Freiburger Mordtat: Warum die "tagesschau" richtig lag
Die Fernsehnachrichten vermelden zunächst nicht die Festnahme eines Tatverdächtigen in einem Mordfall. Ein Fall für die Lügenpresse? Nein – eher für die Lust am Stempel.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Die “tagesschau” ist mal wieder schuld. Die Nachrichtenredaktion, die einmal die der Nation war, hat eine Meldung zunächst nicht unters Volk gebracht. Es ging um eine schreckliche Tat, Vergewaltigung und Mord, und um einen Tatverdächtigen, ein minderjähriger Afghane, der 2015 als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland gekommen war. Der Aufschrei ist groß: Da sei die Wahrheit verbogen worden, aus Angst, dass sie ans Licht dringt, aus Angst vor der Wut des Volkes, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, denn wir Gutmenschen sind doch doll lieb zu den Flüchtlingen, gell?
Ganz klar: Die Entscheidung der “tagesschau” geht in Ordnung. Die Welt in 15 Minuten zu pressen ist vom Ansatz her eine zum Scheitern verurteilte Aufgabe – etwas fällt immer durch den Zeitraster, und natürlich ist es genau die Information, die ich persönlich unheimlich wichtig finde.
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Ganz klar: Die “tagesschau” hätte auch von der Festnahme des mutmaßlichen Täters berichten können. Es wird viel zu wenig über Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch gesprochen. Und für eine Meldung in den berühmten 15 Minuten, die es nicht mehr sind, weil die “tagesschau” mittlerweile nur noch ein Nachrichtenmedium unter vielen ist, hätte gesprochen, dass die Region Südwestdeutschlands schon in Unruhe und Angst geraten war; eine schreckliche Tat aus dem Alltag heraus, eine Mordattacke – das könnte jeder passieren, so die böse Ahnung.
Aber: Beruhigung darüber, dass der mutmaßliche Täter gefasst worden war, gab es durch vielfältige Medienberichterstattung. Schnell machte die Meldung die Runde. Nichts wurde verschwiegen. Lügenpresse ist ein Vorwurf, der mal wieder nicht passt. Eher könnte gefragt werden, ob nicht zu schnell vorauseilender Gehorsam waltete, und zwar in dem Bemühen, ganz schnell und ausführlich die Nationalität des Verhafteten zu veröffentlichen.
Jetzt bitte ganz sorgfältig
Dass dies geschah, ist in Ordnung, das gehört zur journalistischen Sorgfaltspflicht – wegen der Schwere der Tat. Ansonsten ist nicht bekannt, dass Afghanen angeblich in Deutschland zu Vergewaltigungen mit Mord neigen. Aber so weit sind wir schon gekommen, dass man vor allem aus dem Grund berichtet, nicht als Gutmensch dargestellt zu werden. Es solle ja bloß nicht der Eindruck entstehen, wir verschlössen da etwas an unseren Augen.
Wäre über die Verhaftung ähnlich diskutiert worden, wenn es sich um einen Franzosen gehandelt hätte? Ich meine einen echten weißen, aus der Normandie, nicht einen Maghrebin, der hätte auch wieder die Pest am Hals gehabt.
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Weil es aber ein Orientaler war, ist die Lust zum Stempel groß. Plötzlich ist dieser Teil einer Gruppe, kein einzelner Mensch mehr. Als gäbe es die Tendenz, dass in Deutschland eine Gruppe losziehe und landauf, landab Frauen vergewaltige und töte.
Die gibt es auch. Nur ist sie ethnisch oder religiös nicht beschrieben. Und über sie gesprochen wird weniger. Denn diese Gruppe ist strukturell – männlich. Gewalt gegen Frauen wird zu Jahrestagen thematisiert und rasch wieder in der Schuhblade verschlossen. Darüber könnte man ja reden.
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