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Gas wird in Deutschland Mangelware – Russen rücken in der Ukraine vor

Vier Monate nach Kriegsbeginn bekommen auch die Deutschen seine Folgen stärker zu spüren. Der Finanzminister hat schon «Jahre der Knappheit» angekündigt – beim Gas wird das nun bittere Realität. Viel schwerer haben es aber die Ukrainer, wo im Osten heftig gekämpft wird.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Archivbild: REUTERS/Michele Tantussi)
Auf Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warten schwierige Aufgaben. (Archivbild: REUTERS/Michele Tantussi)

Kiew/Moskau/Brüssel - Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine klettern die Preise für Lebensmittel und Sprit – und nun wird auch noch das Gas sehr knapp. Wegen extrem gedrosselter Lieferungen aus Russland rief die Bundesregierung am Donnerstag die Alarmstufe im "Notfallplan Gas" aus.

Wirtschaftsminister Robert Habeck mahnte Firmen und Verbraucher, Gas zu sparen. Nötig sei eine "nationale Kraftanstrengung". Vier Monate nach Kriegsbeginn wollte die Europäische Union am Abend der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zuerkennen, auch als Zeichen der Solidarität. Russlands Truppen verschärften ihre Angriffe in der Ostukraine, doch zugleich deuteten sich Fortschritte an bei den Verhandlungen zur Auflösung der russischen Getreide-Blockade in den Schwarzmeer-Häfen.

Gas-Versorgung noch gewährleistet

Habeck sagte: "Gas ist von nun an ein knappes Gut in Deutschland." Zurzeit sei die Versorgungssicherheit aber gewährleistet. Er rief unter anderem dazu auf, Heizungsanlagen warten zu lassen. Dadurch seien Einsparungen von 15 Prozent möglich.

Ukraine-Krieg: Die aktuellen Entwicklungen

Russlands staatlicher Energieriese Gazprom hat die Gaslieferungen nach Deutschland seit rund einer Woche von maximal 167 Millionen Kubikmeter pro Tag auf 67 Millionen Kubikmeter reduziert. Moskaus Darstellung zufolge sind daran Sanktionen schuld, die der Westen als Reaktion auf Russlands Angriff verhängt hat.

Kanzler lobt "historischen" EU-Gipfel

Bundeskanzler Olaf Scholz warb zum Auftakt des EU-Gipfels in Brüssel noch einmal dafür, die Ukraine zum EU-Beitrittskandidaten zu machen. Der SPD-Politiker sprach von einem "historischen" Treffen, mahnte aber auch Reformen der EU selbst an, um die Aufnahme neuer Mitglieder zu erleichtern. Die EU müsse "erweiterungsfähig" werden. Dazu gehöre, das Prinzip der Einstimmigkeit für einige Entscheidungen aufzuheben.

Ukrainern droht Einkesselung

Zum Ziel der russischen Angriffe entwickelt sich immer mehr die strategisch wichtige Stadt Lyssytschansk im Gebiet Luhansk. Südlich davon drohte am Donnerstag akut die Einkesselung ukrainischer Truppen, wie der Generalstab auf Facebook mitteilte. Nach Angaben britischer Geheimdienste zogen sich ukrainische Truppen teils zurück. Präsident Wolodymyr Selenskyj mahnte abermals schnellere Waffenlieferungen an, "um diese teuflische Armada zu stoppen und aus den Grenzen der Ukraine herauszudrängen".

Dem Vertreter der Luhansker Separatisten in Moskau, Rodion Miroschnik, zufolge haben die russischen Truppen zudem bereits die letzte Verbindungsstraße von Lyssytschansk nach Westen gekappt. Damit sind seinen Schätzungen zufolge mindestens 5000 ukrainische Soldaten eingekesselt. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht.

Schwere Kämpfe toben auch südlich des weitgehend von Russen eroberten Sjewjerodonezks. Sjewjerodonezk und Lyssytschansk sind die letzten noch unter ukrainischer Kontrolle stehenden größeren Städte im Luhansker Gebiet.

UN-Chef könnte Getreide-Deal ins Trockene bringen

Die Verhandlungen zum Durchbrechen der russischen Getreide-Blockade machen offenbar Fortschritte: UN-Sicherheitsratskreise bestätigten der Deutschen Presse-Agentur die Möglichkeit eines Treffens der Konfliktparteien zusammen mit UN-Generalsekretär António Guterres in der Türkei – womöglich schon kommende Woche. Die Gespräche befänden sich an einem Punkt, an dem der UN-Chef direkt mit Russen und Ukrainern verhandeln würde, um einen Deal ins Trockene zu bringen.

Die Ukraine beklagt, dass die russische Kriegsmarine ihre Häfen im Schwarzen Meer blockiere. Beide Länder gehören zu den größten Weizenexporteuren und spielen eine wichtige Rolle für die Ernährungssicherheit in der Welt. Die Vereinten Nationen warnen bereits vor der größten Hungersnot seit Jahrzehnten.

Ungeachtet von Krieg und teurem Dünger fällt aber die Weltgetreideernte in diesem Jahr nach UN-Schätzung nur unwesentlich geringer aus als 2021. Bislang erwartet werden 2,785 Milliarden Tonnen, das wären lediglich rund 23 Millionen Tonnen weniger als im vorangegangenen Wirtschaftsjahr, sagte Josef Schmidhuber, Ökonom bei der UN-Agrarorganisation FAO.

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef warnte dennoch, dass die Zahl der von akuter schwerer Mangelernährung bedrohten Kinder stark steigt. Fast acht Millionen Kinder unter fünf Jahren in 15 Krisenländern seien dadurch vom Tod bedroht, teilte Unicef Deutschland mit.

Moskau bekräftigt Kriegsziele

Mit Blick auf mögliche Verhandlungen besteht der Kreml auf all seinen Forderungen. Ein Friedensplan sei möglich, aber erst wenn Kiew alle Forderungen erfüllt habe, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge, ohne Details zu nennen. Öffentlich geäußerte Forderungen Moskaus sind etwa eine Anerkennung der ostukrainischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten sowie der 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisches Staatsgebiet. Selenskyj wiederum hatte kürzlich die Rückeroberung der Krim und der seit Ende Februar besetzten Gebiete als Ziel Kiews formuliert.

Erst deutsche Haubitzen, nun amerikanische Raketenwerfer

Für ihren Abwehrkampf erhielt die Ukraine nach deutschen Haubitzen jetzt auch US-amerikanische Raketenwerfersysteme des Typs HIMARS. Die Ukraine ist aufgrund aufgebrauchter und zerstörter Reserven und mangels eigener Rüstungskapazitäten inzwischen abhängig von westlichen Waffenlieferungen.

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