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Frankreich nach den Terrorattacken: Wir lassen uns nicht unterkriegen

Place de la République: Gedenkort für die Opfer der Terrorattacken (Bild: Yahoo)

Nach den Terrorattacken vom vergangenen Freitag stehen die Franzosen unter Schock. Doch sie wollen sich nicht unterkriegen lassen – und den Terror bekämpfen, auf ihre eigene Weise.

Von Lisa Louis, Paris

Im Quartier um den Place de la République im Norden von Paris scheint alles in geordneten Bahnen zu verlaufen. Auf den ersten Blick merkt man gar nicht, dass nicht weit von hier am vergangenen Freitagabend um die 130 Menschen ums Leben gekommen sind. Die Leute gehen wie jeden Montagmorgen zur Arbeit. Viele Geschäfte sind geöffnet. Auf den Straßen herrscht reger Verkehr. Doch die Blicke der Menschen sind gesenkt. Kein Lächeln ist auf ihren Gesichtern zu sehen. Einige haben verquollene Augen. Und immer wieder sieht man Geschäfte, die mit Gittern und Ketten verriegelt sind. Der Schock von Freitag Abend sitzt der Stadt noch immer tief in den Knochen.

Anna Bourillon ging eigentlich fast jeden Abend in die Bar gleich neben dem Carillon. (Bild: Yahoo)
Anna Bourillon ging eigentlich fast jeden Abend in die Bar gleich neben dem Carillon. (Bild: Yahoo)

Anna Bourillon hat jetzt eigentlich Unterricht in ihrer Designschule Ecole Duperré, die gleich um die Ecke vom Place de la République ist. Aber den Morgen hat sie sich freigenommen. Sie steht vor der Statue der Nationalfigur Marianne auf dem Platz. Gemeinsam mit Dutzenden anderen Trauernden. „Ich habe das Gefühl, es ist für alle hier so, als ob wir Angehörige unserer Familie verloren hätten“, sagt die 18-Jährige. Ihre Hände zittern. Immer wieder wischt sie sich eine Träne aus den Augen.

Alle hier haben Angst

„Ich weiß, wir sollen keine Angst haben und einfach so weitermachen wie immer. Aber ich habe Angst – alle hier haben Angst“, fügt sie hinzu.

Seit den Attacken auf Charlie Hebdo ist der Place de la République zum Gedenkort für die Opfer von Terrorattacken geworden. Menschen haben auch jetzt hier wieder Kerzen aufgestellt und Poster aufgehängt. „Même pas peur“ (Wir haben doch keine Angst vor Euch) oder auch „Paix et Amour“ (Frieden und Liebe) steht dort. Straßenkünstler haben auf eine Holzwand die Devise der Stadt Paris gemalt: „Fluctuat Nec Mergitur“ steht dort, also „[Das Schiff wurde] Vom Sturm gebeutelt, aber es ist nicht gesunken“.

Bourillon hatte von den Attacken am Freitagabend erst einmal gar nichts mitbekommen. Sie schlief schon. Erst am nächsten Morgen sah sie all die Nachrichten auf ihrem Handy. Ihre Freunde hatten verzweifelt versucht, sie zu erreichen. Ihr Vater hatte sie nachts sechs mal angerufen. Alle wussten ja, dass Bourillon fast jeden Abend in die Bar gleich neben dem Carillon ging. Bei der Schießerei vor der Bar sind ein Dutzend Menschen ums Leben gekommen. Bourillon war aber am Freitag zu müde zum Ausgehen gewesen und früh nach Hause gegangen. Das hatte ihr vielleicht das Leben gerettet.

Ein Freund der Familie war im Bataclan

Ein Freund der Familie hatte kein Glück. Der Kameramann Mathieu Hoche war an jenem Abend im Konzertsaal Bataclan gewesen. Dort hatten mindestens drei Selbstmordattentäter bei einem Rockkonzert ein Blutbad angerichtet. Und fast 100 Menschen getötet. Bourillons Vater, selbst Regisseur, war mit Hoche befreundet. „Ich habe meinen Vater noch nie so erlebt wie jetzt. Er ist ganz fieberhaft, und ich hab ihn zum ersten Mal weinen sehen“, sagt Bourillon.

Mathilde Morieres: Dreht alle die Musik ganz laut auf und tanzt durch die Wohnung. (Bild: Yahoo)
Mathilde Morieres: Dreht alle die Musik ganz laut auf und tanzt durch die Wohnung. (Bild: Yahoo)

Der Bataclan ist weniger als ein Kilometer entfernt vom Place de République. Der Ort ist weiträumig abgesperrt. Auch hier, an den Gittern der Absperrungen haben Menschen Blumen und Kerzen niedergelegt. Mathilde Morières ist mit ihrer vierjährigen Tochter hier. Beide haben weiße Rosen in der Hand. Die Tochter sollte jetzt eigentlich in der Vorschule sein. Aber Mathilde will die Schweigeminute an diesem Montagmittag mit ihr zusammen verbringen. Dann wird sie der Kleinen auch, in einfachen Worten, erklären müssen, was da Freitag passiert ist.

„Sie haben uns alle angegriffen“

„Die Attacken auf Charlie Hebdo im Januar waren schon schrecklich genug – man hat da Journalisten und Juden angegriffen“, sagt die 35-Jährige, die als Cutterin beim Fernsehen arbeitet. „Aber dieses Mal sind die Angreifer noch weiter gegangen. Sie haben uns alle angegriffen – unsere Art zu leben, unsere gesamte Gesellschaft.“

Für Morières befindet sich das Land an einem Scheidepunkt. „Unsere Generation wird dieses Jahr der Terrorattacken ganz sicher nicht vergessen“, sagt sie.
„Unser Land führt zwar in einigen Regionen der Welt Krieg, aber das haben wir bisher gar nicht richtig realisiert – es war so weit weg. Aber jetzt ist der Krieg nach Hause gekommen.“

Tanzen gegen den Terror

Frankreich hat als Antwort auf die Attacken in der vergangenen Nacht erneut Luftanschläge gegen den sogenannten Islamischen Staat in Syrien geflogen. Außerdem hat die Regierung in ganz Frankreich fast 170 Razzien durchgeführt. Präsident François Hollande hat in einer Rede am Montag angekündigt, dass man in den kommenden Wochen weitere Luftanschläge fliegen und Razzien durchführen werde.

Aber Morières denkt, dass jeder etwas dafür tun muss, damit der Terror endlich ein Ende nimmt. „Wir müssen uns mehr engagieren, einander helfen und unseren Kindern beibringen, wie wichtig ein gutes Zusammenleben ist“, meint sie. Wenn die Gesellschaft gerechter werde, gebe es schließlich auch weniger Grund, um Terrorattacken durchzuführen.

Für Bourillon ist es nun wichtig, den Terroristen zu zeigen, dass die Franzosen sich nicht unterkriegen lassen. „Dreht alle die Musik ganz laut auf und tanzt durch die Wohnung – das ist unser Lebensstil, und den werden wir uns nicht nehmen lassen“, sagt sie. „Wir vereinigen uns gegen diejenigen, die uns verrückt machen wollen. Wir gehen weiter in Bars und werden vor diesem gesammelten Hass nicht kapitulieren!“

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