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Fünf Gründe, warum Italien so stark vom Coronavirus betroffen ist

Am Donnerstag knackte Italien eine traurige Marke: Mit 3405 bekannten Todesfällen in Zusammenhang mit COVID-19 übertraf die Zahl der Todesopfer die Chinas, wo die Pandemie ihren Ursprung hatte. Am Freitag waren er bereits 4032 Tote - die Zahl steigt derzeit schneller als während der schlimmsten Phasen in der Provinz Hubei.

Improvisierte Krankenlager im Spedali-Civili-Krankenhaus in Brescia (Bild: Reuters/Flavio Lo Scalzo)
Improvisierte Krankenlager im Spedali-Civili-Krankenhaus in Brescia (Bild: Reuters/Flavio Lo Scalzo)

Die Ursachen für diese dramatische Entwicklung, die vor allem den Norden des Landes betrifft, können natürlich erst nach der Krise gründlich aufgearbeitet werden. Die Datenlage ist komplex, Vergleiche mit anderen Ländern nicht ohne weiteres möglich - so werden etwa in Italien Verstorbene systematisch auf COVID-19 getestet, während man zugleich von einer hohen Dunkelziffer ausgehen muss, die deutlich über den offiziell erfassten 47.000 Infektionen liegt. Dadurch kommt nach den offiziellen Zahlen eine dramatische Todesrate von über 8 Prozent zustande, die die Realität kaum widerspiegeln dürfte. So bleibt auch abzuwarten, ob Italien nur der Vorreiter einer ähnlichen Entwicklung in anderen europäischen Ländern ist, oder ob sich hier aus verschiedenen Gründen ein besonders schwerwiegender Verlauf ergeben hat.

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Dennoch sind sich Experten relativ einig, dass einige Faktoren eine wichtige Rolle bei der Pandemie-Entwicklung in Italien spielen:

1. Das Virus blieb lange unentdeckt

Die ersten bekannten Corona-Fälle in Italien schienen noch zurückverfolgbar: Am 31. Januar wurde ein chinesisches Touristenpaar in Rom positiv getestet, eine Woche später ein Italiener, der aus Wuhan zurückgeholt worden war. Doch unterdessen muss das Virus in Norditalien bereits unerkannt grassiert haben, denn am 21. Februar wurden auf einen Schlag 16 Fälle in der Lombardei bekannt, innerhalb von wenigen Tagen starben die ersten Patienten. Seitdem steigen die Zahlen explosionsartig. Wie lange sich das Virus in Norditalien davor bereits verbreitet hatte, konnte bisher nicht rekonstruiert werden. Forscher der Universität Mailand gehen davon aus, dass es dort bereits Mitte bis Ende Januar die ersten Infektionen gab, das Virus also etwa einen Monat ungebremst grassierte.

2. Norditalien als Verkehrsknotenpunkt

Norditalien ist ein wichtiges Zentrum der europäischen Industrie und des Handels und auf zahlreichen Routen über Land, Meer und Luft mit dem Rest der Welt verbunden. Auch mit China besteht ein reger Austausch. Dazu kommen jährlich Millionen von Touristen. Zusammen mit der ohnehin hohen Bevölkerungsdichte ergibt sich ein leichtes Spiel für das Virus. Zumal der erste Versuch einer Eindämmung vergeblich gewesen sein dürfte: Zwar sperrte Italien nach den ersten Fällen Ende Januar als erstes europäisches Land seine Flughäfen für Flüge aus China, doch da andere EU-Staaten nicht nachzogen, konnten Reisende in den Nachbarländern landen und unkontrolliert nach Italien weiterreisen. Aus diesen Gründen steht Italien auch mit Corona-Fällen in etwa 30 weiteren Ländern weltweit in Zusammenhang.

3. Altersstruktur mit zahlreichen Risikopatienten

Die hohe Zahl der schweren Krankheitsverläufe und Todesopfer lässt sich zumindest teilweise durch die Altersstruktur erklären: Die italienische Bevölkerung hat mit 46,3 Jahren eines der höchsten Durchschnittsalter weltweit. Knapp 14 Millionen Menschen sind über 65 Jahre alt und fallen damit in die Risikogruppen bei einer COVID-19-Erkrankung. So liegt auch das Durchschnittsalter der Todesopfer bei knapp 80 Jahren - dagegen waren nur fünf Tote unter 40. Das dürfte allerdings auch damit zusammenhängen, dass ältere Patienten in den überlasteten Krankenhäusern oft nicht mehr ausreichend versorgt werden.

4. Verbreitete Vorerkrankungen als zusätzliches Risiko

Auch ein weiterer Risikofaktor ist gerade in Norditalien weit verbreitet: Aufgrund der starken Industrietätigkeit zählen Regionen wie die Po-Ebene zu den Gebieten mit der höchsten Luftverschmutzung Europas. Gerade ältere Einwohner leiden oftmals unter Atemwegserkrankungen, die zusammen mit dem SARS-CoV-2-Virus eine tödliche Mischung ergeben. Tatsächlich ist nur bei drei Todesopfern in Italien gesichert, dass sie ausschließlich an COVID-19 verstorben sind, bei der Mehrzahl der Fälle dürfte die Kombination mit einer Vorerkrankung ausschlaggebend gewesen sein.

5. Ein überlastetes Gesundheitssystem

Der vielleicht wichtigste Grund: Das italienische Gesundheitssystem war in den letzten Jahren von massiven Einsparungen betroffen. Italien verfügt lediglich über 12,5 Intensivbetten pro 100.000 Einwohnern - in Deutschland sind es 29,2. Auch an Beatmungsgeräten mangelt es. In den besonders schwer betroffenen Gebieten waren die Krankenhäuser umgehend am Rande ihrer Kapazitäten. Ärzte müssen grausame Entscheidungen darüber treffen, welche Patienten sie behandeln und welche nicht. China konnte beachtliche Reserven aus dem ganzen Land zusammenziehen, stampfte Krankenhäuser aus dem Boden, die mit Militärpersonal bestückt wurden - Italien ist dagegen dringend auf Solidarität angewiesen. Und während China mit seinen freigewordenen Kapazitäten schnell mit Spezialisten und medizinischer Ausrüstung bei der Hand war, rollen die Hilfen der europäischen Partner erst langsam an.

Video: Italien im Kampf gegen das Coronavirus