Gastbeitrag von Gabor Steingart - Olaf Scholz verdient auch mal ein Lob – das wird ihm nur nicht mehr helfen
Es ist unpopulär, den aktuellen Bundeskanzler zu loben. Doch Olaf Scholz beweist in der Sicherheitspolitik eine ungeahnte Standfestigkeit. Die kommenden Wahlniederlagen wird das aber nicht abwenden.
Nicht nur Politiker, auch Journalisten wollen beliebt sein. Die Frage, die man sich in den Redaktionsstuben daher stellt, ist eine opportunistische: Darf man einen deutschen Bundeskanzler, der keine Gelegenheit auslässt, sich bei den Deutschen unbeliebt zu machen, überhaupt noch loben?
Wenn es im Journalismus mit rechten Dingen zuginge, was es nicht überall tut, kann es darauf nur eine Antwort geben: Man muss es tun, wenn es die Sache gebietet. Keiner macht nur Fehler, nicht mal Olaf Scholz.
Womit wir bei der Sicherheits- und Rüstungspolitik wären, wo der SPD-Kanzler seinem Vor-Vor-Vor-Vorgänger Helmut Schmidt immer ähnlicher wird. Wenige Wochen vor den drei Landtagswahlen in Ostdeutschland, wo Putin beliebter scheint als Scholz, bringt er seine pazifistisch gesinnten Parteifreunde zu Bette und bekennt sich zu einer Politik der militärischen Stärke.
# 1 Nachrüstung jetzt
Ohne mit der Wimper zu zucken, hat Scholz der Stationierung amerikanischer Raketen in Deutschland zugestimmt und nun auch die Parteispitze auf Linie gebracht. Am Rande des Nato-Gipfels im Juli gab er Joe Biden sein Wort, dass ab 2026 Marschflugkörper in Deutschland stationiert werden dürfen, die bis tief in das russische Territorium reichen.
In der „Friedenspartei SPD“ rumorte es. Fraktionschef Rolf Mützenich warnte vor der „Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation“. Die SPD-Linke nickte.
Diese Debatte hat Scholz in dieser Woche beendet. Das SPD-Präsidium befürwortet – als sei nichts gewesen – in einem gemeinsamen Beschlusspapier die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen ab 2026 in Deutschland:
„Als SPD übernehmen wir Verantwortung dafür, dass kein Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wieder Krieg erleben muss. Die Vereinbarung der SPD-geführten Bundesregierung mit der US-Administration, ab 2026 US-amerikanische Raketen mit größerer Reichweite in Deutschland zu stationieren, ist dafür ein wichtiger Baustein.“
# 2 Der richtige Mann zur richtigen Zeit
Olaf Scholz hat mit Boris Pistorius einen Mann zum Verteidigungsminister berufen, der sich in der Ahnengalerie der großen Verteidigungsminister von Helmut Schmidt (1969-1972) über Georg Leber (1972-1978) bis zu Manfred Wörner (1982-1988) sehen lassen kann. Pistorius stieg zum populärsten Politiker des Landes auf, ohne populistisch zu sein.
Der Kanzler hat ihn nicht nur berufen, sondern ihn auch mit den notwendigen Budgetmitteln ausgestattet. 53,25 Milliarden Euro sind für die Verteidigung im Haushaltsentwurf 2025 vorgesehen. Damit wurde der reguläre Etat zwar nicht um die geforderten 6,5 Milliarden aufgestockt, aber immerhin trotz Sparzwang erweitert.
Hinzu kommt das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, mit dem Pistorius erstmals die 2014 mit der Nato vereinbarte Zielmarke von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben erreicht. Und das soll, laut Scholz, auch so bleiben:
„Der Verteidigungsminister kann sich darauf verlassen, dass diese zwei Prozent bereitgestellt werden.“
„Er hat meine Unterstützung, für das, was er vorhat und das, was er tut.“
# 3 Das Rollback des Aggressors
Auch die Ukraine kann – mittlerweile – auf Scholz zählen. Der Mann, der mit 5000 Helmen in den Konflikt gestartet war, hat jetzt seine Zustimmung gegeben, dass die ukrainische Armee russisches Territorium betreten und den Aggressor zurückdrängen darf. Damit hat der Ukrainekrieg eine entscheidende Wendung erfahren: Putin befindet sich erstmals in der Defensive.
Westlichen Angaben zufolge hält die Ukraine ein Territorium von 1000 Quadratkilometern besetzt, das also der doppelten Größe des Bodensees entspricht. Der amtierende Gouverneur der Region Kursk, Alexej Smirnow, macht aus seiner Not kein Geheimnis:
„Um die Folgen des Eindringens feindlicher Kräfte in die Region zu beseitigen, habe ich beschlossen, den Ausnahmezustand auszurufen.“
132.000 Menschen haben das Gebiet und die benachbarte Region Belgorod bereits verlassen; Russland arbeitet derzeit an der Evakuierung weiterer 60.000 Menschen.
Die Stimmung in Russland könnte jetzt kippen, wenn sie das nicht schon längst ist. Der ukrainische Verteidigungsminister schätzt, dass bisher etwa eine halbe Million russische Soldaten im Einsatz waren. Zwischen 100.000 und 150.000 von ihnen sind laut verschiedenen Schätzungen im Kampf gefallen.
Derselbe Scholz, der zunächst zögerte, in die direkte Auseinandersetzung mit Putin zu gehen, hat seine Entscheidung getroffen. Verbal bleibt er gemäßigt. Aber auf dem Gefechtsfeld hält er jetzt mit Geld, Waffen und politischer Unterstützung für Selenskyj dagegen.
Fazit: Seine Wahlniederlagen in Ostdeutschland und auch bei der Bundestagswahl wird Scholz damit vermutlich nicht abwenden können. Aber er verleiht seiner politischen Existenz erstmals jene Festigkeit, die ihm bisher fehlte. Wenn Scholz fällt, dann weiß man jetzt wenigstens, wofür er gestanden hat.