Gastbeitrag von Alexander Sorg - Falls Trump gewinnt: Deutschland muss sich für Worst-Case-Szenario wappnen
Welche Folgen hätte die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten für Deutschland? So schlimm wird es schon nicht werden, denken viele. Doch sie irren, sagt der Politikexperte Alexander Sorg. Die Ampel-Regierung unterschätze die Gefahren auf vielen Gebieten.
Es ist der 9. November 2016: An diesem Morgen starren Hunderttausende Menschen in Deutschland fassungslos auf ihr Telefon. Hatten die Umfragen und Analysten nicht einen klaren Sieg der US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton prognostiziert? Wie konnte es am Ende doch Donald Trump werden?
Diese Überraschung, so muss man im Nachhinein feststellen, betraf nicht nur Laien. Nein, sie galt auch für diejenigen, die sich von Berufs wegen mit dem Thema beschäftigen. Kaum jemand hatte im Vorfeld Kontakt zum Trump-Team aufgenommen. Für zu unwahrscheinlich hielt man die Wahl des Außenseiters.
Acht Jahre später hat sich die Erwartungshaltung geändert, eine Trump-Präsidentschaft hält niemand für unwahrscheinlich. Unvorbereitet ist man dennoch erneut, und das, obwohl die Wahl unmittelbar vor der Tür steht. Es müssten Arbeitsgruppen gebildet, sich mit Verbündeten abgesprochen und auf das Schlimmste vorbereitet werden. Das gilt für die Frage der nuklearen Abschreckung genauso wie für die Koordination gegen erneute Versuche, die Wahl zu kippen.
Trump und Deutschland: Gefahren lauern an allen Ecken
Stattdessen üben sich viele Experten und Verantwortliche im Beschwichtigen. Ganz nach dem Motto: So schlimm wird es schon nicht werden. Diese Annahme ist grundlegend falsch.
Das beginnt mit der neuen Professionalität, mit der das Trump-Team diesmal ins Weiße Haus einziehen würde. Wie im „Project 2025“, dem neu entworfenen programmatischen Unterbau der Trump-Politik, verkündet, wird die Bürokratie ab dem ersten Tag von Trump-Loyalisten gefüllt.
Die Personenliste ist dabei lang genug, um sowohl die wichtigsten Schaltpositionen als auch die unteren Ränge der Bürokratie zu füllen. Dass Trump diesmal seine Politik umsetzen kann, daran darf es keinen Zweifel geben.
Dass er zugleich keinen Wert auf Verbündete legt, sollte ebenfalls klar sein. Spricht man etwa mit Insidern, die bei Nato-Treffen der ersten Amtszeit anwesend waren, wird schnell klar, dass Trump schon damals keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber der Nato machte und damit regelmäßig Panik auslöste.
Dazu kommen angekündigte Truppenabzüge aus Deutschland (12.000 Soldaten), das Aufkündigen des INF-Vertrags, der Ausstieg aus dem Iran-Deal, um nur ein paar konkrete Beispiele zu nennen, in denen wichtige Entscheidungen ohne Absprache mit Alliierten getroffen wurden. Und das war nur die „light-Version“.
Was ist also zu tun?
Zunächst grenzt es an Fahrlässigkeit, dass die deutsche Regierung bis heute nicht substanziell auf die vielfachen nuklearen Gesprächsangebote des französischen Präsidenten Macron eingegangen ist. Ein französischer Nuklearschirm ist alles andere als ein Selbstläufer, und eine erweiterte Koordination mit Großbritannien würde das Vorhaben noch zusätzlich erschweren.
Enorme Bedrohung: Viele drängende Fragen unbeantwortet
Angesichts der enormen Bedrohung muss die deutsche Regierung allerdings alle Optionen ausloten. Die Koordination und Ausarbeitung von konkreten Vorhaben würde Monate, wenn nicht Jahre dauern und hätte daher besser gestern als heute starten sollen.
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer praktischer Fragen, die im Vorhinein zu klären sind. Eine Auswahl:
Was passiert, wenn Trump erneut mit allen Mitteln versucht, die Wahl anzuzweifeln, das Ergebnis aber diesmal knapper ausfällt? Gibt es eine Koalition an wichtigen US-Verbündeten, die gewillt sind, zusammen schnell Stellung zu beziehen? Gibt es hierzu Absprachen? Wie sieht es mit einer Arbeitsgruppe „Baltikum und Osteuropa“ aus, in der Optionen für eine Rückversicherung der am meisten bedrohten Staaten ausgelotet werden? Was wünschen sich diese Länder von Deutschland, Frankreich und Großbritannien?
Würde man auf diese Fragen vernünftige Antworten haben, könnte das Fortbestehen der Nato auch bei einem temporären Rückzug der USA wahrscheinlicher gemacht werden.
Natürlich müsste Deutschland, müssten die US-Verbündeten, auch mit einer Trump-Regierung im Dialog bleiben. Das gilt auch dann, wenn diese gegen alle Regeln der freundschaftlichen Beziehungen verstößt.
Darüber hinaus mag es am Ende weniger schlimm kommen als befürchtet. Vizepräsidentin Kamala Harris hat realistische Chancen, die Wahl zu gewinnen. Auch könnte es Trump, dessen Markenzeichen die Unberechenbarkeit ist, in einer zweiten Amtszeit unterlassen, transatlantische Krisen zu provozieren.
Es ist eine Binsenweisheit, dass man für die Vorbereitung auf Krisen, die nicht eintreffen, keine Preise gewinnt. Dennoch sollte sich Deutschland für das Worst-Case-Szenario wappnen, auch wenn es am Ende nicht eintreten sollte.
Zum Autor: Alexander Sorg ist Postdoktorand an der Harvard University, wo er im Bereich Nuklearwaffen und internationale Politik forscht. Zuvor war der Wissenschaftler am Centre for International Security der Hertie School in Berlin.