Gastbeitrag von Christian Steinpichler - In Sachen „Wirecard“ wartet nicht nur auf EY ein heißer Herbst

Im Wirecard-Prozess wird auch mit Spannung erwartet, welche Kenntnis die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hatte.<span class="copyright">Peter Kneffel/dpa</span>
Im Wirecard-Prozess wird auch mit Spannung erwartet, welche Kenntnis die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hatte.Peter Kneffel/dpa

Die juristische Aufarbeitung des Falles „Wirecard“ geht in die Sommerpause. Sowohl bei den Strafgerichten, wo 19 Verfahren gegen Verantwortliche und Berater, darunter zwei Wirtschaftsprüfer von EY, anhängig sind, als auch bei den Zivilgerichten, wo inzwischen Klagen und Kapitalanleger-Musterverfahren in Milliardenhöhe anhängig sind, herrschen Gerichtsferien und Unterbrechungen.

Der Fokus liegt dabei nicht nur auf den Hauptverantwortlichen des ehemaligen Konzerns. Vielmehr rückt auch die Rolle der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY Deutschland in den Vordergrund. Gestritten wird um Schadenersatz und die Herausgabe ebenso relevanter wie möglicherweise brisanter Unterlagen.

Dabei ist schon die Ausgangsfrage einer möglichen Haftung eines Wirtschaftsprüfers, wenn Kapitalanlagebetrug durch das Management im Spiel ist, keine Selbstverständlichkeit, sondern eher eine hochpathologische Ausnahme. Der Fall Wirecard gilt in diesem Zusammenhang als GAU für die Finanzmarktintegrität in Deutschland. Entscheidend wird im Rahmen der gerichtlichen Aufarbeitung sein, ob strukturelle Regelungsdefizite im Bereich der Abschlussprüfung festgestellt werden können oder ob es sich um das Versagen einzelner Prüfer handelte, die kriminelle Energie einzelner Unternehmensverantwortlicher zu erkennen.

Der Gesetzgeber hat auf die vermeintlichen Versäumnisse der Abschlussprüfer mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) reagiert, ist dabei aber im Ergebnis nur den halben Weg gegangen und hat es versäumt, die Einrichtung eines Compliance-Management-Systems für börsennotierte Unternehmen zwingend vorzuschreiben. Bei der Aufarbeitung des Wirecard-Komplexes wird all dies allerdings nicht mehr helfen. Hier gelten die alten Haftungshöchstgrenzen, die nur bei vorsätzlichem Handeln des Abschlussprüfers ausgehebelt werden können.

Welche Kenntnis hatte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY?

Ob und welche Kenntnis die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hatte, ist nun zentraler Gegenstand der juristischen Auseinandersetzung. Bereits Anfang 2023 hatte die für die Wirtschaftsprüfer in Deutschland zuständige staatliche Aufsichtsbehörde Apas eine Berufspflichtverletzung festgestellt und EY für zwei Jahre untersagt, Prüfungsmandate bei Unternehmen von öffentlichem Interesse wie Banken, Versicherungen und Unternehmen, die in den einschlägigen Börsenindizes gelistet sind, anzunehmen.

Während sich das Bayerische Oberste Landesgericht nach bisher sehr zögerlichem Beginn in den nächsten fünf bis sieben Jahren (oder länger) mit dem Kapitalanlegermusterverfahren befassen wird, in dem es im Wesentlichen um die Verantwortlichkeit und zivilrechtliche Haftung von EY geht, scheint sich EY bereits auf den Worst Case vorzubereiten.

Still und leise wurde bereits im Januar 2024 die Gesellschafterstruktur der vier Service Lines von EY geändert

Gesellschafter sind nun vier Unternehmen, welche die Service Lines der ursprünglichen EY GmbH widerspiegeln sollen. Die formwechselnde Umwandlung in mehrere Kommanditgesellschaften, ein bisher einmaliger Vorgang unter den „Big Four“ der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, spiegelt die vier Service Lines von EY wider. Einige Anlegerschützer werfen EY vor, durch die formwechselnde Umwandlung Gläubigeransprüche zu gefährden, da den Haftungsklägern allenfalls das (begrenzte) Vermögen und nicht bezifferbare zukünftige Erträge des in der EY GmbH & Co. KG verbliebenen Prüfungsgeschäfts zur Verfügung stehen. Auch dies kann die Haftungsmasse erheblich schmälern. Eine mögliche Nachhaftung der ausscheidenden Kommanditisten ist angesichts der kurzen Frist von fünf Jahren aller Voraussicht nach nicht relevant, da bis zum Ablauf der Nachhaftungsfrist nicht alle offenen Haftungsfragen geklärt sein dürften. Damit droht eine mögliche Enthaftung der ursprünglich Haftenden mit den Mitteln des Umwandlungsrechts.

Schadensersatzforderungen von deutlich über zwei Milliarden Euro

Sollten also die Klagen nicht innerhalb von fünf Jahren rechtskräftig gegen EY entschieden werden, wofür wenig spricht, haften die drei ausgeschiedenen Gesellschaften für diese Ansprüche nur in Höhe der Hafteinlage von rund 7,2 Millionen Euro. Angesichts der bisher geltend gemachten Schadensersatzforderungen von deutlich über zwei Milliarden Euro könnte dies zu einer erheblichen Unterdeckung führen. Die Gerichte werden zu klären haben, ob die entsprechenden Umwandlungsbeschlüsse nichtig und sittenwidrig waren.

Die Entwicklung bleibt also auch nach den jüngsten Einlassungen des sog. Kronzeugen im Strafverfahren spannend.