Gabriel und Netanjahu sollten mal im Knigge lesen

Kein Treffen mit Benjamin Netanjahu: Sigmar Gabriel bei seinem Israel-Besuch. (Bild: AP)
Kein Treffen mit Benjamin Netanjahu: Sigmar Gabriel bei seinem Israel-Besuch. (Bild: AP)

Der eine lädt den anderen aus. Sie streiten sich, wer mit wem redet. Der jüngste Besuch des deutschen Außenministers in Israel zeigt: Nichts ist besser als ein Gespräch auf Augenhöhe.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Jetzt hat man es sich aber gezeigt, Donnerlittchen. Weil Sigmar Gabriel mit Vertretern zweier kritischer Nichtregierungsorganisationen bei seinem Besuch in Israel sprechen wollte, lud Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident und Außenminister in Personalunion, ihn aus. Der deutsche Außenminister präsentiert sich möglichst unbeeindruckt. Andere Bundesminister springen ihm bei, da ist die Rede von Machtprobe und „Nerven bewahren“, als handele es sich bei Diplomatie um ein Pokerspiel.

Leider ist sie es nicht. Diplomatie ist nicht Zocken, kein Verbessern der eigenen Position trotz eines schlechten Blattes. Diplomatie ist der Versuch, am Tisch alle gewinnen zu lassen. Eine Art Anti-Poker. Sollte zumindest so sein.

Derart betrachtet haben beide Politiker in einem Ausmaß versagt, dass am besten darüber geschwiegen werden sollte. Nun aber, Tage nach dem Eklat, wachsen die Entrüstungswellen erst richtig an – und das zeigt, dass beide Politiker zu ihrer Amtsausübung das Buch „Über den Umgang mit Menschen“ lesen sollten, jenen „Knigge“ von Adolph Freiherr Knigge. Dieses Werk ist freilich kein Benimmratgeber, wie allgemein angenommen, sondern ein Aufklärungswerk zur Unterstützung jener, die Gutes wollen. Ein Buch, welches die Augenhöhe zum Maßstab schlechthin erhebt, und den haben Gabriel wie Netanjahu aus dem Blick verloren.

Es erinnert an Sandkastenstreit

Der israelische Premier maßt sich an, seinen Besuchern vorzuschreiben, wen sie treffen sollen und wen nicht. Die Organisationen Bt’selem und Breaking the Silence mag er nicht, weil sie Zustände im besetzten Westjordanland und Praktiken der israelischen Streitkräfte kritisieren. Netanjahus Argument: Diese beiden Organisationen würden israelische Soldaten als Kriegsverbrecher bezeichnen. Über diesen Begriff lässt sich streiten. Und die bei beiden Gruppen durchaus vorkommende Wortwahl der „Apartheid“ ist schief – weil historische Gleichsetzungen es immer sind. Fakt ist, dass beide Organisationen eine wichtige und sinnvolle Arbeit leisten, indem sie auf Unrecht hinweisen. Sie bei einem Besuch Gabriels aufzuwerten, wäre ein toller Erfolg gewesen.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. (Bild: AP)
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. (Bild: AP)

Nun ist das Gegenteil geschehen, und das liegt nicht nur an Netanjahu, von dem man annehmen muss, dass ihm die Lebenssituationen von Palästinensern in Gaza und Westbank ziemlich schnurz sind.

Mich regen mehrere Porzellanscherben auf, die Gabriel hinterlassen hat.

Da ist zum einen dieses Grundrauschen in Deutschland. Einer der unseren wurde ausgeladen, eine Frechheit! Eine Lust am Beleidigtsein macht sich breit, ein „So aber nicht!“, ein herrischer Ton. Gleiche Augenhöhe zumindest nicht.

Und zum anderen gibt es da Grundfragen der Diplomatie. Es war Gabriels Antrittsbesuch als Außenminister. Und dies kurz nach dem Gedenktag der Shoa sowie der Vorstellung des neuen Antisemitismusberichts der Bundesregierung; hätte Gabriel nicht bei seinem ersten Besuch einen anderen Schwerpunkt legen sollen, einen Vertrauen schaffenden? Ja. Der Bericht seiner eigenen Regierung legt offen, dass Antisemitismus in Deutschland zunehmend im Gewand der „Israel-Kritik“ daherkommt. In Deutschland wird von links und rechts die Köpfe zusammengesteckt und über den Staat Israel geredet, als gebe es kein anderes Problem auf unserem Planeten. Solch ein Hintergrund verdonnert gewiss nicht zum Schweigen, verdeutlicht aber die Bedeutung des Tons einer Botschaft.

Immer ist da dieses „besonders“

Es gibt übrigens ein Wort, das treibt mich regelmäßig bis kurz vor den Wahnsinn. Im „Spiegel“, der in Sachen Antisemitismus nie in bester Tradition stand, heißt es nun: „Die historisch bedingte Sonderbehandlung Israels stößt mit der Regierung Netanyahu an ihre Grenzen.“ Auweia. Zum einen hat historische Bedingtheit keine Halbwertszeit, sie kennt auch keine Grenzen. Und Sonderbehandlung kennzeichnet genau jenes Problem der ungleichen Augenhöhe. Verdammt, Israelis sind nicht „besonders“ zu „behandeln“, oder soll man Juden allgemein besonders behandeln, sie als besonders ansehen? Ich denke, damit haben Juden in Deutschland eher schlechte Erfahrungen gesammelt.

Hätte Gabriel auf Kritik verzichten sollen? Nein. Leider gibt es in Israel und in Gaza sowie Westjordanland viele Probleme. Nicht wenige von ihnen sind hausgemacht durch israelische Regierungspolitik. Es bleibt Fakt, dass viele Israelis sich daran gewöhnt haben es in Ordnung zu finden, dass Palästinenser weniger Rechte haben als sie – und dass dieser Mangel an Freiheit nicht nur mit Despotentum in der palästinensischen Politik zu tun hat, sondern auch mit einer Politik in Israel, die Palästinenser diskriminiert. Eine Besatzung bleibt eine Besatzung. Menschen werden dort ungleich behandelt.

Knigge hätte also dazu geraten, Kritik so scharf und offen wie möglich zu formulieren – und den Adressaten so wenig wie möglich vor den Kopf zu stoßen.

Das ist keine Quadratur des Kreises. Wenn es stimmt, dass man in Israel vorgeschlagen hat, neben Bt’selem und Breaking the Silence auch andere Nichtregierungsorganisationen zu treffen, dann ist nicht nachvollziehbar, warum die deutsche Botschaft diesen Ball nicht aufnahm. Die beiden Gruppen sind in der israelischen Gesellschaft leider isoliert – eine Aufwertung durch Einbettung in ein weiteres Gesprächsumfeld wäre, siehe Augenhöhe, der richtige Weg gewesen. Und warum sollte man nicht mit Vertretern israelischer Siedler im Westjordanland diskutieren? Ich hätte einige Fragen an sie.

Selektive Wahrnehmung?

Nun wird von israelischer Seite der Vorwurf erhoben, durch das Konsultieren von kritischen Nichtregierungsorganisationen hebe man Israel auf eine Ebene mit Staaten wie Russland und China – in solchen Staaten versuchen deutsche Diplomaten auch über dortige NGO Menschenrechtspolitik zu betreiben. Wie ist es also, trifft ein deutscher Außenminister bei seinen Reisen überall ähnliche NGO, weil es grundsätzlich eine gute Sache ist? Ich habe beim Auswärtigen Amt angefragt, wie es so aussieht, bei den Reisen seines Ministers. Hier die Antwort: „Es ist üblich, ja geradezu das Ziel von Besuchen, in einer immer begrenzten Zeit eine Vielzahl von Gesprächen zu führen – sowohl mit dem jeweiligen Amtskollegen, anderen Regierungsvertretern und weiteren Stimmen im politischen Raum als auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft, von Religionsgemeinschaften oder auch aus dem kulturellen und wissenschaftlichen Bereich. Das geschieht immer mit Blick auf die besondere Lage in einem Gastland, in Griechenland genauso wie in der Türkei, in Russland und in China.“

Tja, mit Griechenland versucht das Auswärtige Amt noch die Kurve zu kriegen. Der Verweis auf Russland und China lässt indes aufhorchen, mit solchen politischen Systemen hat das israelische nun wenig zu schaffen. Sucht man sich beim Amt die zivilgesellschaftlichen Gesprächspartner doch arg selektiv aus? Trifft sich Gabriel bei seinem nächsten Paris-Besuch mit NGO, welche die französische Kolonialpolitik in Afrika kritisieren? Und in London mit atomkraftkritischen Gruppen? Ich hielte es für eine gute Idee.

Unter Freunden muss es gegenseitige Kritik geben. Wenn ein deutscher Außenminister Menschenrechtsprobleme in Israel anspricht, ist das an sich keine Anmaßung. Es ist seine Aufgabe. Und wenn ein israelischer Außenminister ihm „Instinktlosigkeit“ vorwirft, dann ist das ja vielleicht der Anfang eines echten Gesprächs der beiden, auf gleicher Augenhöhe. Denn Recht haben alle beide.