Gastbeitrag von Gabor Steingart - Biden begnadigt Sohn und legt eine gefährliche Parallele zu Trump offen

US-Präsident Joe Biden hat kurz vor Ende seiner Amtszeit seinen Sohn Hunter begnadigt.<span class="copyright">Susan Walsh/AP/dpa</span>
US-Präsident Joe Biden hat kurz vor Ende seiner Amtszeit seinen Sohn Hunter begnadigt.Susan Walsh/AP/dpa

US-Präsident Joe Biden hat seinen Sohn Hunter begnadigt. Dass er als Begründung mangelndes Vertrauen in den Rechtstaat angibt, macht stutzig. Es offenbart, wie ähnlich der scheidende Staatschef zu Donald Trump ist.

Darf man berührt sein von der Entscheidung des 82-jährigen US-Präsidenten, der seinen geliebten, aber irrlichternden Sohn begnadigt und damit vor einer Gefängnisstrafe bewahrt?

Die kurze Antwort lautet: Ja. Diese Entscheidung legt Zeugnis ab, dass es auch in einer Welt der subtilen Gegengeschäfte eine Vaterliebe gibt, die tief, bedingungslos und daher vollkommen genannt werden darf.

Die ausführliche Antwort aber kann nur lauten: Nein. Denn Joe Biden ist zuerst Präsident, dann Vater. Er darf das hohe Staatsamt, das ihn zur Verkörperung des Rechtsstaates verpflichtet, nicht für private Gefühle, auch nicht die eines mitfühlenden Vaters, missbrauchen. Auch ein Machtmissbrauch aus Liebe bleibt ein Machtmissbrauch.

Die Justiz der Autokraten

Der US-Präsident hat einem Prinzip zu dienen, nicht dem Sohn. Er ist dem großen Ganzen verpflichtet, nicht dem Detail. Sein Heiligtum sei per definitionem kein Gott, kein Mensch, sondern die Idee, dass über den Menschen nicht ein anderer Mensch steht, sondern Recht und Gesetz.

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Der Rechtsstaat mit seinen Richtern und Staatsanwälten ist gerade deshalb der Willkür entzogen, damit Gerechtigkeit widerfahren kann – ohne Rücksicht auf Geschlecht, Religion, Einkommensverhältnisse oder familiäre Bande. Wir hatten ja in der Geschichte all dies: Klassenjustiz. Rassenjustiz. Und jetzt die Justiz der Autokraten, auch wenn Biden als demokratischer Autokrat der freundlichste von allen ist. Aber den Autokraten erkennt man an seiner Bereitschaft zur Willkür, nicht am Lächeln.

Der Rechtsstaat hasst nicht. Und der Rechtsstaat liebt nicht. Er ist ein Verfahren zur Herstellung von Gerechtigkeit.

„Alle 15 Minuten Crack geraucht“

Wer eigentlich ist dieser Hunter Biden? Geboren am 4. Februar 1970 ist Hunter Biden das letzte verbliebene Familienmitglied der ursprünglichen Bidenfamilie. Im Dezember 1972 starben seine Mutter Neilia und seine kleine Schwester Naomi bei einem Autounfall. Der älteste Sohn Beau erlag 2015 einem Hirntumor.

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Als Absolvent der Yale Law School hat Hunter Biden eine beachtliche Karriere absolviert – meist im Fahrwasser der Politik. Nach Stopps in der Finanzbranche wurde Hunter 1998 von Bill Clinton zum Direktor für E-Commerce-Politikangelegenheiten im Handelsministerium ernannt; 2006 holte ihn George W. Bush in das Board of Directors des Bahnunternehmens Amtrak. 2009 gab er diesen Posten auf und gründete eine Investmentfirma.

Das Leben von Hunter Biden wurde von Alkohol- und Drogenproblemen überschattet. Mit 43 Jahren nimmt ihn die Navy 2013 auf. Einen Monat später testete man ihn positiv auf Kokain. Er wurde unverzüglich entlassen.

In seiner wildesten Zeit habe er „alle 15 Minuten Crack geraucht“, erzählte Biden Junior später. Verantwortlich für seine Sucht sei das frühe Trauma durch den Tod seiner Mutter und seiner Schwester, die beide in der Familie nicht ausreichend besprochen worden seien. Nach dem Tod seines Bruders konsumierte er noch mehr. Hunter in einem Interview 2021:

„In der Mitte eines jeden Süchtigen gibt es etwas, das ihm fehlt und das er zu füllen glaubt … Nichts kann das ausfüllen. Und so betäubt man sich selbst.“

Verstoß gegen das Waffengesetz

Im Oktober 2018 erwarb Hunter Biden bei einem lizenzierten Waffenhändler einen Colt Cobra 38 SPL Revolver. Nach Angaben der New York Times hatte er damals einem Freund der Familie mitgeteilt:

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„Ich weiß, dass ihr alle denkt, dass der falsche Bruder gestorben ist.“

Seine letzte Entziehungskur lag nur zwei Monate zurück. Hallie Biden, die Witwe von Beau Biden, fand die Waffe und entsorgte sie aus Angst, Hunter würde sich damit umbringen wollen.

Am 14. September 2023 wurde Hunter Biden wegen Verstoßes gegen Waffengesetze angeklagt. Denn beim Kauf der Waffe hatte er laut Anklage fälschlicherweise angegeben, nicht drogenabhängig zu sein.

Am 11. Juni 2024 fiel das Urteil: schuldig in allen drei Anklagepunkten.

Geld für Partys statt für Steuern

Hunter Biden wurde am 7. Dezember 2023 vor einem Gericht in Kalifornien wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung von 1,4 Millionen US-Dollar angeklagt. Laut Anklage verschleierte er über sieben Millionen US-Dollar Einnahmen. Anstatt Steuern zu zahlen, soll er das Geld für sein ausschweifendes Leben mit hohen Ausgaben für Luxus, Prostitution, Drogen und Partys ausgegeben haben.

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Am 5. September 2024 bekannte er sich gegenüber dem Gericht für schuldig.

Und der Vater? Joe Biden nahm persönlich Anteil, aber versprach politische Neutralität: Vor dem Wahltag, zuletzt beim G7-Gipfel im Juni, sagte er gegenüber Reportern:

„Ich habe gesagt, dass ich mich an die Entscheidung der Jury halten werde. Das werde ich tun.“

Biden gibt den Rechtsstaat zur Verunglimpfung frei

Timing. Die Antwort entsprach nicht der Wahrheit, aber den damaligen Interessen. Biden trat im Wahlkampf als der Bewahrer des Rechtsstaates gegen seinen Gegenspieler, den „Demokratieverächter Trump“, auf.

Nach der Wahl: neues Spiel. Länger warten kann Biden nicht mehr, denn für Mitte Dezember sind die Urteilsverkündungen seines Sohns terminiert. Die politische Karriere des 82-jährigen Biden endet mit dem 20. Januar 2025.

Warum das empörend ist: Biden rettet seinen Sohn und gibt wie nebenbei den Rechtsstaat zur Verunglimpfung frei. Denn er nennt als Begründung für seine Begnadigung nicht etwa seine Vaterliebe, sondern sein Misstrauen in den Rechtsstaat.

Er spricht den Gerichten die Unabhängigkeit ab – wie zuvor sein Sohn, der vom „politischen Sport“, ihn zu jagen, sprach. Der Vater: Jeder „vernünftige Mensch“ würde erkennen, „dass Hunter nur deshalb herausgegriffen wurde, weil er mein Sohn ist – und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass das jetzt enden werde: Genug ist genug.“

Trump und Biden sind in einem Punkt vereint

Biden spricht von „der selektiven Verfolgung“ durch das US-Rechtssystem. Bei Trump heißt das „Hexenjagd“.

 

Fazit: Der US-Präsident hat womöglich aus Liebe gehandelt. Aber man kann auch aus Liebe falsch handeln. Auch Machtmissbrauch aus edlen Motiven bleibt Machtmissbrauch.

Trump und Biden – das ist die bittere Pointe dieser Geschichte – sind in ihrem Argwohn gegen das US-Rechtssystem vereint. Sie beschädigen das Wertvollste, was die westliche Demokratie besitzt, nämlich die Idee, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Oder um mit dem Satiriker Karl Kraus zu sprechen:

„Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit.“