Freitagsabrechnung von Josef Seitz - Die Sommerinterviews sind reif fürs Museum - ein Lang-Satz markiert den Tiefpunkt

Ricarda Lang im Sommerinterview<span class="copyright">ZDF</span>
Ricarda Lang im SommerinterviewZDF

Wir haben die Sommerinterviews von ARD und ZDF fast geschafft. Das ist aber auch schon die einzige gute Nachricht. Die Reihe stammt aus den 80er-Jahren des vergangenen Jahrtausends. So museumsreif wirkt dieses Forum für die Politikergarde dann auch.

Ich liebe Rituale. Sie geben dem Tag, dem Jahr, dem Leben Struktur. „Tagesschau“ heißt Feierabend – auch wenn das Böse in den Nachrichten meistens siegt. „Tatort“ bedeutet Wochenende-Ende – auch wenn das Gute im Fernsehkrimi meistens die Oberhand gewinnt. Das ist schön.

Und doch ist nicht jedes Ritual eine Bereicherung. Nicht im Leben. Und noch weniger im TV. Mein ritualisiertes Ärgernis heißt: „Sommerinterview“. Alle Jahre wieder schaufelt das öffentlich-rechtliche Fernsehen diese Kuhle im Programm frei.

Und damit es auch wirklich keiner schafft, sich die Sommerstimmung nicht von der hier oft hemdsärmeligen Politiker-Garde verderben zu lassen, findet das Politiker-Gerede auch noch zeitversetzt in ARD und ZDF statt. Das wenigstens ist dann ganz wie im richtigen Leben: Wenn einer schon nichts zu sagen hat, dann tut er das gerne doppelt und dreifach.

Erkenntnisgewinn? Ein Gewinnchen gab’s zumindest bei der AfD

Den Startschuss hat in diesem Jahr Bundeskanzler Olaf Scholz in der ARD gegeben. Das war schon am 23. Juni. Am selben Sonntag durfte dann 40 Minuten später der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im ZDF vor die Kamera.

Und so ging es weiter – Doppelschlag auf Doppelschlag. Außergewöhnlich war da schon die Doppelbefragung der AfD am Wochenende darauf. An Tino Chrupalla arbeitete sich die ARD ab,

Alice Weidel setzte das ZDF auf den heißen Stuhl. Das hatte dann schon etwas von Verhör – in getrennten TV-Vernehmungsräumen. Der Versuch war offensichtlich: Es ging darum, vor den Fernsehzuschauern die Rivalität der beiden möglichen AfD-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl herauszuarbeiten, die doch zuvor gerade noch so öffentlichkeitswirksam auf dem Parteitag den Schulterschluss praktiziert hatten.

Damit sind die öffentlich-rechtlichen Sender gescheitert. Sie mussten sich mit einem deutlich kleineren Streitpunkt als Trostpreis zufriedengeben. Thema Wehrpflicht in Deutschland: Im ZDF versicherte Weidel, die AfD sei für die Wiedereinführung – „das steht bei uns im Programm“.

Deutlich zurückhaltender zeigte sich Chrupalla. Der hatte das eigene Parteiprogramm vielleicht weniger klar im Kopf. Oder er hat tatsächlich eine andere Überzeugung. Der Bundessprecher sagte, er sei „jetzt gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht“. Die Diskussion darüber führe „zu riesiger Verunsicherung in der deutschen Bevölkerung“.

Am 8. September wird der Erste auch der Letzte sein

Diese Meinungsverschiedenheit Weidel versus Chrupalla war dann auch schon der größte Erkenntnisgewinn der 15 Interviews – vorausgesetzt natürlich, dass auch auf dieses Ritual Verlass ist: Zum Finale am 8. September wird Bundeskanzler zwar die biblische Regel umkehren, dass die Ersten auch die Letzten sein können, zumindest im ZDF.

Dass er diesmal aufregende Neuigkeiten zu präsentieren hat, dürfte aber weiter unwahrscheinlich sein. Am Ende bleibt nicht Wissen, sondern Wut: Mein persönlicher Tiefpunkt war die Grüne Ricarda Lang, die allen Ernstes in die Kamera predigt, die Grünen müssten „führende Orientierungspartei“ in Deutschland sein – und die dann gleich noch ihre Regierungsbilanz in die Kamera säuselt: „Wir haben unfassbar viel geschafft!“

Da scheint sich die Legalisierung von Cannabis-Produkten doch zumindest für die Regierungskoalition stimmungsaufhellend auszuzahlen.

Reif fürs Medienmuseum

Die Sommerinterviews im Fernsehen haben eine lange Tradition. Einst hat ein Fernsehteam Bundeskanzler Helmut Kohl in den Ferien am Wolfgangsee besucht, inklusive bewegten und bewegenden Bilder, wie wehrlose Tiere vor der Kamera für launige Streichelattacken herhalten mussten.

Bundeskanzler Gerhard Schröder ließ sich am Wohnort Hannover besuchen. Bundeskanzlerin Angela Merkel mochte es lieber amtlicher und gab ihre Sommerinterviews am Regierungssitz. Dem Grünen Joschka Fischer reiste das heimische Fernsehen sogar bis in die Toskana nach.

Mit der Wahl dieses Plapperortes haben die Grünen damals dann auch ihren Beitrag zur Klimaerwärmung geleistet. „Wir haben grundsätzlich nichts gegen Demokratie“, ätzte damals gar nicht neutral die „Neue Zürcher Zeitung“, „aber im Fernsehen ist sie einfach schrecklich!“

Die Sendereihe hat ihre Wurzeln in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrtausends. Leider wirken sie heute genau so: angestaubt und wirklich reif fürs Medienmuseum.