Franz Beckenbauer: Wie die Lichtgestalt ins Zwielicht geriet

Am Donnerstag gab es eine Razzia in Franz Beckenbauers Anwesen in Salzburg

Um den Kaiser tost der größte Skandal seines Lebens: Die Schweizer Justiz hat Franz Beckerbauer (70) in der Mangel. Ihre Bundesanwaltschaft hat gegen einen der bekanntesten lebenden Deutschen ein Ermittlungsverfahren wegen des "Verdachts des Betrugs, der ungetreuen Geschäftsbesorgung, der Geldwäscherei sowie der Veruntreuung" eingeleitet. Auch gegen die früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger (71) und Wolfgang Niersbach (65) sowie den Ex-DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt (74) und den Beckenbauer-Vertrauten Fedor Radmann (71) wird ermittelt.

Mit Franz Beckenbauer ist eine fast sagen- und legendenumwobene Lichtgestalt ins Zwielicht geraten. Es geht um die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 nach Deutschland. Beckenbauer war damals Präsident des Organisationskomitees (OK). Er schaffte es tatsächlich die WM zum zweiten Mal - nach 1974 - nach Deutschland zu holen. Das war das i-Tüpfelchen auf seinem Ruhm, das Sommermärchen 2006 konnte seinen Lauf nehmen.

Wurden bei der WM 2006 Stimmen gekauft?

Umso dubioser sind die Nachwehen dieser Weltmeisterschaft. Es geht um den Verdacht, dass bei der Vergabe innerhalb des Fußball-Weltverbandes Fifa womöglich entscheidende Stimmen gekauft worden sind. Vergangenen Herbst meldete der "Spiegel", dass der französisch-schweizerische Unternehmer Robert-Louis Dreyfus, bis 2001 Chef des Sportartikelherstellers Adidas, dem OK von Beckenbauer zehn Millionen Schweizer Franken (6,7 Millionen Euro) geliehen habe. Das Magazin mutmaßte, dass dieses zum Stimmenkauf verwendet wurde.

Bei den Recherchen wurde die internationale Anwaltskanzlei Freshfields im Auftrag des DFB eingeschaltet. In deren 361-seitigen Untersuchungsbericht heißt es, dass die Dreyfus-Millionen auf einem verdächtigen Konto in Katar gelandet seien. Christian Duve aus der Kanzlei Freshfields teilte laut "Süddeutscher Zeitung" im Frühjahr 2016 mit: "Wir haben keinen Beweis für einen Stimmenkauf, können ihn aber auch nicht vollständig ausschließen."

Dubiose Geldflüsse

Laut Freshfields Gutachten haben die strittigen Gelder zwischen 2002 und 2005 einen dubiosen Verlauf genommen, den der "Spiegel" wie folgt skizziert: Zwischen Mai und Juli 2002 seien in vier Tranchen sechs Millionen Schweizer Franken von einem gemeinsamen Konto Beckenbauers und seines damaligen Managers Robert Schwan auf ein Konto der Anwaltskanzlei Gabriel & Müller bei der Obwaldner Kantonalbank in Sarnen überwiesen worden. "Das Geld landete bei der KEMCO Scaffholding in Katar, die dem ehemaligen Fifa-Skandalfunktionär Mohammed Bin Hammam zugerechnet wird."

Erst im August 2002 habe dann Robert Louis-Dreyfus seinerseits zehn Millionen Schweizer Franken an die Anwaltskanzlei in der Schweiz überwiesen, die knapp sechs Millionen davon zurück an Beckenbauer weitergeleitet habe - und die restlichen vier Millionen an die KEMCO in Katar.

Weiterhin berichtete der "Spiegel": "Im April 2005 dann überwies der DFB 6,7 Millionen Euro - rund zehn Millionen Schweizer Franken inklusive Zinsen an den Weltfußballverband Fifa, unter dem Vorwand, für ein Kulturprogramm im Rahmen der WM 2006 in Deutschland zu bezahlen. Die Fifa leitete den Betrag weiter an Louis-Dreyfus. "Wohin das Geld aus Katar ging, sei bislang offiziell ungeklärt. Denkbar sei, dass die Katarer damit asiatische Wahlmänner bezahlten, die bei der WM-Vergabe für Deutschland gestimmt hatten.

Beckenbauer hat einfach unterschrieben

Franz Beckenbauer selbst ist sich keiner Schuld bewusst. In einem denkwürdigen Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagte der "Kaiser" mit fast kindlicher Naivität: "Ich habe immer alles einfach unterschrieben, ich habe sogar blanko unterschrieben." Aus heutiger Sicht sehe manches "komisch aus, und einiges würde man heute auch nicht mehr so machen. Aber damals haben wir es einfach gut gemeint." Krumme Deals, Hinterzimmergeschäfte - das sei mit Franz Beckenbauer nicht zu machen. All das Gerede über Korruption und Bestechung habe ihn vor Jahren nicht interessiert, und heute sowieso nicht.

Seit November 2015 ermittelt nun die Bundesanwaltschaft der Schweiz, wo die Fifa ihren Sitz hat. Gestern ging es dann Schlag auf Schlag: "Zwei Stunden lang" hätten zwei Ermittler Beckenbauers Haus in Salzburg durchsucht, meldete "Bild". Insgesamt habe es acht Razzien in Österreich und der Schweiz, auch bei Fifa-Funktionären gegeben. Darunter soll auch Ex-Generalsekretär Urs Linsi (67) gewesen sein.

Die Schweizer Ermittler vermuten nun, dass das OK den wahren Zweck der Zahlung bewusst verschleiert habe. Beckenbauer und Co. hätten andere OK-Mitglieder und den DFB "durch Vorspiegelung und Unterdrückung von Tatsachen arglistig irregeführt".

Der "Kaiser" sagt dazu nichts. "Franz Beckenbauer hat die Ermittlungen der Schweizer Bundesanwaltschaft unterstützt, seit er davon Kenntnis hatte, und an der heutigen Durchsuchung konstruktiv mitgewirkt. Er kooperiert auch weiterhin mit allen beteiligten Behörden", lässt er über seine Anwälte ausrichten. Die Lichtgestalt, die auf alle anderen, die ihn umgaben, einen mächtigen Schatten warf, steht nun selbst im Schatten.

Franz Beckenbauer, Glückskind der Nation

Seit Jahrzehnten ist er der Deutschen Lieblingsfigur, das liegt nicht nur an seiner überragenden sportlichen Bilanz als Spieler und Trainer (zweimal Weltmeister, Europameister, Weltpokalsieger, dreifacher Europapokalsieger der Landesmeister, zehn nationale Meisterschaften). Wegen seiner unvergleichlich eleganten Spielweise hatte man ihn "Kaiser" getauft. Der Meistertrainer Otto Rehhagel sagte einmal zum Nimbus Beckenbauer: "Wenn er erklärt, dass der Ball eckig ist, dann glauben ihm das alle."

Beckenbauer war das Glückskind der Nation. Ihm gelang einfach alles. Wo er war, war oben. Und wo er seine einfachen, bisweilen seltsam konstruierten mit Konfuzius-Zitaten garnierten Sprüche zum Besten gab, hingen selbst Intellektuelle an seinen Lippen. Am wohl treffendsten hat ihn der schottische Teammanager Andy Roxburgh beschrieben: "Franz ist der einzige Mensch auf der Welt, der, wenn er aus dem Fenster springt, nach oben fliegen würde."

Sogar über seine Steueraffäre in den 70er-Jahren hat man hinweg gesehen. Der Franz hatte verblüfft gesagt: "Die Steuer - auch mein Problem. Es muss zwar sein, dass man einen Teil seines Einkommens an den Staat abführt. Aber gleich so viel?" 1,8 Millionen Mark musste er nachzahlen. Ein Strafverfahren blieb selbstredend aus.

Auch seine Frauenaffären hat man ihm wie einem Lausbuben verziehen. Drei Ehen, eine langjährige Beziehung, etliche Abenteuer (darunter auf der Weihnachtsfeier des FC Bayern) - doch was soll's. Deutschland hat geschmunzelt, als Beckenbauer sagte: "Ich habe mal einen Stammbaum machen lassen: Die Wurzeln der Beckenbauers liegen in Franken. Das waren lustige Familien, alles uneheliche Kinder. Wir sind dabei geblieben." Unser Franz, der kann's!

Er war ja nie ein Marktschreier, wie so viele andere Kicker und Ex-Sportler. Der war charmant, gut und großzügig zu den Exfrauen und Lebensabschnittgefährtinnen. Er stiftete und spendete, mehr im Stollen als in der Öffentlichkeit, gründete die Franz Beckenbauer-Stiftung zur Unterstützung behinderter, bedürftiger und unverschuldet in Not geratener Menschen, wurde Botschafter des internationalen Kindersozialprojekts "Football for Friendship".

Die Vergabe der WM 2006 an Deutschland schien der Höhepunkt im Berufsleben des Franz B. aus München zu sein. "Wahrscheinlich ist er so mächtig, dass er sogar Regierungen stürzen könnte", sagte der Wiener Künstler André Heller, künstlerischer Berater der WM 2006.

Schwerer Schicksalsschlag

Dann der schwere Schicksalsschlag im vergangenen Jahr. Sein Sohn Stefan starb kurz vor dem 70. Geburtstag des "Kaisers" im Alter von 46 Jahren an einem Hirntumor. Seither hat er sich aus der Öffentlichkeit nach Salzburg zurückgezogen. Zu seiner Familie mit den beiden jüngsten seiner fünf Kinder. Er wolle sich endlich um seinen Nachwuchs kümmern können, das hatte er zum späten Lebensziel erklärt.

Bei der Beerdigung von Stefan Beckenbauer sah man einen gebrochenen Vater. Ein in Trauer und Leid erstarrtes Gesicht. Kein Kaiser mehr, sondern ein bedauernswerter Mensch. Da sah man auch die Tragik der Glückskinder, die Goethe so beschrieben hat: "Alles geben die Götter, die unendlichen, ihren Lieblingen ganz, alle Freuden, die unendlichen, alle Schmerzen, die unendlichen, ganz."

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