Freitagsabrechnung von Josef Seitz - Kleiner Sender beweist: Die Wegschau-Strategie von ARD und ZDF ist gescheitert
Mit dem Duell Weidel gegen Wagenknecht hat der Kleinsender „Welt TV“ das ZDF in der Einschaltquote überholt. Der Mut zur direkten Konfrontation bringt Fernsehen näher an die Wirklichkeit. Unsere Demokratie verkraftet mehr solcher Duelle – wo gestrichen werden kann, hat diese Woche gezeigt.
Ist es ein Tabu, das schon zum zweiten Mal gebrochen wird? Oder erleben wir den Versuch, Fernsehen ein gutes Stück näher an die Realität zu bringen? Vor der Landtagswahl in Thüringen war es „Welt TV“, das den umstrittenen AfD-Mann Björn Höcke zur Diskussion mit dem CDU-Politiker Mario Voigt ins Studio eingeladen hatte.
Diesen Mittwoch dann das nächste TV-Duell : Sahra Wagenknecht und Alice Weidel treffen aufeinander – die Frau, die mit dem BSW eine Partei nach ihrem Namen geschaffen hat, und jene, die für die AfD als Kanzlerkandidatin antreten will. Wieder lohnt sich das Risiko für den kleinen Nachrichtensender. Trotz der ungewohnten Zeit an einem Werktag um 18 Uhr schalten im Durchschnitt in dieser Stunde 670.000 Zuschauer ein. In der Kernzielgruppe der 14- bis 49-Jährigen überholt „Welt TV“ sogar das ZDF, ebenso ProSieben, Kabel Eins und RTL zwei.
Die Heldinnen des Populismus entlarven sich selbst
Am Tag danach stellen wir fest: Das Abendland ist nicht untergegangen. Die Demokratie ist nicht in ihren Grundfesten erschüttert. Es wird nicht berichtet, dass Tausende Menschen verstört von diesem TV-Streitgespräch durch die Straßen irren. Selbstverständlich sind Wagenknecht und Weidel, die populistischen Heldinnen von BSW und AfD, mit der Wirklichkeit sehr großzügig umgegangen.
Aber: Beide haben sich auch hinreichend entlarvt, wenn sie etwa Vertrauen predigen gegenüber dem russischen Aggressor Putin und Angst verbreiten vor dem jahrzehntelangen Partner USA. Da muss sich der Zuschauer am Spätnachmittag schon sehr viel Wodka einflößen, um dieser Argumentationslinie folgen zu wollen.
Hinschauen hilft – auch bei radikalen Positionen
Was wir lernen? Der Versuch gerade des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, vor allem die AfD ignorieren zu wollen, ist genauso grandios gescheitert, wie wenn kleine Kinder sich vor Angst die Hände vor die Augen halten, um eine Gefahr wegzuzaubern. Wegschauen ist nicht durchzuhalten, auch wenn die AfD eine ungeliebte Partei ist, die aber zumindest in Länderparlamenten schon zur starken und stärksten politischen Kraft geworden ist.
Hinschauen hilft. Und das gerade auch dann, wenn radikale Positionen vertreten werden. Schließlich geht Demokratie doch vom mündigen Bürger aus, der in der Lage ist, sich seine Argumente selbst zu wählen. Der demokratische und, wenn es denn sein muss, auch der undemokratische Streit schadet nicht.
Im Gegenteil: Er fördert die Meinungsbildung – und stärkt die Selbstheilungskräfte unserer Demokratie. Wir brauchen nicht weniger, wir brauchen mehr Auseinandersetzung. Denn so entzaubern sich auch allzu kühne Versprechen und allzu übertriebene Verheißungen. Und dazu, das sollte eine Warnung an die großen öffentlich-rechtlichen Sender sein, braucht es eben kein aufwändiges Konzept. Es genügt: ein wenig Mut.
Streichkandidaten: von Scholz bis Klamroth
Worauf wir im Fernsehen im Gegenzug verzichten können? Auch da hat diese Woche beeindruckende Beispiele geliefert. Da haben wir gesehen: „RTL Direkt – Am Tisch mit Olaf Scholz“ . Da sah der Bundeskanzler dem Vater der 17-jährigen Ann-Marie in die Augen, die bei der Messerattacke von Brokstedt ihr junges Leben verlor. „Ich will Ihnen gerne sagen, dass ich total erschüttert war“, versichert Scholz. Und er versichert: „Das war auch für mich ganz dramatisch bei der Trauerveranstaltung, wo ich extra hingefahren bin.“
Das können wir gerne glauben. Die „Extra“-Fahrt und dieser TV-Auftritt bringen aber niemanden weiter. Beides hinterlässt so hilflos wie dieser Scholz-Satz über den Täter, der nicht mehr in Deutschland hätte sein dürfen: „Es kann sich niemand erklären, dass etwas über eine Person nicht rechtzeitig weitergesagt worden ist.“
Und wo bleibt das Positive? In dieser Woche hat die ARD bekanntgegeben, dass den Zuschauern im kommenden Jahr deutlich weniger Folgen von „Hart aber fair“ zugemutet werden. Dem immer wieder glücklos agierenden Plasberg-Nachfolger Louis Klamroth wird 2025 ein Drittel der geplanten 30 Sendungen gestrichen. Auch das werden wir gut verkraften.