Wenn der frühe Vogel nichts schafft - Warum frühes Aufstehen die Produktivität ruiniert und wie es besser geht
Wie wir unseren Tag strukturieren, hat enormen Einfluss auf unsere Leistungsfähigkeit. Business-Coach und Neurowissenschaftler Dr. Frederik Hümmeke erklärt, wie Chronotypen unseren Biorhythmus prägen und was das für unsere Produktivität bedeutet.
Was ist der 4am-Club und wie kann früh Aufstehen die Produktivität steigern?
Der 4am-Club (oder auch der 5-Uhr-Club) basiert auf dem Konzept, den Tag sehr früh zu beginnen, vor allem, um persönliches Wachstum zu fördern. Der Kerngedanke ist, dass die ruhigen Stunden am frühen Morgen die ideale Zeit für Selbstreflexion, Lektüre und Planung ohne Ablenkungen bieten. Es ist natürlich kein wirklicher Club, sondern eine Selbstbezeichnung von Menschen, die eben typischerweise um 4 oder 5 Uhr morgens aufstehen, um sich diesen Aktivitäten zu widmen, bevor der restliche Tag beginnt.
Kann das funktionieren und macht es wirklich produktiver? Zumindest bietet der frühe Morgen eine ruhige Zeit, in der man sich ohne Unterbrechungen auf bestimmte Aufgaben konzentrieren kann, die persönliche Entwicklung fördern. Und wer den Tag früh beginnt, hat häufig bereits viel erreicht, bevor andere überhaupt aufstehen. Und das fühlt sich für viele Menschen gut an.
Auf der anderen Seite werden die meisten Menschen aber auch früher müde. Und dann sollte man früher ins Bett gehen. Für die meisten Menschen ein Nullsummenspiel. Dem Tag lassen sich nur mehr Stunden geben, wenn man entweder ein sehr schwach ausgeprägtes eigenes Schlafbedürfnis hat - oder es bekämpft, zu dem Preis, dass man chronisch müde ist. Chronischer Schlafmangel führt allerdings zum Gegenteil von Produktivität, zumindest wenn Sie für Ihre Produktivität Ihren Kopf benötigen.
Schlafmangel macht neben vielen anderen Dingen nämlich nachweislich dumm. Wenn Sie eine körperliche Tätigkeit ausführen, bei der es insgesamt nicht so darauf ankommt, und die gibt es sowieso nicht mehr, könnten Sie eventuell ein bisschen länger durchhalten. Aber auch Sie würde die Erschöpfung eher früher als später einholen. Lässt sich also durch frühes Aufstehen die eigene Produktivität steigern? Meine persönliche Antwort lautet nein. Wenn Sie sowieso aufgrund ihres natürlichen Rhythmus oder weil Sie früh zu Bett gehen, früh wach werden und in den Tag starten, ist alles gut. Wenn Sie sich dazu zwingen müssen, verlassen Sie den Club.
Daran, dass er für manche Menschen funktionieren kann, für viele andere aber nicht und wieder andere es gut ein paar Tage aushalten, dann aber wieder switchen, sehen Sie, dass Menschen ganz unterschiedliche Schlafbedürfnisse haben. Ein Konzept, das allen das gleiche Schlafbedürfnis in Bezug auf Schlafens- und Aufstehzeit vorgeben will, kann deshalb gar nicht für alle Menschen gleich gut funktionieren.
Wie kann das Wissen um Eulen- und Lerchentypen helfen, unser Zeitmanagement zu verbessern?
Das Wissen um Eulen- und Lerchentypen (in der Forschung wird neben dem M-Typ für Morning und E-Typ für Evening noch der N-Typ als Zwischentyp unterschieden) hilft nur dann unser Zeitmanagement zu verbessern, wenn wir es uns und unseren Kollegen wie Mitarbeitern erlauben, dass Tagesabläufe an individuelle biologische Rhythmen angepasst werden.
Lerchentypen, oder Morgenmenschen, sind oft schon früh am Tag aktiv und leistungsfähig. Sie können ihre anspruchsvollsten Aufgaben am besten in den frühen Morgenstunden erledigen und sollten diese Zeiten für wichtige und konzentrationsintensive Tätigkeiten reservieren. Im Gegensatz dazu kommen Eulentypen, oder Abendmenschen, erst später am Tag in Schwung und erreichen ihre Höchstleistung oft erst am Nachmittag oder Abend.
Wenn man beispielsweise ein Lerchentyp ist, könnte man Meetings und weniger wichtige Aufgaben für den Nachmittag einplanen und die Morgenstunden für produktive Soloarbeit nutzen. Eulentypen hingegen könnten kreative Aufgaben oder Planungen in die Abendstunden legen, wenn ihr geistiges Leistungsvermögen am höchsten ist. Indem man seinen Arbeitstag entsprechend seines Chronotyps strukturiert, kann man die Effizienz erhöhen und die Produktivität steigern.
Zudem ermöglicht das Verständnis über die verschiedenen Typen, dass Teams die unterschiedlichen Arbeitsrhythmen ihrer Mitglieder respektieren und nutzen können. Wenn Teammitglieder zu unterschiedlichen Tageszeiten am leistungsstärksten sind, kann das zu einer kontinuierlichen Arbeitsleistung über den gesamten Tag hinweg führen. Arbeit und Meetings lassen sich so planen, dass alle ihre individuellen Höhepunkte der Produktivität erfahren können, was wiederum zu einer verbesserten Zusammenarbeit und einer Steigerung der gesamten Teamleistung führt.
Wichtig ist: Wenn du etwa als Abendmensch zwar die richtige Schlafmenge bekommst, aber zu früh ins Bett gehst und zu früh aufstehst, können darunter deine Produktivität und Gesundheit leiden. Nicht nur die Schlafmenge ist wichtig, für die Gesundheit und Produktivität, sondern auch der richtige Schlaf-Zeitpunkt. Die pauschale Empfehlung an alle immer früh aufzustehen, ist gefährlich.
Welche Rolle spielt die Schlafqualität für die Produktivität und wie können wir diese verbessern?
Schlafqualität spielt eine entscheidende Rolle für die Produktivität. Dr. Matthew Carter, ein bekannter Neurowissenschaftler und Schlafforscher, wird zitiert mit den Worten: „You’re able to get more done on a good night's sleep, not less.“ Auf Deutsch: Du schaffst mehr, wenn du gut geschlafen hast, nicht weniger."
Und da hat er vollkommen recht, die Forschungslage ist da sehr eindeutig. Guter Schlaf ist für das körperliche Wohlbefinden und die kognitive Funktion essenziell. Umso wichtiger ist es, unsere Schlafqualität auch im Sinne eines optimalen Energiemangements (Energie meint hier die neuronale Aktivierung und Handlungsenergie) zu verbessern. Hier sind sieben Möglichkeiten:
Morgens Licht optimieren: Morgens direkt ins Sonnenlicht. Auch Tageslichtlampen können in der dunklen Jahreszeit helfen.
Abends Licht optimieren. Verzichten Sie auf blaues Licht, dimmen Sie überhaupt herunter.
Bewegung optimieren: Intensiven Sport sollten Sie spätestens fünf Stunden vor dem Schlafengehen erledigt haben.
Essen optimieren: Drei bis fünf Stunden vor dem Schlafengehen sollten Sie keine schwere Mahlzeit mehr einnehmen.
Routinen optimieren: Gehen Sie möglichst IMMER zur gleichen Zeit schlafen.
Setting optimieren. In Ihrem Schlafzimmer sollte es dunkel und kühl sein.
Planen Sie Ihre Schlafphase konsequent nach Ihrem Chronotypen
Was sind Chronotypen und wie beeinflussen sie unseren Biorhythmus?
Unser Körper folgt einem bestimmten biologischen Rhythmus. Alle möglichen Stoffwechselprozesse werden, je nach Tageszeit, entsprechend diesem Biorhythmus immer wieder angepasst. So wird zum Beispiel morgens, wenn wir wach werden, eine kleine Stressreaktion ausgelöst, die den Körper wach macht.
Der Biorhythmus ist nichts anderes, als eine von der Tageszeit abhängende, sehr komplexe, sich mit der Zeit verändernde Konfiguration unseres Körpers. Wenn wir unsere täglichen Aktivitäten, vom Schlaf über das Essen bis zum Sport und viele weitere, an den Biorhythmus anpassen, dann fällt es uns leichter, durch den Tag zu gehen und wir leben auch gesünder. Das zu tun nenne ich BioTimeBoxing.
Der Biorhythmus hängt sehr stark von dem sogenannten Chronotyp ab. Jede Zelle in unserem Körper hat so etwas wie eine eigene kleine Uhr. Das ist nötig, damit verschiedene Stoffwechselvorgänge, die in unterschiedlichen Geweben stattfinden, koordiniert laufen können. Diese Uhr wird durch eine bestimmte Gehirnregion (den 'Suprachiasmatic Nucleus' der sich im Hypothalamus befindet, direkt über der Kreuzung der Sehnerven) zwar täglich neu 'eingestellt', aber der Effekt ist nicht beliebig groß. Im Ergebnis haben wir eine ziemlich stabile Präferenz, zu welcher Zeit wir idealer weise was tun. So hängt unser Biorhythmus direkt vom Chronotyp ab.
Menschen mit ähnlichen Schlafbedürfnissen kategorisieren wir nach den Chronotypen. Die Verteilung der Chronotypen in der allgemeinen Bevölkerung ist nicht exakt, da sie aufgrund verschiedener Faktoren, wie Alter oder Lebensstil, variieren kann. Allerdings gibt es ungefähre Schätzungen:
Morgenmenschen ("Lerchen", M-Typ): Schätzungsweise könnten etwa 10-30 Prozent der Bevölkerung Lerchen sein. Diese Personen fühlen sich am Morgen am wachsten wie produktivsten und tendieren dazu, früh zu Bett zu gehen und früh aufzustehen.
Abendmenschen ("Eulen", E-Typ): Ebenfalls wird angenommen, dass etwa 20-30 Prozent der Menschen zu den Abendtypen gehören. Sie erreichen ihre geistige und physische Leistungsspitze eher in den Abendstunden und neigen dazu, spät zu Bett zu gehen und später am Morgen oder erst am Nachmittag aufzuwachen.
Neutrale Chronotypen ("Tauben", N-Typ): Das ist gewissermaßen der Zwischentyp, weder ganz früh, noch ganz spät. Die Mehrheit der Menschen fällt in diese Kategorie, möglicherweise 50 Prozent oder mehr.
Wie kann man sich seinem Biorhythmus anpassen, um wirksamer und produktiver zu werden?
Erster Schritt um sich wieder mit dem eigenen Biorhythmus in Einklang zu bringen ist, herauszufinden, was für ein Chronotyp Sie sind. Um herauszufinden, welcher Chronotyp Sie sind und um Ihre Schlafgewohnheiten wieder mit Ihrem Biorhythmus in Einklang zu bringen, gibt es neben einem Besuch im Schlaflabor ein paar ganz einfache Möglichkeiten.
Stellen Sie sich zuerst die Frage, ob Sie gerade müde sind. Wenn Sie müde sind, schlafen Sie zu wenig. Ob Sie früher ins Bett gehen sollten, oder länger schlafen oder beides zusammen, finden Sie heraus, in dem Sie an eine Lebensphase zurückdenken, in der Sie typischerweise nicht durch soziale Zwänge (Arbeit, Kinder, Hund) beeinflusst waren. Wie war das als Student oder gar als Kind?
Zuverlässiger, da sich der Biorhythmus und Schlafgewohnheiten im Laufe des Alterns verschieben können, ist es, sich mal eine Auszeit zu nehmen. Wie und wann schlafen Sie in der zweiten Woche Urlaub, wenn sie dann ins Bett gehen, wenn sie müde sind, und ohne Wecker schlafen? Wann werden Sie ausgeschlafen wach, wenn Sie sich nicht zur Einhaltung von Uhrzeiten zwingen, sondern stattdessen nur Ihren natürlichen (Schlaf-)Bedürfnissen folgen. Wann werden Sie dann müde? Welches Muster entsteht in dieser Woche?
Diese Erkenntnis, nämlich Ihre ideale Schlafenzeit, ist der Schlüssel zu mehr Produktivität. Je mehr Sie dann auch nach der Auszeit in dem Zielzeitfenster schlafen, umso besser wird es ihnen gehen. Das steigert automatisch auch die Produktivität. Ständig gegen unseren Biorhythmus zu arbeiten, kostet Kraft und Energie. Anstatt die natürliche Produktivität zu nutzen, kämpfen wir dann gegen unsere eigene Biologie. Wer dann noch am Tag entsprechend dem Biorhythmus sich die Aufgaben einteilt, wird noch produktiver.
Wir unterscheiden zwischen Kreativphasen, Abarbeitungsphasen, Konzentrationsphasen und Aktivitätsphasen. Außerdem wollen wir noch Essensphasen und Sportphasen unterbringen. Die Einteilung des Tages nach solchen Slots ist das sogenannte BioTimeBoxing. Damit kann man einem gesunden Flow des Tages folgen, der individuell ist. Daher nenne ich es „Follow your Flow“. Es ermöglicht bei sorgfältiger Planung höchste Effizienz und unglaubliche Produktivitätssteigerungen.
Surftipp: Luke Mockridge - Darf man über alles lachen? Ein Philosoph gibt überraschende Antworten