Gastbeitrag von Gabor Steingart - Die Rivalität zwischen Habeck und Lindner erreicht ein gefährliches Level

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, spricht mit Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, im Plenarsaal.<span class="copyright">Michael Kappeler/dpa</span>
Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, spricht mit Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, im Plenarsaal.Michael Kappeler/dpa

Christian Lindner und Robert Habeck sind die größten Streithähne der Ampel-Koalition. Beide bäumen sich gegen das Dominanzverhalten des anderen auf, worunter Bürger und Regierungsarbeit leiden. Die beiden Minister gehören auf die Couch.

Eine Regierung, die nur noch streitet, wird früher oder später abgewählt. Aber schon bevor es so weit ist, gehört sie auf die Couch des Therapeuten. Und der die Szene beobachtende Journalist muss – ob er will oder nicht – zum Psychologen umschulen.

Denn die düstere Macht des Unterbewussten hat in diesen Tagen die Welt des Politischen betreten. Sigmund Freud konnte Christian Lindner und Robert Habeck nicht kennen. Aber er kannte die in ihnen wirkenden Kräfte:

„Der Mensch ist nicht Herr im eigenen Haus.“

 

Was sich da abspielt zwischen „dem Christian“ und „dem Robert“, so neckisch nennen sie einander, sind typische Territorialkonflikte, wie wir sie in der Sandkiste eines jeden Kindergartens beobachten können. Durch eine kognitive Verzerrung wird der andere nicht mehr als liebenswert, sondern als bedrohlich empfunden. Deine Schaufel ist meine Schaufel.

Die Hilflosen werden zu Halbstarken

Es kommt bei deutlich abgesenkter Frustrationstoleranz zu einer zunehmend im Selbstlauf gesteuerten Reaktanz. Diejenige Person, die sich im Aktionsradius beengt fühlt, wehrt sich. Und da beide dieselbe Empfindung hegen (nur eben spiegelverkehrt), kommt es zu diesen unschönen Szenen einer öffentlichen Disharmonie.

Positiv könnte man sagen, die Probanden – beide vom Typus Alphamännchen – bäumen sich gegen das Dominanzverhalten des jeweils anderen auf. Die Arbeiten des amerikanischen Psychologen Martin Seligman über die „Theorie von der erlernten Hilflosigkeit“ werden insofern relativiert, dass sich hier keiner dem anderen unterwirft. Ein jeder weist die Zumutungen des Rivalen mit empörter Pose zurück. Der Hilflose wird zum Halbstarken.

Lindner kämpft für Autos, Habeck hat Spendierhosen an

Im Falle von Lindner ist es der kategorische Imperativ des grünen Klimaschutzes, den er für sich nicht als handlungsleitend akzeptiert. Also fordert der Porschefahrer im Zuge einer überschießenden Reaktanz die Rückeroberung der Innenstädte durch das Automobil: freie Fahrt für den freiheitlich gesinnten Christian.

Habeck wiederum hat die Spendierhosen angezogen und lehnt das von Lindner (und der Verfassung) geforderte Spardiktat so inbrünstig ab, dass er täglich neue staatliche Ausgaben einfordert. Die Leere in der Staatskasse hält er für einen Trickbetrug. Wir erleben Robert Habeck in der Rolle des kleinen Häwelmanns von Theodor Storm:

„Mehr, mehr, schrie er und blies wieder seine Backen auf.“

Die Talkshow-Rivalität der Minister hat eine lange Vorgeschichte

Die Rivalität der beiden Männer begann schon vor der Ministerwerdung, als der Christian den Robert auf dem Sofa von Anne Will als „cremig“ bezeichnete und die Grünen als „Klima-Nationalisten“.

Die Rivalität in den Talkshows besteht bis heute, wie Habeck zu Beginn des Jahres bei Caren Miosga sagte:

„Wir kommen aus verschiedenen politischen Denkschulen.“

Als beide ins Kabinett aufgestiegen waren, warf er dem Nebenbuhler „unterkomplexes Denken“ vor. In der Sache ging es um die Kernenergie. Aber irgendwie geht es zwischen den beiden immer ums große Ganze.

Streit ums Finanzministerium

Das Fundament ihrer Rivalität wurde in den Koalitionsverhandlungen gelegt, als beide um das Finanzressort buhlten. Habeck hatte die Steuerung der staatlichen Milliarden als strategisches Ziel für die Grünen ausgegeben. Lindner drohte: Falls Habeck tatsächlich das Finanzministerium begehre, würde er die Zuständigkeit für Klimaschutz und Umwelt für die FDP reklamieren.

Olaf hilft: Mithilfe des SPD-Spitzenkandidaten und späteren Kanzlers gelang es Lindner schließlich, das Finanzressort und auch noch das Verkehrsministerium zu ergattern. In ihm wollten die Grünen eigentlich die Mobilitätswende exekutieren. Doch Scholz hatte Angst, in einem Spielzug die Automobilarbeiter, die Autofahrer und die IG Metall zu verlieren.

Die Temperatur zwischen beiden ist auf den Tiefpunkt gesackt

Es folgte der monatelange Streit um die Nutzung der Atommeiler, die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse und zuletzt das Ringen um den Bundeshaushalt. Während der langen Nachtsitzungen sackte die Temperatur zwischen den beiden unter den Gefrierpunkt.

Habeck über Lindner:

„Sollte ich jemals Bundeskanzler werden, wird Christian Lindner nicht Finanzminister.“

 

Fazit: Die psychodynamischen Energien zwischen Finanz- und Wirtschaftsminister lösen unterschiedliche Empfindungen aus: Die Bürger sind entsetzt, die Medien begeistert, der Kanzler und sein Team verstummt. Olaf Scholz ist der wahre Leidtragende: Wenn zwei sich streiten, verliert ein Dritter – und zwar seine Autorität.