Gastbeitrag von Gabor Steingart - Leichtgewicht-Gefahr! Für den Wahlsieg muss Merz den „Skorpion“ Söder kaltstellen
Friedrich Merz führt einen Kampf an zwei Fronten – zwischen SPD und der Schwesterpartei CSU. Markus Söder könnte den CDU-Chef als Leichtgewicht dastehen lassen. Dann hätte der Kanzlerkandidat kaum noch eine Chance auf den Wahlsieg.
Die Wähler erwarten von einer Partei, die sich um das Bundeskanzleramt bewirbt, nicht zuerst Visionen, sondern Geschlossenheit. Die Partei hinter einem potenziellen Kanzlerkandidaten muss nicht zuvorderst links oder rechts, rot, blau oder grün, sondern geeint sein.
Diese Sehnsucht nach Geschlossenheit ist nicht spießig oder verrückt. Sie ist vernünftig. Einem Kanzlerkandidaten, der vorher nicht die eigenen Leute hinter sich versammeln kann, wird es schwerlich gelingen, später Amerikaner, Russen oder auch nur die anderen Europäer auf seine Seite zu ziehen.
Oder noch deutlicher formuliert: Wer einen christlichen Landespolitiker nicht zur Strecke bringen kann, muss beim unchristlichen Putin gar nicht erst vorsprechen.
Leichtgewichte werden nicht gewählt
Das Volk braucht keine Waage. Es besitzt ein untrügliches Gespür für das Kampfgewicht der ihm vorgestellten Kanzlerkandidaten. Leichtgewichte werden höflich beklatscht, aber nicht gewählt.
Das Herstellen von parteiinterner Geschlossenheit ist daher der erste Nachweis einer Führungskraft. Ohne diesen Gesellenbrief verleiht der Bürger später keinen Meistertitel.
Womit wir bei Friedrich Merz wären. Die notwendige Geschlossenheit der Union, das zeichnet sich jetzt schon ab, bekommt der CDU-Chef nicht geschenkt. Beinahe täglich muss er mit der Schwester-Partei und deren Vorsitzendem, CSU-Chef Markus Söder , in den Ring steigen.
Söder ist der „Skorpion in der Union“
Die beiderseitige Beziehung ist von tiefer Abneigung, gespielter Partnerschaft und einem jahrelang andauernden Rangordnungskampf gekennzeichnet. Der Bayer besitzt ein feines Gespür für die verletzbare Seite des anderen. Dagmar Rosenfeld und Robin Alexander nennen ihn in ihrem Podcast „Machtwechsel“ den „Skorpion in der Union“.
Als Friedrich Merz zum ersten Mal für den CDU-Vorsitz antrat, erntete er aus München nur Spott. Mit seiner „Erfahrung aus den 90ern“, so ätzte Markus Söder im Mai 2021, werde er der CDU „bestimmt“ hilfreich sein. Zur Erinnerung: Merz feiert noch im Jahr der Bundestagswahl seinen 70. Geburtstag.
Als Merz – mittlerweile CDU-Chef und Kanzlerkandidat – in der Sendung von Sandra Maischberger kürzlich eine Avance an die Adresse der Grünen absetzte und sich Habeck als grünen Wirtschaftsminister vorstellen konnte, wurde Söder auf dem Rücksitz seiner Dienstlimousine regelrecht unruhig und griff unverzüglich zur Videokamera:
„Mit der CSU gibt es kein schwarz-grün. Keinen Robert Habeck als Wirtschaftsminister. Am besten bitte in die Opposition.“
Nicht Rivalen, sondern Parteifreunde sind am gefährlichsten
Die Vorgänge sind für das Team Merz auch deshalb so bedrohlich , weil man ja weiß, dass ein innerparteiliches Armdrücken den Anfang vom Ende seiner Ambition bedeuten kann. Viele Politiker werden nicht vom Rivalen, sondern vom Parteifreund zu Bette gebracht.
Unvergessen der Fall Rainer Barzel: Der gebürtige Ostpreuße stand 1972 einer gespaltenen CDU/CSU-Fraktion vor, die sich nicht entscheiden konnte, ob sie die Ostpolitik der SPD/FDP-Regierung („Wandel durch Annäherung“) unterstützen oder bekämpfen sollte. Barzel positionierte sich zwischen den Stühlen, auch um einen internen Machtkampf zu verhindern.
Immerhin: Kurz vor Verabschiedung der Ostverträge fasste sich der Zauderer ein Herz und beantragte ein konstruktives Misstrauensvotum. Er scheiterte an zwei Stimmen aus den eigenen Reihen, wodurch seine Autorität als Oppositionsführer schwer beschädigt war. Dass sich zwei CDU-Abgeordnete von der Stasi hatten kaufen lassen (wie sich später herausstellte), machte die Sache nicht besser.
Im November 1972 kam es zu vorgezogenen Neuwahlen. Rainer Barzel wurde Kanzlerkandidat, aber konnte mit der Bürde einer zerstrittenen Union nicht gegen den Fortschrittskanzler Willy Brandt („Willy wählen!“) bestehen. Die Union wurde erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik nicht die stärkste Fraktion.
Wahlkampf mit verschränkten Armen
In übler Erinnerung ist in Unionskreisen auch die jahrelange Fehde zwischen Franz Josef Strauß und Helmut Kohl. Die Verunglimpfung Kohls durch den Spiegel als „Birne“ fand in der Schmähung durch Franz Josef Strauß („Er wird nie Kanzler werden. Er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und politischen Voraussetzungen – alles!“) ihre Fortsetzung.
Strauß setzte sich 1980 schließlich als Kanzlerkandidat im eigenen Lager durch. Er holte immerhin mehr Stimmen als Helmut Schmidt, doch ihm fehlte die Anschlussfähigkeit in Richtung der Liberalen. Das Ergebnis: Strauß wurde Wahlsieger. Schmidt aber blieb dank der FDP trotzdem Kanzler.
Auch CSU-Chef Edmund Stoiber machte im Wahlkampf 2002 die Erfahrung, dass ohne die Geschlossenheit von CDU und CSU kein Blumentopf zu gewinnen ist. Fintenreich hatte er zwar die noch unerfahrene CDU-Chefin und Oppositionsführerin Angela Merkel zur Seite gedrängt.
Doch für die Kanzlerschaft hat es schließlich nicht gereicht. Die West-CDU führte nur mit verschränkten Armen den Wahlkampf. Der Kandidat Stoiber starb den Kältetod.
Nicht Scholz hat die Wahl gewonnen, die Union hat sie verloren
Merz hat auch nicht vergessen, was dem CDU-Kanzlerkandidaten von 2021, Armin Laschet, widerfuhr. Bereits zwei Tage nach Laschets Wahl zum Kanzlerkandidaten sagte Söder in der Süddeutschen Zeitung:
„Ich glaube nicht, dass es klug ist, nach den progressiven Merkel-Jahren eine Politik ,Helmut Kohl 2.0‘ aus der Vergangenheit zu machen. Wir brauchen einen politischen New Deal statt Old School.“
Laschets Rennen um das Kanzleramt war kein Wettlauf mit Olaf Scholz, der zu Beginn des Wahlkampfes weit abgeschlagen war. Laschet bekam es, nachdem er sich einige Patzer erlaubt hatte, mit den bayerischen Putschisten rund um Markus Söder zu tun.
Der Ministerpräsident aus München kritisierte den Wahlkampfstil von Laschet („Es geht nicht darum, mit dem Schlafwagen ins Kanzleramt zu fahren“) und brachte sich selbst knapp eine Woche vor der Wahl als der bessere Kandidat ins Spiel.
„Wenn die CDU bereit wäre, mich zu unterstützen, wäre ich bereit. Wenn die CDU es nicht will, bleibt ohne Groll eine gute Zusammenarbeit.“
Erst ein Machtwort von Wolfgang Schäuble beendete die Palastrevolte, doch der Kanzlerkandidat Laschet war in seiner Substanz irreparabel beschädigt. Die geteilte Union verlor im Vergleich zum Umfragehoch vom Anfang des Jahres (36 Prozent) bis zur Bundestagswahl im September mehr als 10 Prozentpunkte.
Olaf Scholz glaubt bis heute, er habe die Bundestagswahl 2021 gewonnen. Aber in Wahrheit hat die Union sie verloren. Das ist nicht dasselbe.
Fazit: Auch Merz führt einen Zwei-Fronten-Wahlkampf gegen SPD und CSU, da man sich in München angewöhnt hat, bei jeder Gelegenheit ein Co-Referat zu halten. Wenn in diesen Tagen wieder die „Geschlossenheit der Union“ beschworen wird, müssten die Medien ehrlicherweise folgenden Warnhinweis hinzufügen: Dies ist eine Meinungsäußerung, keine Tatsachenbehauptung.