Gastbeitrag von Gabor Steingart - Fünf Gründe zeigen, warum die FDP die Ampel jetzt verlassen muss
Christian Lindner steht am Scheideweg: In der Ampelkoalition kann die FDP nicht mehr bestehen. Angesichts der schwindenden Autorität von Scholz und der zunehmenden Konflikte mit SPD und Grünen muss Lindner jetzt handeln, um seine Partei vor dem Untergang zu bewahren.
Im Video oben: „Wie weit will man noch sinken?“: Merz feuert heftig gegen FDP
1,1 Prozent in Thüringen, 0,9 in Sachsen, 0,8 in Brandenburg und bundesweit hat sich die Zahl derer, die bereit wären, morgen die FDP zu wählen, halbiert. Der FDP-Vorsitzende, der als Hans im Glück seine Partei einst zurück in den Bundestag brachte, steht zerzaust vor uns.
Sein Goldklumpen ist zerbröselt. Was da glänzt, ist der Nachruhm. Um seinen Hals hängt nun ein veritabler Mühlstein, der in Richtung Abgrund zieht.
Die Situation der FDP innerhalb der Ampelkoalition ist nur deshalb nicht trostlos zu nennen, weil es Alternativen zum Untergang gibt.
Was für die Bremer Stadtmusikanten gilt – um im Einzugsbereich der Grimmschen Märchen zu bleiben –, gilt auch für Lindner: Etwas Besseres als den Tod wird er überall finden.
Aus fünf Gründen ist es an der Zeit, die Sachen zu packen und das Bundesfinanzministerium zu verlassen. Die Liberalen müssen sich ins Freie bewegen:
#1 Die Kanzler-Autorität von Olaf Scholz ist erloschen
Dieser Bundeskanzler kann dem Bündnis aus SPD, Grünen und FDP keine Stabilität mehr bieten. Der innere Wärmestrom, der einen jeden Regierungschef mit seinem Volk verbindet, ist erloschen. Und auch innerhalb der Regierung droht den Partnern der Kältetod.
Das zunächst freundschaftlich partnerschaftliche Verhältnis zwischen Scholz und Lindner ist einer angestrengten Arbeitsbeziehung gewichen. Scholz regiert unter dem zunehmenden Druck der SPD-Linken, die es dem FDP-Chef zeigen wollen. Der wiederum besitzt angesichts zerfallender Umfragewerte keinen Spielraum für Zugeständnisse. Höhere Steuern und wachsende Schulden sind seine roten Linien.
#2 Die Ampel wurde zum rot-grünen Bündnis mit FDP-Duldung
Im Laufe von nunmehr drei Regierungsjahren wurde deutlich, dass SPD und Grüne mit der FDP nicht viel mehr verbindet als das Papier des Koalitionsvertrages. Es gibt kein gemeinsames Grundverständnis über die angespannte ökonomische Lage des Landes und die Belastbarkeit der Unternehmen.
Ungerührt befeuern SPD und Grüne ein staatliches Berichtswesen, das auf kleine und mittlere Betriebe wie ein Nervengift wirkt. Die Übergriffigkeit des Staates, die mit einer Flut neuer Gesetze und einer Expansion der staatlichen Planstellen zu Buche schlägt, wird von den beiden größeren Koalitionspartnern gar nicht so empfunden.
#3 Fiskalpolitik: Mission accomplished
Inhaltlich ist für Christian Lindner in dieser Parteien-Konstellation nichts mehr zu holen. Er hat das Lockern der Schuldenbremse verhindert und die grüne Lust auf Steuererhöhungen gezähmt. In Europa setzte er klare Regeln gegen die weitere Verschuldung durch.
Jeder weitergehende Reformschritt aber, zum Beispiel das Design für eine große Steuerreform oder das planmäßige Zurückdrängen des Sozialstaates, ist mit den anderen Parteien nicht zu machen. Damit ist der kreative Spielraum für einen FDP-Finanzminister erschöpft. Ab jetzt wird nur noch auf Halten gespielt.
#4 Eigensicherung zuerst
Christian Lindner muss jetzt zuerst an sich und seine FDP denken. Die Tatsache, dass die liberalen Wähler seine Finanzpolitik der Strenge nicht ausreichend goutieren und ihm bei den Wahlen so zahlreich von der Fahne gingen, kann er nicht ignorieren.
Zumal es in der Partei schon seit längerem rumort. Es gelang Lindner Mitte Dezember vergangenen Jahres nur knapp, die Parteimitglieder so umzustimmen, dass sie bei einer Mitgliederentscheidung für einen Verbleib in der Koalition gestimmt haben. Würde heute erneut ein solcher Anlauf unternommen, dürften sich die Mehrheitsverhältnisse verschoben haben.
#5 Liberalismus neu denken
In Zeiten einer zersplitterten Parteienlandschaft funktionieren die alten Logiken nicht mehr. Das alte Traumpaar aus Union und FDP wird, so wie die Dinge liegen, womöglich nie mehr eine Mehrheit bilden können.
Erforderlich ist eine neue gedankliche Beweglichkeit, um sich mit der Vielzahl der Möglichkeiten anzufreunden. Fragen von großer Tragweite sind aufgeworfen:
Wie belastbar ist die zur Schau gestellte marktwirtschaftliche Gesinnung von Sahra Wagenknecht?
Lässt sich rechts der Mitte womöglich doch ein Bündnis aus Union, AfD und FDP schmieden?
Oder muss der Gedanke vom Mehrheitsbeschaffer beerdigt werden, um innerhalb und außerhalb der Parlamente eine liberale Mittelstands-Opposition zu begründen?
Fazit: FDP-Chef Lindner muss sich entscheiden, ob er Teil des Problems oder Teil der Lösung sein will. Wer sich im Getöse der Gegenwart ein feines Gehör bewahrt hat, der hört es: Die Uhr der FDP hat wieder zu ticken begonnen.