Fragen und Antworten - Intel verschiebt Chip-Fabrik in Magdeburg - jetzt beginnt der Kampf um die Milliarden
Intel verschiebt seine geplante Fabrik in Magdeburg. Hintergrund könnte ein Angebot der US-Regierung sein. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) diskutieren, was sie mit den bereits zugesagten zehn Milliarden Euro an Fördergeldern machen sollen. Alle Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Magdeburg: Was steckt hinter Intels Aufschiebung?
Intel hat wohl andere Projekte höher priorisiert. Der Konzern soll sich laut Medienberichten mit der US-Regierung über Milliardenhilfen für die Chip-Produktion in den USA geeinigt haben. Diese hatte im Rahmen des „Chips and Science Acts“ Intel bereits insgesamt 20 Milliarden US-Dollar zugesagt. Nun stehen weitere 3,5 Milliarden Dollar im Raum. Das Verteidigungsministerium will die Halbleiter für Militär und Geheimdienst nutzen.
Intel galt schon länger als Favorit für den Zuschlag. Am Montag berichteten Medien erstmals über eine konkrete Zusage der Regierung. Diese Berichte decken sich zeitlich mit der Meldung über die Verschiebung des deutschen Werkes.
Viele Beobachter vermuten daher einen Zusammenhang. Der einstige Marktführer Intel geriet in den vergangenen Jahren finanziell unter Druck. Unlängst verkündete CEO Pat Gelsinger, 15.000 Mitarbeiter zu entlassen - knapp jeden sechsten - und zehn Milliarden US-Dollar einsparen zu wollen.Immer mehr Unternehmen entwarfen eigene Chips und ließen diese bei anderen Firmen fertigen. Gut möglich, dass Gelsinger daher Prioritäten setzen muss, meinen Beobachter. Die Milliarden der US-Regierung bedeuten dem Unternehmen mehr. Das US-Militär gilt als sicherer, zahlungskräftiger Auftraggeber. Deutschland muss warten.
Intel konzentriere sich lieber auf Großprojekte wie die jüngst bekanntgegebenen KI-Chips, die die Firma für Amazon bauen will und die die US-Regierung fördert, sagt Christian Rusche vom IW Köln auf Anfrage. Diese sicheren „Großabnehmer waren in Magdeburg eben nicht zu sehen. Zudem muss der Standort in den USA nicht neu entwickelt werden.“
Kommt die Intel-Chip-Fabrik denn überhaupt?
Vorerst hat Intel das Projekt für zwei Jahre auf Eis gelegt. Konzernchef Pat Gelsinger machte aber deutlich, dass dies nur eine Schätzung auf Basis der erwarteten Nachfrage sei. Ob der Konzern in zwei Jahren an der Fabrik festhält, ist offen. Grundsätzlich könnte er sie aufgeben. Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) glaubt weiter an eine Zukunft von Intel in Magdeburg.
Gegen eine Aufgabe spricht, dass der kriselnde Chip-Riese die Fabrik eigentlich für sein neues Geschäftsmodell braucht. Statt weiter eigene Chips zu entwickeln, planten die Amerikaner, künftig Chips für andere Unternehmen zu bauen. Damit erzielen die Unternehmen bessere Leistungen als mit Standardchips. Ihnen fehlen aber meist die Möglichkeiten, eigene Chips herzustellen. Die Chips bei anderen Firmen in Lizenz fertigen zu lassen, scheint daher das Modell der Zukunft.
So macht unter anderem der taiwanesische Fertiger TSMC seine Geschäfte. TSMC ist eine sogenannte „Foundry“, eine „Gießerei“ für Halbleiter, und stellt als Auftragsfertiger etwa die Chips des US-Konzerns Nvidia her. Der Erfolg von TSMC und Nvidia setzt Intel enorm unter Druck.
Weltweit wolle der Konzern seine Kapazitäten ausbauen und seine Lieferketten solide aufstellen. Allein auf militärische Aufträge können sich die Amerikaner dafür kaum stützen. Das spricht für eine Zukunft der Magdeburger Fabrik. Auch die deutschen Fördermilliarden scheinen für einen angeschlagenen Konzern zu verlockend, um das Projekt komplett zu streichen.
Gegen die Fabrik spricht, dass in der schnelllebigen Chipwelt und angesichts von Intels angeschlagenen Finanzen kann niemand garantieren kann, dass die Amerikaner das Werk in Magdeburg in zwei Jahren noch brauchen und finanzieren können. In dieser Zeit kann viel passieren. Die USA wählen unter anderem einen neuen Präsidenten. Niemand weiß, welche Anreize das neue Staatsoberhaupt Intel bietet. Weitere Aufschübe oder gar eine Absage bleiben also möglich.
Zehn Milliarden Euro: Was wird jetzt aus den Fördergeldern?
Das ist noch unklar. Finanzminister Lindner will das Geld zurück in den klammen Haushalt fließen lassen. Dort könnte es die Bundesregierung gut gebrauchen: Derzeit klafft im Haushalt eine Lücke von rund zwölf Milliarden Euro. Die Intel-Förderung könnte den Fehlbetrag auf zwei Milliarden Euro senken. Da nie alle Ministerien die ihnen zugesagten Mittel vollständig abrufen, dürfte das ausreichen, um das kommende Jahr ohne ungeplante Schulden zu beenden.
Wirtschaftsminister Habeck äußerte daran jedoch Bedenken: Die Milliarden sollten aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) fließen. Dieses Sondervermögen hat die Bundesregierung mit Schulden an der Schuldenbremse vorbei finanziert. Dieses Vorgehen ist ausdrücklich erlaubt, aber für Notsituationen vorgesehen. In Sondervermögen bereitgestellte Gelder darf die Bundesregierung daher nur für die Notsituationen verwenden, für die das Parlament selbige auch bewilligte.
Erst im November vergangenen Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht den zweiten Nachtragshaushalt der Ampelkoalition für das Jahr 2021 deswegen für nichtig erklärt: Darin hatte die Bundesregierung 60 Milliarden Euro umnutzen wollen: Diese waren für das Sondervermögen zur Bewältigung der Corona-Pandemie bewilligt, aber nicht genutzt worden. Die Regierung wollte sie in den KTF übertragen. Geht nicht, entschied das Bundesverfassungsgericht.
Die jetzige Situation unterscheidet sich von der damaligen, weil Lindner die Milliarden von einem Sondervermögen in den Haushalt übertragen will statt in ein anderes Sondervermögen. Dadurch würde die Bundesregierung das Geld für alltägliche Geschäfte ausgeben, statt für eine andere Krisenlage. Dass dies den Transfer vereinfacht, scheint eher unwahrscheinlich.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) schloss die Verwendung der Mittel im Haushalt nicht aus, sprach sich aber auch nicht dafür aus. „Jetzt gibt es keinen Anlass, von einem Tag auf den anderen zu sagen, wie wir damit einzeln umgehen“, sagte er während seines Kasachstan-Besuchs.
Die von FOCUS online befragten Experten wollten sich zur Rechtmäßigkeit einer Umwidmung nicht äußern.
Was hatte Intel in Magdeburg geplant?
Intel wollte in Magdeburg für rund 30 Milliarden Euro zwei Fabrikhallen bauen, die Chips mit einer Größe von 1,5 Nanometern fertigen. Laut Experten die modernste verfügbare Technologie. Baubeginn sollte Ende 2025 sein, Produktionsbeginn 2027.
Braucht die Bundesregierung das Intel-Werk in zwei Jahren noch?
„Eine moderne Industrieproduktion im Halbleiterbereich vor Ort zu haben, ist aus mehreren Gründen sinnvoll“, sagt Alexander Schiersch vom DIW Berlin. Es sichert den Standort und der Halbleitermarkt solle laut Prognosen mindestens bis ins 2030 massiv wachsen. Mit der Verschiebung der Intel-Fabrik drohe „ein Produktionsstandort in einem wichtigem Zukunftsmarkt verloren zu gehen“.