Gastbeitrag von Gabor Steingart - Dieser Kanzler ist Auslaufware: Deutschland braucht die SPD und einen bestimmten Mann
Olaf Scholz wird von 90 Prozent der Wähler die Kanzlerfähigkeit abgesprochen. Trotzdem glaubt er, am Wahltag erneut das Kanzleramt erobern zu können. Die SPD-Führung muss erkennen, dass es dazu nicht kommen wird. Was die Sozialdemokraten jetzt tun sollten und wonach das Volk ruft.
In Hollywood ist der Fall eindeutig: Der beliebteste Schauspieler bekommt die besten Rollen angeboten. Auf dem Kunstmarkt gilt: Der beliebteste Maler seiner Zeit erzielt in der Auktion die höchsten Preise. Im Konzertgeschäft ist es eine Selbstverständlichkeit: Die beliebteste Sängerin betritt nicht die Studiobühne, sondern das Stadion.
Nur in der SPD glaubt ein Mann, dass für ihn andere Regeln gelten. Olaf Scholz wird von 90 Prozent aller Wähler, so die jüngste Forsa-Erhebung, die Kanzlertauglichkeit abgesprochen und trotzdem reklamiert er für sich die Hauptrolle, das Stadion und glaubt, am Wahltag als Publikumspreis erneut das Bundeskanzleramt überreicht zu bekommen.
SPD-Problem: Sie hat ein Produkt ins Schaufenster gestellt, das keine Begehrlichkeit weckt
Man muss kein Hellseher sein, um der SPD-Führung zu prophezeien: Das wird nicht passieren. Die Kanzlerschaft des Olaf Scholz ist blass und welk. Eher singt Roland Kaiser im Wembley-Stadion und spielt Til Schweiger den nächsten James Bond, als dass Scholz eine zweite Amtszeit bekommt. Er ist – man muss es so deutlich formulieren – beim Publikum und der Kritik durchgefallen. Das kann passieren. Das ist kein Drama. Das ist demokratische Normalität.
Das Drama der Gegenwarts-SPD besteht vielmehr darin, dass sie die Gesetze von Marktwirtschaft und Demokratie für sich nicht akzeptieren will. Sie hat ein Produkt ins Schaufenster gestellt, das keine Begehrlichkeit weckt und deshalb unverkäuflich ist – in Brandenburg, in Sachsen, in Thüringen und auch im Rest der Republik.
Die Männer und Frauen der Sozialdemokratie müssen sich nicht gleich aus dem Fenster stürzen. SPD-Chef Lars Klingbeil sollte jetzt das tun, was jeder brave Einzelhändler auch tun würde: umdekorieren. Die Herbstware gehört ins Lager und die neue Kollektion in die Auslage. Auf dass die Menschen sich wieder die Nase an der Schaufensterscheibe platt drücken.
Die Mode für die Saison 2025 ist bereits eingetroffen. Boris Pistorius
Zumal: Die Mode für die Saison 2025 ist bereits eingetroffen. Womit wir bei Boris Pistorius wären. Der SPD-Verteidigungsminister rangiert in den Listen der Meinungsforschungsinstitute seit Monaten auf Platz 1. Man trägt wieder Olivgrün.
Es ist ja keineswegs so, dass die SPD nicht mehr gebraucht würde. Der liberale Vordenker Ralf Dahrendorf, der 1983 in seinem Essay „Die Chancen der Krise: Über die Zukunft des Liberalismus“ das Ende des sozialdemokratischen Zeitalters gekommen sah, hat sich schlicht geirrt:
Der Wohlfahrtsstaat, die große Umverteilungsmaschine, dreht weiter hochtourig. In der älter werdenden Gesellschaft befinden sich Gesundheitswesen und Rentenversicherung nicht in der Legitimationskrise, wie Dahrendorf glaubte, sondern bilden das Zentrum eines solidarisch verfassten Gemeinwesens.
Die Globalisierung hat die nationalstaatlichen Verabredungen zwar relativiert, aber nicht liquidiert. Fairer Lohn für gute Arbeit wird niemals unmodern sein.
Das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen durch Leistung ist weiterhin hochattraktiv und verkörpert für alle, die nicht mit Nachnamen Miele, Krupp, Albrecht oder Quandt heißen, die Sehnsucht ihres Lebens.
Kurz und gut: Die SPD muss nicht Konkurs anmelden. Sie braucht nur an der Spitze wieder jemanden, der das Kernversprechen für die Kernzielgruppe glaubwürdig verkörpert.Und jemanden, der Recht und Ordnung wiederherstellt. Denn eine SPD, die dem Falschparker den Abschleppdienst schickt und dem kleinen Steuersünder die Steuerfahndung auf den Hals hetzt, derweil Drogengeschäfte legalisiert und illegal eingereiste Migranten geduldet werden, ist für die kleinen Leute nicht attraktiv.
Pistorius ist ein Wissender
Das mag man im SPD-Parteivorstand als postmodern, divers und cool empfinden. Für die eigene Wählerschaft bleibt es unverständlich: Politik ohne Volk. Man wartet jetzt auf einen, der dem Staat seine Autorität zurückgibt, ohne selbst autoritär zu sein. Pistorius hat als Innenminister von Niedersachsen tiefe Einblicke in den Sicherheitsapparat gewonnen und lernte dabei auch jene Kräfte kennen, die diesen Staat zu zersetzen versuchen. Er ist nicht naiv. Er ist ein Wissender.
Der Angriff Putins auf die Ukraine hat ihn ernster gemacht, aber nicht verhärtet. Der Mann weiß um die Notwendigkeit einer militärischen Aufrüstung. Er weiß aber auch, dass Kriege am Verhandlungstisch und nicht im Schützengraben entschieden werden. Wenn die Deutschen die Wahl hätten zwischen einem neuen Kalten Krieg oder einer zeitgemäßen Interpretation der Entspannungspolitik, wüssten sie sich zu entscheiden.
Auch wenn nahezu alle Medien einen anderen Eindruck erwecken: Über die Wahlchancen von CDU-Chef Merz wird nicht in den Staatskanzleien von Düsseldorf und München entschieden, sondern im Willy-Brandt-Haus. Der richtige Gegenkandidat macht den Unterschied. Das heutige Angebot der Parteien hinkt auf vier Beinen. Wer hören kann, der hört es: Das Volk ruft nicht Merz und das Volk ruft nicht Scholz. Es verlangt Auswahl.
Eine SPD-Führung, die sich diesem Verlangen verschließt, hat ihre „Instinkt-Sicherheit“ verloren, um mit Friedrich Nietzsche zu sprechen. Der Philosoph kannte Klingbeil nicht, aber er kannte die Schwerkraft politischer Verhältnisse: Macht verdummt. Alles Gute ist Instinkt. “