"Sie ist eine Frau mit großer Kraft"

Imogen Kogge spielt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Film "Die Getriebenen" beleuchtet zwar das Innere des Politbetriebes während der Flüchtlingskatastrophe von 2015, Rückschlüsse auf das aktuelle Corona-Krisenmanagement sind allerdings sehr interessant.

Viele halten die 63-jährige Schauspielerin Imogen Kogge - ebenso wie Angela Merkel - für eine Ostdeutsche. Richtig ist diese Vermutung jedoch nur in Bezug auf die Kanzlerin, die im Brandenburgischen groß wurde. Kogge dagegen wuchs in Westberlin auf. Später profilierte sie sich an renommierten Theatern wie der Berliner Schaubühne und dem Schauspielhaus Bochum als eine der besten deutschen Schauspielerinnen ihrer Generation. Die Ost-Spekulation dürfte mit Imogen Kogges Rolle als "Polizeiruf 110"-Kommissarin Johanna Herz in Brandenburg zu tun haben, die sie zwischen 2002 und 2010 bekleidete. Im ARD-Politdrama "Die Getriebenen" (Mittwoch, 15. April, 20.15 Uhr) spielt sie nun Angela Merkel. Die deutsche Langzeit-Bundeskanzlerin wurde in Filmen bislang erstaunlich selten thematisiert. Durch die Corona-Krise erleben sowohl Merkel wie auch ihr Kabinett derzeit ein ungeahntes Comeback. Auch wenn "Die Getriebenen" nach dem gleichnamigen Sachbuch-Bestseller von Robin Alexander nicht von Corona, sondern der Flüchtlingskatastrophe von 2015 erzählt: Rückschlüsse auf das aktuelle Krisenmanagement lässt das ARD-Drama, welches sehr authentisch das Innere des Politbetriebes seziert, durchaus zu.

teleschau: Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, Sie hätten Ähnlichkeit mit Angela Merkel?

Imogen Kogge: Gesagt hat mir das noch niemand (lacht). Ich hatte allerdings vor diesem Film schon mal ein Angebot, Merkel zu spielen. In einem Fernsehfilm, der - so weit ich weiß - nicht zustande kam.

teleschau: Ist es nicht erstaunlich, dass Angela Merkel trotz ihrer langen Kanzlerschaft nicht öfter in Szene gesetzt wurde? Katharina Thalbach hat sie mal in "Der Minister" gespielt. Aber sonst?

Imogen Kogge: Ja, Katharina Thalbach hat Merkel gespielt. Davon habe ich gehört, den Film aber nicht gesehen. Wir hatten allerdings dieselbe Schneiderin - für die Sakkos.

"Es ist ja jeder ein Merkel-Experte, wie ich gemerkt habe"

teleschau: Ist die Kanzlerin zu spröde für eine Filmfigur?

Imogen Kogge: Es gibt in Deutschland keine große filmische Tradition, Politiker zu fiktionalisieren. Heinrich Breloer hat Doku-Dramen über die alte bundesrepublikanische Wirklichkeit gedreht: Herbert Wehner oder Helmut Schmidt zu RAF-Zeiten. Das waren aber Filme über Politiker in einer länger zurückliegenden Vergangenheit. Und sie waren meist eng mit dokumentarischem Material verknüpft.

teleschau: Ist "Die Getriebenen" etwas Besonderes, weil der Film Politiker fiktionalisiert, die fast allesamt noch im Amt sind?

Imogen Kogge: Das macht den Film auf jeden Fall zu etwas Besonderen. Auch ich tat mich im Vorfeld ungemein schwer, Angela Merkel zu spielen. Eine Kanzlerin, die im Amt ist und die jeder gut zu kennen glaubt. Es ist ja jeder ein Merkel-Experte, wie ich gemerkt habe (lacht).

teleschau: Das klingt fast so, als hätten Sie über eine Absage nachgedacht. Wie haben Sie Ihre Bedenken zerstreut?

Imogen Kogge: Ich wollte von Regisseur Stephan Wagner genau wissen, wie er Angela Merkel inszenieren will. Ob der Film Partei bezieht, beispielsweise. Der Regisseur meinte aber, es ginge nicht so sehr um eine Kopie prominenter Politiker, sondern um eine möglichst genaue Annäherung an das Geschehen jener Tage - der Flüchtlingskrise. Das hat für mich dann ein Stück weit den Druck rausgenommen.

"Es muss ein Stück Imogen Kogge in diesem Merkel-Kostüm stecken"

teleschau: Wenn man eine sehr bekannte Figur wie Angela Merkel spielt, schwingt da eine Angst mit, sich zu blamieren?

Imogen Kogge: Es ist nicht so sehr das Blamieren. Eher die Sorge, man könnte hinter einer allzu bekannten Figur einfach verschwinden. So, dass es aussieht, als würde man einfach nur kopieren. Schauspiel ist dann spannend, wenn der Schauspieler nicht völlig hinter einem bekannten Bild verschwindet. Es muss immer noch ein Stück Imogen Kogge in diesem Merkel-Kostüm, dieser Merkel-Maske stecken, sonst ist es auch für den Zuschauer langweilig. Es geht darum, Zeichen zu finden, die Angela Merkel sichtbar werden lassen - und trotzdem etwas Neues herauszuarbeiten, das man zeigen oder erzählen will.

teleschau: Nun, nachdem Sie diese Frau als Schauspielerin analysiert haben - wie ist denn Angela Merkel?

Imogen Kogge: Sie ist eine Frau mit großer Kraft. Das habe ich durch die Beschäftigung mit ihrem Leben, aber auch ihren Tagesabläufen festgestellt. Ich finde beeindruckend, wie analytisch und abwartend diese Frau ist. Die meisten Führungspersönlichkeiten, die man kennt, scheinen sehr viel aktiver zu sein - was ihren Führungsstil, ihr Umsetzen von Ideen betrifft. Merkels Stil kostet viel mehr Beherrschung. Das Analysieren, Warten und Abwägen ist eigentlich viel schwieriger, als dynamisch selbst in Aktion zu treten. Aber es ist ihr Stil, von dem sie überzeugt ist. Diesen Kernpunkt muss man verstanden haben, wenn man sie spielen will. Angela Merkel ist eine Informationssammlerin, die erst nach Abwägung sämtlicher Optionen handelt.

teleschau: Ist sie kein bisschen autoritär, kein klassischer Machtmensch?

Imogen Kogge: Natürlich muss sie auch ein Stück weit Machtmensch sein, sonst hätte sie sich nicht so lange an der Spitze des Politbetriebes halten können. Trotzdem übt sie ihre Art von Politik so aus, wie es nicht viele andere tun. Sie hört zu, lässt divergierende Meinungen zu - aber entscheidet am Ende auch immer sehr klar. Das kann etwas Kühles haben, aber es hat mich im Laufe meiner Beschäftigung mit Merkel durchaus fasziniert. Ich habe viel Respekt und Bewunderung dafür, was sie leistet.

"Ich habe kein Verlangen, sie kennenzulernen"

teleschau: Finden Sie Merkels Job erstrebenswert?

Imogen Kogge: Klare Antwort: Nein! Ich könnte und wollte es gar nicht. Ich denke, Merkel sieht ihr Amt als Dienst am Volk. Merkel erinnert mich an die Queen. Auch Elizabeth II. sagt sich: Ich bin in diese Position hineingeboren worden und habe sie nun von morgens bis abends auszufüllen. Ich selbst würde aber niemals so leben wollen.

teleschau: Wie haben Sie sich konkret auf Merkel vorbereitet?

Imogen Kogge: Ich habe sehr viel Bildmaterial studiert. Davon gibt es ja massig. Ich schaute: Wie geht sie aufs Podium, was macht der Kopf, was die Hände? Wo sitzt ihre Kraft, der Schwung, die Bewegung? Es sind normale Dinge, die man als Schauspieler tut, wenn man sich eine Figur erarbeitet. Nur mit dem Unterschied, dass man sich hier nicht so viel ausdenkt, weil eben vieles bereits feststeht. Aber - das sind Äußerlichkeiten, die ein Gerüst darstellen, an dem man sich orientiert. Es ist noch nicht die Rolle. Die ist immer auch Interpretation.

teleschau: Interessiert es Sie, wie Angela Merkel den Film findet?

Imogen Kogge: Ja, durchaus. Ich erwarte aber nicht, dass ich erfahre, ob Merkel ihn gesehen hat. Geschweige denn, wie sie ihn findet. Ich habe auch kein Verlangen, sie kennenzulernen. Das Einzige, was mich interessieren würde, ist, ob sie die Sicht des Films okay findet. Es gab einige prominente Politiker, die sich für ein Gespräch zur Neuauflage des Buches von Robin Alexander, das dem Film zugrunde liegt, bereiterklärt haben. Ich weiß aber auch, dass Merkel sich nicht dazu äußern wollte. Es hätte mich gewundert, wenn es anders gewesen wäre ...

"Merkels Reden zur Corona-Krise sind sehr eindringlich und persönlich"

teleschau: Was bleibt hängen vom Film "Die Getriebenen" - was hat Sie daran fasziniert?

Imogen Kogge: Man sieht Menschen zu, die in kürzester Zeit weit tragende Entscheidungen treffen müssen - und das im Minuten- oder Stundentakt. In den seltensten Fällen können sie das alleine tun, sondern müssen in der Gruppe, durch Verhandlungen zu einer Lösung, einem Kompromiss kommen. Politik ist ein schwieriges, zermürbendes Geschäft. Was vom Film hängenbleibt, ist Zeitknappheit. Man ist atemlos, wenn man dem Alltag des Politikbetriebes zusieht. Es ist ein Ringen um Lösungen - mit der Betonung auf Ringen. Auch das Warten spielt eine große Rolle. Man muss all das aushalten können, um nicht zugrunde zu gehen.

teleschau: Die Demokratie befand sich in den letzten Jahren zunehmend unter Druck. Fördert ein Sezieren des Politbetriebes - was der Film ja tut - mit all seinen zähen Abläufen nicht weiter den Hass auf "die Politiker"?

Imogen Kogge: Ja, es könnte passieren, dass einige Menschen so auf den Film reagieren. Mir geht es ja auch ein Stück weit so. Wenn ich mir den Politbetrieb anschaue, bin auch ich entsetzt, wie viele Reibungsverluste es durch Machtkämpfe, parteiinterne Zwistigkeiten und ähnliches gibt. Wie viele Dinge könnte man bewegen, wenn man diese störenden Energiefresser eliminieren könnte? Aber natürlich ist auch mir klar, dass genau dieser Prozess zur Demokratie dazugehört.

teleschau: Nun wirft die Corona-Krise noch mal ein neues Licht auf die Regierung und unsere Form der Demokratie. Ein besseres?

Imogen Kogge: Auch hier ringen wir um ein verantwortliches gesellschaftliches Miteinander. Unsere Form der Demokratie setzt den eigenverantwortlichen Bürger voraus, der nicht nur durch sein soziales Verhalten zum Gemeinwohl des Staates beiträgt, sondern - wie jetzt in der Corona-Zeit - das soziale Funktionieren des Staates mit all seinen Einrichtungen überhaupt am Leben erhalten kann. Das, was jetzt passiert, kommt mir vor wie ein Quantensprung, was unser demokratisches Miteinander angeht.

teleschau: Wie erleben Sie Angela Merkel in diesen Tagen? Passt das alles ins alte Bild von ihr oder zeigt sie sich neu?

Imogen Kogge: Ich erlebe sie nicht neu, aber offensiver. Sie verstärkt ihre Präsenz, ihre Appelle. Ich finde, Angela Merkels Reden zur Corona-Krise sind sehr eindringlich und persönlich.