Gastbeitrag von Gabor Steingart - Biden warnt vor Reichen: Quatsch, Deutsche sollten Milliardäre lieber kopieren

Joe Biden verabschiedet sich mit Warnungen vor der wachsenden Macht der Superreichen und sieht die Demokratie in Gefahr. Doch ausgerechnet unter seiner Regierung explodierten die Vermögen der oberen 0,1 Prozent – während die Durchschnittsverdiener leer ausgingen. Ein Blick auf die Gewinner und Verlierer seines Kapitalismus.

Der scheidende US-Präsident Joe Biden wollte zum Abschied noch mal einen Gruß an seine Kernwähler schicken. Also warnte er vor dem Reichtum der Reichen und sah einmal mehr die Demokratie in Gefahr. In seiner Abschiedsrede im Oval Office sagte er:

„Heute bildet sich in Amerika eine Oligarchie aus extremem Reichtum, Macht und Einfluss, die unsere Demokratie, unsere Grundrechte und die fairen Chancen aller, sich zu entfalten, bedroht. “

Die oberen 0,1 Prozent haben sechs Billionen Dollar dazugewonnen

Richtig ist: Die Reichen in den USA Die Reichen in den USA waren noch nie so reich wie heute. Wahr ist allerdings auch: Vier Jahre Joe Biden haben ihnen gutgetan. Wer hatte, dem wurde gegeben.

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Die 100 reichsten Amerikaner sind laut Bloomberg Billionaires Index in den vergangenen vier Jahren um mehr als 1,5 Billionen Dollar reicher geworden, allen voran Tech-Tycoons wie Elon Musk , Larry Ellison und Mark Zuckerberg.

Die oberen 0,1 Prozent haben laut Schätzungen der US-Notenbank vom Beginn der Amtszeit Bidens bis September 2024 mehr als sechs Billionen Dollar dazugewonnen.

Das Gesamtvermögen der 100 reichsten Amerikaner stieg demnach unter Biden um 63 Prozent. Dies geht aus einer Analyse hervor, die die vier Jahre zwischen seinem Sieg im Jahr 2020 und Trumps Wiederwahl im vergangenen November abdeckt.

Die soziale Wirkung dieser Entwicklung ist – wenig überraschend – eindeutig. Die Reichen werden reicher und die Armen zumindest relativ ärmer. Laut einer Analyse des amerikanischen Verbands für Steuergerechtigkeit mit Daten von Forbes gab es im April 2024 knapp 800 Milliardäre in den USA – das sind 0,00024 Prozent der Bevölkerung. Ihr kombiniertes Vermögen: 5,8 Billionen Dollar. Das sind zwei Billionen Dollar mehr als die unteren 50 Prozent der Amerikaner besitzen.

Kapitalismus pur

Vor allem in relativer Hinsicht ist diese Entwicklung, je nach politischem Standort, beängstigend oder beeindruckend. Der Anteil des US-Vermögens, der sich im Besitz der obersten 0,1 Prozent befindet, liegt nach Angaben der amerikanischen Notenbank mit fast 14 Prozent auf seinem höchsten Stand seit den 1980er- Jahren.

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Da kann sich Meta-CEO Mark Zuckerberg eine Schweizer „Greubel Forsey“-Uhr für 895.000 Euro leisten, die er seinem neuesten Video zur Schau trägt. In seiner Abschiedsrede ermuntert Joe Biden zur Gegenwehr gegen solche „Räuberbarone“:

„Vor über einem Jahrhundert haben die Amerikaner sich schon einmal gegen die Räuberbarone gewehrt. Sie haben die Reichen nicht bestraft, sondern nur dafür gesorgt, dass sie sich an die gleichen Regeln halten wie alle anderen auch. Wir müssen das wieder schaffen. “

Wer ist der Treiber dieser Entwicklung? Die Energie, die die Vermögen so exzessiv begünstigt, entsteht im Innersten der amerikanischen Volkswirtschaft. Corporate America hat sich nach der Covid-Pandemie schnell erholt. Das Land ist attraktiv für internationale Investoren und seit die Zinsen sinken, wird auch an der Börse wieder kräftig investiert.

Kapitalismus pur: Der wichtigste Treiber in den Depots der Reichen aber ist eine Welle der Zuversicht, die darauf gründet, dass der Reichtum durch eine neue technologische Revolution weiter zunehmen wird. Kein anderes Land der Welt profitiert von der KI-Revolution derart intensiv wie die Firmen der Vereinigten Staaten und der Staat hat kein Interesse daran, diese Euphorie, deren Nebenprodukt die gigantische Kapitalakkumulation ist, zu beenden.

Der Steuerstaat profitiert vom wilden Treiben an der Wall Street

Allein die ,Magnificent 7’ der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq (Apple, Tesla, Microsoft, Nvidia, Meta, Alphabet, Amazon) haben in der Regierungszeit von Joe Biden ihren Börsenwert auf knapp 18 Billionen Dollar mehr als verdoppeln können.

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Vor allem Chiphersteller Nvidia schoss den Vogel ab und meldete nach vier Jahren demokratischer Herrschaft in Washington einen Zuwachs von über 900 Prozent oder knapp drei Billionen Dollar.

John Cochrane, Senior Fellow der Hoover Institution, sieht keinen Schaden für die Wirtschaft oder das politische System darin, dass Milliardäre „ihr Papiervermögen in wertvollen Unternehmen investieren, die Amerikaner beschäftigen und großartige Produkte herstellen“.

Zumal der Steuerstaat von dem wilden Treiben an der Wall Street durchaus profitiert hat. Im vergangenen Jahr haben die USA – laut U.S. Treasury – rund fünf Billionen an Steuergeldern eingesammelt, davon waren allein 500 Milliarden Dollar „corporate income taxes“.

Gleicher Trend auch in Deutschland

Wer dagegen nur auf seine Lohnarbeit in der Fabrik oder im Büro angewiesen war, konnte in diesen vier Jahren nicht auf große Sprünge hoffen. Der reale Durchschnittsverdienst pro Stunde schrumpfte unter Biden von 11,41 Dollar auf 11,23 Dollar. Das bedeutet: Die Börse und die Realwirtschaft haben sich entkoppelt.

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Und Deutschland? Der gleiche Trend wirkt auch hierzulande, wobei Deutschland in seiner globalen Vermögensposition weiter zurückfällt. Der Grund: Nur knapp die Hälfte der Deutschen besitzt Immobilieneigentum und weniger als 20 Prozent sind am Aktienmarkt investiert.

Mit keiner Reichensteuer der Welt lässt sich der Nachteil einer ökonomisch stationären Gesellschaft, die sich weigert, das Risiko des Aktienbesitzes einzugehen, ausgleichen. Das Sparschwein wird – trotz chirurgischer Eingriffe der Politik – nicht zum Dukatenesel.

Es klingt widersprüchlich und ist doch nichts als die Wahrheit: Das Bedürfnis nach Sicherheit schafft soziale Ungleichheit. Die Konzentration auf den Konsum verhindert die Kapitalbildung, denn diese besteht im Kern immer nur aus angespartem Geld, also aufgestautem Konsum.

Fazit:  Die Menschen wären besser dran, würden sie die Reichen nicht beneiden, sondern kopieren. Die größte Ungerechtigkeit des Börsenkapitalismus besteht darin, nicht dabei zu sein.