Freitagsabrechnung von Josef Seitz - Ob ARD oder Sat.1: TV-Woche deprimiert mich - meine Rettung ist eine DDR-Erinnerung

Ein junges Paar sitzt mit einer Fernbedienung vor einem Fernsehgerät. Nachrichten aus dem Fernsehen bleiben für die meisten die wichtigste Quelle. (Symbolbild)<span class="copyright">Daniel Reinhardt/dpa</span>
Ein junges Paar sitzt mit einer Fernbedienung vor einem Fernsehgerät. Nachrichten aus dem Fernsehen bleiben für die meisten die wichtigste Quelle. (Symbolbild)Daniel Reinhardt/dpa

Ist Deutschland wirklich so brüchig wie die Dresdner Carolabrücke? Wer sich diese Woche durchs Programm gearbeitet hat, steht jedenfalls schon hart an der Grenze zur Depression. Warnhinweis: Fernsehen gefährdet Ihre seelische Gesundheit.

Die Grenze war am Mittwoch erreicht. An einem Fernsehabend der totalen Leere bei den großen Programmen verschlägt es mich noch hinter die Dritten zu einer Reportage über so genannte Prepper. Es geht um die ja durchaus stimmungsaufhellende Frage, ob sich Atomkrieg und Weltuntergang denn nun kommoder an der frischen Luft und im deutschen Wald verbringen lassen, schön kuschlig im Notzelt und warm vor dem selbstgemachten Feuer.

Oder doch besser im eigenen Schutzraum mit frisch ausgegossener Betontür und mit einem Vorhangklo, damit es keine verschließbare Tür zu einem stillen Örtchen gibt, wo sich jemand in aller Ruhe das Leben nehmen könnte. Weil er sich die Frage stellt, wie das eigentlich sein mag, irgendwann den Privatbunker zu verlassen und festzustellen, dass so ein ganz privates Überleben vielleicht auch keine Freude bringt.

„Wie in der Endzeit der DDR!“

Vor der absoluten Endzeitstimmung kriege ich gerade noch einmal die Kurve und lande im Bayerischen Fernsehen. Da ist Talk angesagt. Nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen und so kurz vor der Wahl in Brandenburg schaut man aus München wieder einmal auf diesen merkwürdigen Osten, seine merkwürdigen Menschen und die noch merkwürdigeren Wähler dort. Eingeladen ist die Kabarettistin Simone Solga. Die ist in Gera geboren und in Leipzig aufgewachsen. Die 61-Jährige wirkt ganz fröhlich. Aber sie berichtet von vielen Gesprächen und einem Eindruck, der sich darin festigt. Sie erlebe, sagt sie, „ein Niedergangsgefühl, wie ich es nur aus der Endzeit der DDR kenne“. Damit ist meine Schmerzgrenze für diesen Abend erreicht. Endzeitstimmung im Wald. Endzeitstimmung im Privatbunker. Und dann wird auch noch unser Heute in die Endzeit der DDR verschoben. Haben sich denn Jammer-Ossi und Nörgel-Wessi wirklich zu einem Volk von Jammerlappen vereinigt?

Und weiter geht’s im TV-Horrortrip!

Ich bin nicht allein mit meinem TV-Horrortrip. Allein im Ersten schauen mit mir 310.000 Menschen das erste und wahrscheinlich letzte TV-Duell zwischen dem Ex-Präsidenten Donald Trump und der Möchte-gern-Erstpräsidentin Kamala Harris. Dazu kommen 140.000 Zuschauer bei RTL, 59.000 Zuschauer bei ntv und 47.000 bei Phoenix, die sich von den bevorstehenden US-Wahlen um den Schlaf bringen lassen.

Mehr als eine halbe Million Deutsche sehen also mitten in der Nacht zu, wie Donald Trump allen Ernstes behauptet, dass „die Migranten“ den Amerikanern ihre Haustiere wegfangen, um sie zu schlachten: „Sie fressen die Hunde, die Leute, die hierherkamen“, so Trump im Originalton, „sie fressen die Katzen. Sie fressen die Haustiere der Menschen, die dort leben. Und das ist es, was in unserem Land passiert. Und es ist eine Schande!“ Aha, denke ich mir, dieser Mann mit dem Schaden am rechten Ohr und offensichtlich einigen Beschädigungen auf dem Weg zum linken, könnte also wieder Präsident unseres wichtigsten Bündnispartners werden.

„Da gibt’s einen Baum, einen Strick!“

Nächstes Schlaglicht einer einzigen Fernsehwoche: Sat.1 startet eine neue Magazin-Reihe. Sie heißt „Ronzheimer – Wie geht’s, Deutschland?“ Der Privatsender schickt Deutschlands vielleicht prominentesten Kriegsreporter Paul Ronzheimer mit der Kamera auf Tournee. Kriegsreporter ist offensichtlich die entscheidende Qualifikation für die Fahrt in den deutschen Osten. Der 39-Jährige besucht ein Sommerfest Rechtsextremer in Gera. Gemütlich auf einer Bierbank Platz genommen hat der AfD-Spitzenkandidat Harald Frank. Ein Paar flaniert, er trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Adolf“, bei ihr steht „Eva“ auf der Brust. Menschen singen fröhlich zur Partymusik: „Faeser muss weg!“ Und noch einmal: „Faeser muss weg!“

Eine Festbesucherin pöbelt Paul Ronzheimer an: „Dein Gesicht kenne ich! Ihr kriegt eure Strafe, ihr Medien!“ „Welche Strafe soll ich denn kriegen?“, fragt der Reporter. „Da gibt’s einen Baum, einen Strick“, antwortet der Mann an ihrer Seite. Und sie schimpft noch einmal hinterher: „Volksverräter!“ Fast möchte man dem Reporter raten, sich für künftige Besuche in Thüringen so auszurüsten, wie wir ihn von seinen Ukraine-Reportagen kennen – mit Stahlhelm und kugelsicherer Weste. Willkommen in einem hysterischen Land.

Meine ermutigende DDR-Erinnerung

Kehren wir vom Fernsehen und diesem Niedergangsgefühl-wie-ich-es-nur-aus-der-Endzeit-der-DDR-kenne  zurück in die Wirklichkeit. Ich bin – und ich sage: glücklicherweise – nicht in der DDR geboren. Mein Gefühl, wie ich es in der Endzeit der DDR erlebt habe? Mit Niedergang hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun. Ich stand im Bahnhof der damaligen Grenzstadt Hof, als der erste Zug mit Flüchtlingen aus der Prager Botschaft einfuhr.

Die Waggonfenster waren nach unten gedrückt, die Arme nach oben gereckt. Ich habe in die Gesichter dieser Geflüchteter gesehen.  Ich habe in ihre Augen geblickt. Ich habe mit diesen Menschen gesprochen, die gerade noch die Todesangst ihrer Fahrt durch die verhasste Ex-Heimat überstanden hatten und nun überglücklich auf eine Zukunft für sich und ihre Familien hofften. Da war keine Endzeitstimmung. Da war: Begeisterung, Energie, Aufbruchsstimmung. Da war: Freude am Leben und Lust auf Zukunft. Das war eine Zeit, als noch niemand gesagt hatte: „Wir schaffen das!“. Als aber jeder spürte, wie sehr es sich lohnt, jetzt anzupacken und gemeinsam etwas Neues zu schaffen.

Vielleicht ist es diese Erinnerung, die mir die Zuversicht erhält: Unser Deutschland ist nicht brüchig wie die Dresdner Carolabrücke. Es besteht nicht aus marodem Beton und rostigem Stahl. Es besteht aus Menschen, die anpacken und gestalten können. Allein schon, wenn sie nächsten Sonntag in Brandenburg zur Wahl gehen.