle bisher durch. Kürzlich erst verurteilte das Landgericht Düsseldorf einen 34-jährigen Dealer aufgrund der entschlüsselten Krypto-Nachrichten zu fünf Jahren. Der Angeklagte hatte Gras und Haschisch im dreistelligen Kilobereich aus den Niederlanden eingeschmuggelt. Auch die Kölner Kollegen kamen zu einem ähnlichen Schluss.

Das Freiburger Landgericht (Urteil), das Stuttgarter Oberlandesgericht sowie das Berliner Kammergericht (Beschlüsse) hingegen ließen die Täter frei. Begründung: Seit dem neuen Cannabis-Gesetz gelten Marihuana und Haschisch nicht mehr als Betäubungsmittel. Folglich sind Online-Abhörmaßnahmen ausgeschlossen.

Warnungen vor einer Freilassungswelle von Cannabis-Großdealern

Die CDU-Landesjustizminister laufen Sturm gegen diese Regelung. Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Berlin warnen vor einer Freilassungswelle von Cannabis-Großdealern, die einzig durch Encrochat-Daten überführt wurden. Vehement fordern die Unions-Politiker Bundesjustizminister Marco Buschmann dazu auf, den Online-Abhör- nebst dem Legalize-it-Paragrafen nachzubessern.

Buschmann aber sieht keinen Handlungsbedarf. Sein NRW-Amtskollege Benjamin Limbach (Grüne) will ebenfalls auf die höchstrichterliche Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof warten.

Da bleibt der Jurist streng auf Parteilinie. Das umstrittene Cannabis-Gesetz durch den SPD-Bundesgesundheitsminister erfährt nirgends sonst so viel Zuspruch in den Ampel-Koalitionsreihen wie unter den Grünen.

„Ausgerechnet Drogendealer sind jetzt Nutznießer des neuen Cannabis-Gesetzes"

Die Encro-Chat-Cannabis-Gesetzeslücke sorgt in Unionskreisen für harsche Kritik: Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges gilt als eine der Vorreiterinnen für eine Neuregelung, um auch weiterhin Großdealer stellen zu können. „Gerichte gelangen zu der Überzeugung, dass sie Angeklagte freisprechen müssen, und zwar nicht, weil die Taten nicht strafbar wären, sondern weil die rechtmäßig gewonnenen Ermittlungsergebnisse mit dem neuen Gesetz nicht mehr für eine Verurteilung verwertet werden können“, erklärt die CDU-Politikerin.

„Ausgerechnet Drogendealer, die im großen Stil gegen unsere Gesetze verstoßen, sind jetzt Nutznießer des neuen Cannabis-Gesetzes der Ampel-Regierung. Das ist ein fatales Signal“, führt Gentges aus. „Dass der Bundesjustizminister, an den ich mich bereits gewandt habe, dennoch keinen Handlungsbedarf erkennen und zunächst ganz allgemein höchstrichterliche Klärungen der mit der neuen Rechtslage verbundenen Fragen abwarten will, ist falsch. Es ist Aufgabe der Regierung, für Rechtsklarheit zu sorgen.“

Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) geht noch ein Stück weiter: Seitdem das Lauterbach-Gesetz in Kraft trat, sei eines klar: „Es ist handwerklich schlecht gemacht und verfehlt unter anderem das Ziel, die Justiz tatsächlich zu entlasten“, moniert die CDU-Politikerin.

„Es ergeben sich drängende Rechtsfragen und mögliche Regelungslücken. Das führt dazu, dass sogar die Verurteilung von Drogenhändlern im großen Stil infrage steht. Bei so einer unklaren Rechtslage muss die Politik ihrer Verantwortung gerecht werden und sofort tätig werden. Sie darf nicht erst auf höchstrichterliche Rechtsprechung warten.“