Freitagsabrechnung von Josef Seitz - Erziehung im Tatort: Die ARD raubt mit ihrer Bevormundung meine Lebenszeit
Fernsehpädagogische Zwangsbeglückung im Öffentlich-Rechtlichen: Das Erste überfällt seine Zuschauer und raubt ihnen eine Viertelstunde Lebenszeit. Das Anliegen mag gut sein. Doch mir hat die ARD diese Woche versaut.
Mit dem „Tatort“ starte ich gerne in die Woche. Irgendwo fließt da immer Blut, und am Ende siegt das Gute. Das ist schön. Das gibt ein gutes Gefühl. Das lässt sich dann wunderbar vom Sonntagabend in den Montagmorgen mitnehmen.
Diese Woche hat mir die ARD versaut. Das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm hat mir das Kostbarste geraubt, was ich besitze. Geld über die Fernsehgebühr? Klar, auch das. Vor allem aber: Lebenszeit. Dieser dreiste Diebstahl hat sich genau vor meinem „Tatort“ ereignet. Er hat mich getroffen. Und mit mir 5,97 Millionen Menschen, die gemeinsam mit mir fernsehpädagogisch zwangsbeglückt wurden: Erziehung statt Entspannung – das tat weh.
Wenn Fernsehen sich selbst stört
Seit mehr als 50 Jahren beginnt der „Tatort“ am Sonntagabend im Ersten mit dem Blick des Zuschauers in die Augen des Schauspielers Horst Lettenmayer. Der wurde am 31. Juli in München beerdigt. Es wäre sein 83. Geburtstag gewesen. Diesen Sonntag um 20.15 Uhr hat das ZDF Kinderaugen im Fadenkreuz gezeigt. Das war auch ohne den Todesfall zuvor schon wenig geschmackssicher.
Dem verdutzten Zuschauer erklärt Komikerin Carolin Kebekus : „Falls Sie sich wundern: Ich muss jetzt mal ganz kurz das Fernsehprogramm stören. Es gibt ein Thema, das Ihre Aufmerksamkeit braucht. Ein Thema, für das ich meine Babypause unterbreche. Ein Thema, das uns alle betrifft.“ Die Windeln auf dem Arm der TV-Persönlichkeit legen die Antwort nahe: Es geht um Kinder. „Es muss sich niemand etwas über Mutterkuchen und Dammschnitte anhören“, beruhigt die Komikerin und fügt hinzu: „Unangenehm wird es trotzdem.“ Da hat sie recht.
„Brauner Mist – das gilt es zu verhindern!“
15 Minuten lang geht es um Kinder. Um Zukunft. Um die Betroffenheit von Armut. „Wo sind die Großdemos für Kinderrechte?“, fragt Kebekus und gibt auch gleich die Antwort: „Wir stören hier heute das ARD-Abendprogramm – zur besten Sendezeit, in den bekanntesten Sendungen des deutschen Fernsehens.“
Eine Viertelstunde lang wird beklagt, dass die Kinderrechte keine eigene Erwähnung im Grundgesetz finden. Dabei geht es da durchaus um Menschenrechte, und Kinder sind bekanntlich einfach kleine Menschen. Es geht um Hunderttausende fehlende Kitaplätze. Klar, auch der Klimawandel kommt vor. Und die „zunehmenden rechtspopulistischen Einstellungen bei Jugendlichen“. Im Originalton geht das so: „Brauner Mist“, räuspert sich Kebekus, „das gilt es zu verhindern.“
Mich stört, wie Erwachsene sich selbst infantilisieren
Um nicht missverstanden zu werden: Ich habe nichts gegen Zukunft – im Gegenteil, ich habe noch immer nicht die Zuversicht verloren, dass in ihr vieles besser werden wird. Ich mag Kinder, finde sie oft wunderbar. Meine eigenen liebe ich sogar.
Aber, und das würde ich gerne mit Fingerfarben unübersehbar in diesen Text schmieren, ich mag nicht diesen Tanz ums Goldene Kind, den viele Eltern so gerne aufführen. Ich mag es nicht, wenn jedes lästige Göhr zum Hochbegabten hochgejubelt wird. Ich ärgere mich über diese Ich-bin-Mutter-ich-habe-es-mir-verdient-Kultur, mit der sich radelnde Geborenhabende mit ihren überbreiten Fahrrad-SUVs die Fahrradwege freirammen.
Mich stört diese Freiwilligkeit, mit der Erwachsene sich selbst infantilisieren, nur um sich „auf Augenhöhe“ mit ihren Zwergen ein wenig Wohlgefühl ergaunern zu können. „Kinder sind die Musik der Zukunft“, höre ich es dann manchmal verträumt raunen. Das mag schon richtig sein. Aber: Nicht jeder mag Heavy Metal.
Ich will mich nicht bevormunden lassen
„Kinder sind wichtig! Kinder sind wertvoll! Sie sind Teil der Gesellschaft! Stören dürfen sie verdammt nochmal auch – selbst um 20.15 Uhr.“ All das ruft mir Carolin Kebekus zu. Viermal stimme ich zu. Von Kindern, gerade von meinen Kindern lasse ich mich gerne stören. Aber nicht von einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender mit pädagogischer Zwangsbeglückung.
Da will ich mich nicht bevormunden lassen und halte es noch immer mit dem großen ARD-Journalisten Hajo Friedrichs. Dem wird das Zitat zugeschrieben: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“