Gastbeitrag von Gabor Steingart - Die Nahost-Eskalation offenbart das Versagen der USA

Eine mobile israelische Artillerieeinheit feuert eine Granate aus dem Norden Israels in Richtung Libanon.<span class="copyright">Baz Ratner/AP/dpa</span>
Eine mobile israelische Artillerieeinheit feuert eine Granate aus dem Norden Israels in Richtung Libanon.Baz Ratner/AP/dpa

Im nahen Osten dreht sich die Spirale der Gewalt. Ein Weltpolizist, der sowohl den Umgang mit Bomben als auch mit Friedensverhandlungen beherrscht, wäre jetzt gefragt. Doch die USA versagen trotz langer Tradition in dieser Rolle.

Das Geschehen in Nahost folgt der Choreografie der Gewalt. Jeder Angriff wird effektvoll mit einem Gegenangriff erwidert.

Der Zivilist ist entsetzt, der Militarist berauscht: Denn die Funktion des Gegenangriffs besteht keineswegs darin, die vorherige Grausamkeit zu erwidern, sondern sie zu überbieten. Sinfonie in blutrot: Die Komponisten verwandeln vor unseren Augen den Frieden in Terror und den Terror in Krieg.

Am 7. Oktober jährt sich der Tag, an dem die Hamas den Staat Israel im Süden überfallen und Zivilisten gemordet hat. Seither wird zurückgeschossen – neuerdings auch auf den Libanon. Seit gestern mischt auch der Iran wieder mit ballistischen Raketen die Region auf. Das Kriegsziel aller Seiten scheint der Krieg zu sein.

Der Weltpolizist ist friedliebend, aber nicht naiv

„Verhandlung führen, als gäbe es keinen Terror und den Terror bekämpfen, als gäbe es keine Verhandlungen“, das war das paradoxe Vermächtnis, das der ehemalige israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin der Welt hinterließ.

Für die Exekution von Teil zwei des Satzes fühlt sich heute der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verantwortlich. Für Teil eins offenbar niemand.

 

Womit wir beim Versagen der USA wären. Früher gehörte es zum Job des Weltpolizisten, den Terror zu bekämpfen und gleichzeitig Frieden zu ermöglichen. Das genau unterscheidet den Polizisten vom Täter. Er schießt, aber nicht nur. Er ist friedliebend, aber nicht naiv. Er wendet Gewalt an, um Frieden zu schaffen.

Der Ruf der USA als Weltpolizist lebte von Bomben und Friedensverhandlungen

Der gute Ruf der Amerikaner lebte einst von diesem Dualismus: Es gab Waffenlieferungen an die Israelis. Und es gab Camp David.

Man schickte Bomben nach Belgrad. Und legte in Dayton Ideen für den Frieden auf den Tisch.

Die heutigen USA beliefern die Ukraine mit Waffen und haben bislang nicht eine diplomatische Initiative in Richtung des Kreml gestartet. Die heutigen USA unterstützen Israel und sichern seine militärischen Operationen auf der Seeseite ab. Ein ernsthafter diplomatischer Aufschlag wurde bislang nicht unternommen.

In dieser Situation ist es hilfreich, sich an die großen Friedensinitiativen der USA zu erinnern. Denn die Vereinigten Staaten verfügen nicht nur über die größte Militärmacht unter der Sonne, sondern waren in ihren Sternstunden auch die größte Friedensmacht auf Erden.

Jimmy Carter wagte den Neustart im Nahen Osten

US-Präsident Jimmy Carter wagte nach seiner Amtseinführung 1977 den Neustart im Nahen Osten. Er traf sich mit den Regierungschefs der Region, besonders die Gespräche mit dem israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin und Ägyptens Präsident Anwar as-Sadat schienen vielversprechend.

13 Tage steckten die drei im September 1978 in Camp David, Maryland, dem Rückzugsort eines jeden US-Präsidenten, die Köpfe zusammen. Carter führte seine Gäste in den nahegelegenen Gettysburg National Military Park, die Gräber des amerikanischen Bürgerkriegs als Warnung nutzend.

Das Ergebnis war ein Friedensvertrag zwischen dem jüdischen und dem arabischen Staat. Israel zog seine Truppen vom Sinai ab und verpflichtete sich, „die legitimen Rechte des palästinensischen Volkes“ anzuerkennen.

Reagan legte den Grundstein für Verhandlungen mit Sowjetunion

1985 kamen zum ersten Mal seit sechs Jahren die Regierungschefs der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zusammen. Das Gipfeltreffen in Genf begann mit einem Meinungsaustausch vor dem Kamin zwischen US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow.

Reagan – der die Sowjetunion zwei Jahre zuvor noch als das „Reich des Bösen“ bezeichnet hatte – und Gorbatschow – dessen Politik von Glasnost und Perestroika die Bereitschaft zur Zusammenarbeit erkennen ließ – legten den Grundstein für Verhandlungen. Infolge dieses Klimawandels erklärte Gorbatschow sich 1987 bereit, als erster mit der Abrüstung zu beginnen. Er und Reagan unterzeichneten im Dezember desselben Jahres den INF-Vertrag zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenraketen.

Bill Clinton schaffte erstmals gegenseitige Anerkennung von Israelis und Palästinensern

Als am 13. September 1993 in Washington, D.C. das Oslo-Abkommen unterzeichnet wurde, war Bill Clinton der Schirmherr. Er besiegelte die „Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung“ der Palästinenser. Beide Parteien, der Staat Israel und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), erkannten sich erstmals gegenseitig an.

Es war der Startschuss des Friedensprozesses der 90er-Jahre, der ohne die Absicherung der USA nicht hätte stattfinden können. Die Clinton-Administration unterstützte die Palästinenser beim Aufbau ihrer neu erlangten Autonomiegebiete, dem Gazastreifen und dem Westjordanland. Die PLO, die bisher im Westen nur als Terrororganisation gesehen wurde, strich die antiisraelischen Passagen aus ihrer Charta. Der bewaffnete Kampf gegen den Staat der Juden wurde eingestellt, wenn auch nur vorübergehend.

Am 14. Dezember 1995 wurde das Dayton-Friedensabkommen von Führern der Konfliktparteien Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien in Paris unterzeichnet. Es folgte auf die im November stattgefundenen Verhandlungen in Dayton, Ohio. Unter der Vermittlung der USA beendete dieser Prozess den Bosnienkrieg. Das Land, das drei Jahre zuvor noch Teilrepublik von Jugoslawien war, war abgespalten und wurde aufgeteilt.

 

Fazit: An Kriegstreibern herrscht derzeit kein Mangel. Nur die Planstelle des Weltpolizisten blieb bisher unbesetzt. Oder wie Mark Twain zu sagen pflegte:

„Man vergisst vielleicht, wo man die Friedenspfeife vergraben hat. Aber man vergisst niemals, wo das Beil liegt.“