Verpasst er den Einzug? - Selbst bei AfD-Wahlsieg droht Höcke ein „nicht ganz unwahrscheinliches“ Problem
Die AfD könnte aus der Thüringer Landtagswahl als stärkste Kraft hervorgehen. Doch für Spitzenkandidat Björn Höcke reicht es womöglich trotzdem nicht für den Einzug in den Landtag. Das liegt am Wahlsystem.
Am 1. September wählen die Thüringer einen neuen Landtag. Die AfD liegt in Umfragen bei rund 30 Prozent und würde, sollte sie diesen Wert in echte Stimmen verwandeln, stärkste Kraft werden.
Auf Platz 1 der AfD-Landesliste steht Björn Höcke, seit 2013 Sprecher des AfD-Landesverbands und seit 2014 Fraktionschef im Landtag. Eigentlich sieht alles gut aus für Höcke und die Rechtsaußen-Partei - oder?
Nicht ganz. Zumindest nicht für den 52-jährigen früheren Geschichtslehrer. Denn was viele wahrscheinlich nicht wissen: Trotz Spitzen-Wahlergebnis der AfD könnte Höcke aus dem Landtag fliegen.
Höcke könnte trotz AfD-Sieg nicht in den Landtag einziehen
Das liegt am Wahlsystem. Es besteht aus Erst- und Zweitstimmen. Die Erststimme vergeben Wahlberechtigte, um in Thüringen einen Abgeordneten ihres Wahlkreises zu wählen. Also zum Beispiel Björn Höcke, der für den Wahlkreis Greiz II antritt.
Der Kandidat mit den meisten Stimmen in einem Wahlkreis zieht per Direktmandat in den Landtag ein. Die Zweitstimme ist dazu gedacht, die Landesliste einer Partei zu wählen, also - um beim konkreten Fall zu bleiben - zum Beispiel die der AfD.
Auf der Webseite des Thüringer Landtags heißt es: „Die Gesamtanzahl der Sitze für eine Partei errechnet sich aus dem Verhältnis der für sie abgegebenen Stimmen zu denen für die übrigen Parteien, die in den Landtag einziehen.“
Und weiter: „Nach den Direktmandaten werden die übrigen Sitze in absteigender Reihenfolge an die Kandidatinnen und Kandidaten der Landesliste vergeben. Erhält eine Partei genauso viele oder mehr Direktmandate als ihr Sitze im Parlament zustünden, kommt die Landesliste nicht zum Zuge.“
„Szenario ist auch bei der CDU nicht unbekannt“
Genau das könnte im Fall der AfD passieren - und Höcke in Bedrängnis bringen. Denn dass der 52-Jährige in seinem Wahlkreis Greiz II triumphiert, ist alles andere als sicher. Im Gegenteil: Der CDU-Kandidat Christian Tischner hat gute Chancen, das Direktmandat für den Landtag zu gewinnen.
Heißt: Wenn alle AfD-Plätze im Thüringer Landtag per Direktmandat besetzt werden und Höcke in seinem Wahlkreis eine Niederlage einfährt, könnte er aus dem Parlament fliegen - trotz seines Spitzenplatzes auf der Landesliste.
„Dieses Szenario ist nicht ganz unwahrscheinlich und zum Beispiel auch bei der CDU in anderen Bundesländern bekannt“, sagt Politologe Benjamin Höhne im Gespräch mit FOCUS online.
„Höcke kann dagegen im Grunde nichts unternehmen. Wenn Listenplatz eins nicht zieht, wie es in den Parteien heißt, dann gehört der Spitzenkandidat, der zumeist auch der Parteivorsitzende ist, nicht der neuen Fraktion an, die zumeist das Machtzentrum einer Partei bildet.“
Höcke nicht im Landtag? Das könnte er tun
Auch Philipp Austermann, Professor für Staats- und Europarecht am Zentralen Lehrbereich der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, hält das Szenario „angesichts der hohen Umfragewerte der AfD für durchaus möglich“.
Genau wie Höhne erklärt der Jurist im Gespräch mit FOCUS online, dass dem Thüringer AfD-Spitzenkandidaten kaum Möglichkeiten bleiben, auf eine solche Situation zu reagieren. Aber: „Höcke könnte natürlich nach der Wahl versuchen, einen erfolgreichen Direktkandidaten zum Rückzug, also zur Nichtannahme des Mandats, zu bewegen.“
Der Landesvorstand der AfD scheint jedenfalls vorgesorgt zu haben. Er verweigerte AfD-Politikern in zwei Wahlkreisen die Zustimmung, bei der Wahl anzutreten, angeblich wegen Formfehlern in ihren Bewerbungen. Das steigert Höckes Chancen, über die Liste in den Landtag einzuziehen.
Laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) geht man in der AfD fest von Höckes Einzug ins Parlament aus. Zur Not würde eben ein anderer gewählter Abgeordneter auf seinen Platz im Parlament verzichten. Die Option, die Austermann angesprochen hat, wird also offenbar bereits diskutiert.
Ministerpräsident muss in Thüringen nicht im Landtag sitzen
Dass Spitzenkandidaten unter Umständen keinen Platz im Landtag ergattern, ist per se nichts Neues. Jurist Austermann erinnert an das Jahr 2012, als Jost de Jager von der CDU keinen Platz im Parlament bekam, „weil die Liste nicht 'zog'“.
De Jager hatte bei der damaligen Landtagswahl in Schleswig-Holstein auf Platz eins der Landesliste seiner Partei kandidiert - doch die CDU besetzte alle ihre 22 Landtagssitze mit Direktkandidaten, die Vorrang haben.
Interessant ist, dass ein potenzieller Ministerpräsident Björn Höcke gar nicht im Landtag sitzen müsste. „Das folgt aus Artikel 70 Absatz 3 der Thüringer Verfassung, der das nicht vorschreibt“, sagt Austermann.
Rumoren in der AfD: „Höcke sagt, er will nicht mehr“
Die Frage nach einem Regierungschef Höcke stellt sich allerdings höchstwahrscheinlich gar nicht. Immerhin haben alle größeren Parteien eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen.
Außerdem gibt es Anzeichen, dass sich der AfD-Spitzenkandidat nach Berlin orientiert. Wie die „ FAZ" berichtet, soll Höcke erschöpft sein. „Er sagt, er will nicht mehr“, sei in der AfD zu hören.
Der 52-Jährige würde immer mehr zur Belastung für die AfD in Thüringen werden, das habe er angeblich selbst erkannt. Jetzt spielt Höcke wohl mit dem Gedanken, für den Bundestag zu kandidieren. In Thüringen würden wahrscheinlich ohnehin nur fünf weitere Jahre als Oppositionspolitiker auf ihn warten.