Friedensnobelpreis geht an Äthiopiens Premier Abiy Ahmed

Äthiopiens Premier Abiy Ahmed bei einer Pressekonferenz in Addis Abeba (Bild: Reuters/Tiksa Negeri)
Äthiopiens Premier Abiy Ahmed bei einer Pressekonferenz in Addis Abeba (Bild: Reuters/Tiksa Negeri)

Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed erhält in diesem Jahr den Friedensnobelpreis. Er wird für seinen Einsatz für Frieden und internationale Zusammenarbeit und vor allem für seine Initiative zur Lösung des Grenzkonflikts mit dem äthiopischen Nachbarland Eritrea ausgezeichnet. Das gab das norwegische Nobelkomitee am Freitag in Oslo bekannt.

Damit stehen die Nobelpreisträger in den Kategorien Medizin, Physik, Chemie, Literatur und Frieden fest. Am Montag folgt abschließend die Bekanntgabe des Wirtschaftsnobelpreises, der als einziger nicht auf das Testament des schwedischen Preisstifters und Dynamit-Erfinders Alfred Nobel zurückgeht.

Für Abiy Ahmed ist der Friedensnobelpreis nach Angaben seines Büros ein Ansporn für die Fortsetzung seiner Friedensarbeit. “Wir laden alle Äthiopier und Freunde Äthiopiens ein, sich weiter auf die Seite des Friedens zu stellen”, heißt es in der über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreiteten Erklärung. Der Preis sei auch ein kollektiver Gewinn für die Äthiopier.

Alle Auszeichnungen sind mit jeweils neun Millionen schwedischen Kronen (rund 830.000 Euro) dotiert und werden an Nobels Todestag, dem 10. Dezember, überreicht. Während alle weiteren Preise dann in Stockholm verliehen werden, bekommt ihn der Friedensnobelpreisträger traditionell in Oslo. Dort sitzt auch das zuständige norwegische Nobelkomitee, das vom Parlament des Landes ernannt wird.

Die Jury hatte in diesem Jahr die Wahl zwischen 301 Nominierten, unter ihnen 223 Persönlichkeiten und 78 Organisationen. Da die Namen der Kandidaten 50 Jahre lang unter Verschluss gehalten werden, ließ sich über den Preisträger vorab nur spekulieren.

Im vergangenen Jahr erhielten der kongolesische Arzt Denis Mukwege und die irakische Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad die Auszeichnung für ihren Kampf gegen sexuelle Gewalt als Kriegswaffe. Die diesjährige Vergabe ist die 100. in der Geschichte des Friedensnobelpreises. Seit der ersten Auszeichnung 1901 gab es in 19 Jahren, vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten, keinen Preisträger.

Der Reformer vom Horn von Afrika

Abiy Ahmed überrascht gerne. Wie kaum ein anderer Politiker hat der 43-Jährige am krisengebeutelten Horn von Afrika einen radikalen neuen Weg eingeschlagen. Sein Heimatland Äthiopien hat der Regierungschef nach Jahren der repressiven Regierungsführung mit Reformen aufgerüttelt. Er startete einen Friedensprozess mit Eritrea, dessen Auswirkungen in der ganzen Region zu spüren sind. Und dem Sudan hat er zu einem politischen Wandel verholfen, der wohl in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Zwar muss sich die Wirkung vieler seiner Taten noch zeigen - noch ist nachhaltiger Frieden und Stabilität in der Region Zukunftsmusik. Doch die Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis ist womöglich auch ein Signal: Weiter so.

Als Abiy im April 2018 in Äthiopien an die Macht kam, rechneten die wenigsten mit einem Umbruch. Der Vielvölkerstaat wurde jahrelang mit harter Hand geführt, die Macht wurde von einer einzigen ethnischen Minderheit dominiert. Oppositionsarbeit und Pressefreiheit waren eingeschränkt. Demonstrationen von Gruppen, die sich marginalisiert fühlten, wurden mit der ganzen Gewalt des Staates unterdrückt.

Abiy Ahmed und Präsidentin Sahle-Work Zewde (Bild: Reuters/Tiksa Negeri)
Abiy Ahmed und Präsidentin Sahle-Work Zewde (Bild: Reuters/Tiksa Negeri)

Der junge Politiker sollte die Gemüter im Land beruhigen. Doch Abiy hatte andere Pläne. In Windeseile setzte er eine Reform nach der anderen durch und brach dabei etliche Tabus: Er ließ politische Gefangene frei, beendete einen Ausnahmezustand, strich Oppositionsgruppen von der Terrorliste und liberalisierte die Wirtschaft. Er besetzte das Kabinett zur Hälfte mit Frauen, mit Sahle-Work Zewde wurde erstmals eine Frau zur Präsidentin Äthiopiens gewählt.

Vor allem junge Äthiopier feierten den Reformer. “In der Geschichte Äthiopiens gab es noch nie einen Anführer wie ihn”, schrieb Marathonläufer Feyisa Lilesa in “Time”-Magazin, als Abiy zu den 100 weltweit einflussreichsten Menschen gekürt wurde.

Überraschender Friedens-Vorstoß

Sein wohl größter Schachzug aber war der Friedensschluss mit Äthiopiens bitterem Rivalen Eritrea. Dies war zuvor fast undenkbar: Die beiden Staaten führten von 1998 bis 2000 einen blutigen Grenzkrieg und blieben danach verfeindet. Das repressiv geführte Eritrea schottete sich von der Außenwelt ab. Aus dem “Nordkorea Afrikas” flohen Hunderttausende Menschen, viele auch nach Deutschland.

Aus heiterem Himmel verkündete Abiy dann im Sommer 2018, er würde mit Eritrea bedingungslos Frieden schließen. Seitdem haben die Staaten zwar wenig Fortschritt gemacht: Kaum Gespräche wurden geführt, große Streitpunkte sind noch immer offen. Doch die Symbolkraft des Friedensschlusses in den Ländern und der Region war enorm. Das Nobelkomitee wies besonders auf diese Initiative Abiys hin, die ihm die Auszeichnung einbringe.

Äthiopiens Premier Abiy Ahmed (links) und der eritreische Präsident Isaias Afwerki bei der Wiedereröffnung der eritreischen Botschaft in Addis Abeba (Bild: Reuters/Tiksa Negeri)
Äthiopiens Premier Abiy Ahmed (links) und der eritreische Präsident Isaias Afwerki bei der Wiedereröffnung der eritreischen Botschaft in Addis Abeba (Bild: Reuters/Tiksa Negeri)

“Er ist ein Reformer, der viele Türen öffnet”, sagt Annette Weber von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Er nutzte sein Gewicht in der Region, um dem Sudan nach dem Putsch zu einem Weg aus der politischen Krise zu verhelfen. Nach dem Sturz von Präsident Omar al-Baschir im April stand das Land an einem Scheideweg. Ein Chaos-Szenario wie gar in Syrien war nicht auszuschließen. Doch mit Hilfe von Abiy und seinem Entsandten Mahmoud Dirir wurde von Militärs und Zivilisten eine Einheitsregierung gebildet, die nun auf einen historischen Wandel zur Demokratie hoffen lässt. “Äthiopiens Rolle bei den Verhandlungen war wahnsinnig wichtig”, sagt Weber. “Ohne wäre es nie so schnell zu einer Einigung gekommen.”

Dass Abiy das Horn von Afrika umwälzen würde, ist seinem Lebenslauf nicht unbedingt zu entnehmen. Der 1976 in Beshasha in Zentral-Äthiopien geborene Politiker diente bei den Streitkräften und war unter anderem Teil der UN-Friedensmission in Ruanda. Später gründete er mit anderen einen Cyber-Nachrichtendienst. Daraufhin machte er eine steile Karriere in der Demokratischen Organisation des Oromovolkes (OPDO), die der regierenden Koalitionspartei angehört.

Viele Herausforderungen sind noch zu lösen

Doch Abiys radikaler Umbruch ist noch unfertig. Viele seiner eingeleiteten Reformen wurden nicht weitergeführt oder umgesetzt - allen voran der Frieden mit Eritrea. Auch die politische Lage im Sudan ist weiterhin ein Drahtseilakt. Um dort nachhaltige Stabilität zu schaffen, muss Abiy am Ball bleiben. Auch die Vorsitzende des Nobelkomitees, Berit Reiss-Andersen, machte bei der Bekanntgabe am Freitag in Oslo klar, dass es noch eine Menge zu tun gebe.

Zugleich hat der 43-Jährige in seiner Heimat mit seinem Reformkurs neue Probleme geschaffen. Indem er seine Kontrolle über die Sicherheitsorgane lockerte, seien in “vielen Teilen des Landes die Sicherheit, Recht und Ordnung zusammengebrochen”, sagt Felix Horne von Human Rights Watch. Spannungen und Konflikte sind unter Abiy stark angestiegen. Nach Angaben des UN-Nothilfebüros (OCHA) waren 2018 fast 3,2 Millionen Menschen innerhalb der Landesgrenzen auf der Flucht, fast doppelt so viele wie im Jahr davor. Diesen Herausforderungen wird sich Abiy nun weiter stellen müssen - mit der Kraft der wichtigsten politischen Auszeichnung der Welt im Rücken.