Gastbeitrag von Gabor Steingart - Durchmarsch gegen Trump? Das sind die drei großen Schwachstellen der Kamala Harris
Kamala Harris hat die Stimmung in Amerika verändert, aber nicht das Land selbst. Trotz ihres fulminanten Wahlkampfstarts dominiert Trump weiterhin das Wahlmännerkollegium. Harris führt in den Umfragen, aber ihre Wirtschaftsagenda bleibt umstritten.
Kamala Harris hat die Stimmung in Amerika verändert, aber nicht Amerika selbst. Oder deutlicher gesprochen: Trotz ihres fulminanten Kaltstarts in diese Präsidentschaftskampagne 2024 liegt Donald Trump vorn.
Wie das? Im sogenannten Electoral College – das später den Präsidenten wählen wird – verfügt er nach Umrechnung aller demoskopischen Befunde über 287 Wahlmänner. Sie würde nach jetzigem Stand weniger stark verlieren als Joe Biden, aber verlieren würde sie.
Harris’ Pluspunkt: Sie hat noch 76 Tage Zeit, die Menschen mit ihrer fröhlichen Kampagne in Schwingung zu versetzen. Trump hat sein Potenzial weitgehend ausgeschöpft. Man kennt, schätzt oder hasst ihn.
Bislang hat Trump keine Angriffslinie gegen Harris gefunden
Sie und ihr Stellvertreter Tim Walz dagegen sind die New Kids on the Block. Der Parteitag in dieser Woche wird ihre große Bühne. Barack und Michelle Obama sowie etliche Popgrößen der USA werden mithelfen, ihren Bekanntheitsgrad zu steigern.
Hinzu kommt: Bislang hat Trump keine Angriffslinie gegen sie gefunden, die das Momentum wieder zu seinen Gunsten verändern könnte. Er wirkt grimmig, bösartig und frauenfeindlich. Im Durchschnitt der bundesweiten Umfragen erhält sie inzwischen mehr Zuspruch als er – auch wenn sich das bisher noch nicht in Wahlmännerstimmen übersetzt hat.
Er bekämpft seine Gegenkandidatin, indem er über ihr Lachen, ihr Aussehen, ihre Hautfarbe und ihre Herkunft lästert. Er widerlegt sie nicht. Er verunglimpft sie. Mittlerweile attackieren ihn deshalb die eigenen Parteifreunde. Nikki Haley sagte bei Fox News:
„Du solltest nicht über Dinge sprechen, die hier gar keine Rolle spielen.“
Dazu muss man wissen: Sie hatte einst erfolglos gegen Trump kandidiert, ihm bei der republikanischen Konvention aber die Gefolgschaft zugesichert. Jetzt also ihre Kehrtwende:
„Was die Wähler an Kamala mögen, ist, dass sie hoffnungsvoll ist. Sie spricht von Freiheit. Sie spricht über einen Weg nach vorne. Die Wähler wollen nicht, dass ein ehemaliger Präsident dauernd über die Vergangenheit spricht.“
Trump lässt sich zu strategischem Leichtsinn verleiten
Die Tatsache, dass er mit dem überstandenen Attentat glaubt, den Status der Unsterblichkeit erreicht zu haben, verführt ihn zum strategischen Leichtsinn. Seine Negativ-Kampagne hat auf den greisen Biden gepasst. Gegenüber einer knapp 20 Jahre jüngeren Aufsteigerin, die sich als schwarze Frau aus dem Einwanderer-Milieu durchgesetzt hat, wirkt sein Auftritt selbstgefällig, also deplatziert.
Allerdings: Ihre Situation ist nicht so rosig, wie sie in den deutschen Medien gezeichnet wird. Ihre großen Bewährungsproben stehen erst noch bevor. Im längsten Bewerbungsgespräch der Welt, so hat Hillary Clinton die Präsidentschaftskampagne einst genannt, hat sie viele Amerikaner überrascht, aber noch nicht überzeugt.
Bewährungsprobe #1: Sie muss Wirtschaftskompetenz zeigen
Wenn die Wirtschaftskompetenz der beiden Kandidaten abgefragt wird, liegt sie deutlich hinter ihm. Einer ABC News/Washington Post/Ipsos-Umfrage zufolge sogar um neun Prozentpunkte.
Ihre bisherige Agenda konnte selbst die eigene Partei nicht überzeugen. Harris spricht eher über Sozial- als über Wirtschaftspolitik. Ihre Vision skizzierte sie bei einer Veranstaltung in North Carolina am Freitag: Sie versprach, Wucherpreise zu verbieten und neue Steuererleichterungen für Familien anzubieten. Gestern Abend sprach sie sich zudem dafür aus, die Unternehmenssteuern auf 28 Prozent zu erhöhen.
In einem Leitartikel der Washington Post wird kritisiert, dass Harris „anstatt einen substanziellen Plan zu präsentieren, den Moment mit populistischen Spielereien vergeudet“.
Jason Furman, der unter Barack Obama den Vorsitz des Council of Economic Advisers innehatte, sagte der New York Times, dass Maßnahmen gegen Preistreiberei „keine sinnvolle Politik“ seien und das Angebot beeinträchtigen könnten:
„Ich denke, die größte Hoffnung ist, dass es am Ende eine Rhetorik ist, die nicht Realität wird.“
Harvard-Wirtschaftsprofessor Kenneth Rogoff sagte gegenüber CNN, er glaube nicht, dass die Preismanipulationen von Unternehmen „allzu viel“ mit der Inflation zu tun hätten:
„Ich hoffe, sie nimmt diese Aussage zurück. Sie hatte einige gute Ideen, einige gemischte Ideen. Das war eine schreckliche Idee.“
Trump nutzte bei einer Kundgebung in Pennsylvania – einem der Swing States – die Steilvorlage und ging von der Kritik zur Übertreibung über. Harris befürworte „kommunistische Preiskontrollen“, die zu „Nahrungsmittelknappheit, Rationierungen, Hunger und deutlich mehr Inflation“ führen würden.
Bewährungsprobe #2: Sie muss sich von Joe Biden lösen
Um Harris anzugreifen, reicht es derzeit, sie mit Joe Biden in Verbindung zu bringen. Er ist für viele Amerikaner der Mann, der die Preise nach oben getrieben und die Inflationsgefahr zu spät erkannt hat. Er ist auch der Mann, in dessen Amtszeit die illegale Migration zugenommen hat und zwei Kriege ausgebrochen sind, bei denen die alte Ordnungsmacht Amerika keine wirkliche Rolle spielt.
Als Trump kürzlich in North Carolina sprach, hat er Harris immer wieder mit Biden verbunden: „Die beiden sind ein Team“, so Trump.
Bewährungsprobe #3: Sie muss in frei geführten Interviews überzeugen
Bislang hat Harris ausschließlich vom Teleprompter abgelesen. Es gibt seit dem Machtverzicht von Biden kein frei geführtes Interview mit ihr. „Sie hat das Momentum. Jetzt folgt der Wirklichkeitstest“, kommentierte gestern die Financial Times.
Denn in der Königsdisziplin des amerikanischen Journalismus, dem rasant und provokant geführten Live-Interview, ist sie noch gar nicht angetreten. Ihre Performance 2020 gegenüber Mike Pence in der Debatte der damaligen Vizepräsidenten war beeindruckend. Sie war besser als er. Aber es war eben Pence, nicht Trump.
Fazit: Kamala Harris muss jetzt nicht nur kämpfen. Sie muss trickreicher und entschlossener kämpfen als Trump. Damit am Ende dieser Kampagne nicht der böse Satz des ehemaligen französischen Präsidenten François Mitterrand steht:
„Manche Politiker sterben auf Barrikaden, auf denen sie nie gestanden haben.“