Gastbeitrag von Gabor Steingart - Das Scheinduell zwischen Merz und Scholz zeigt das wahre Dilemma von SPD und CDU
CDU und SPD setzen auf Scholz und Merz, doch ihr altbackener Stil könnte ihnen zum Verhängnis werden. Moderne Politik braucht mehr als Erfahrung. Was die beiden Volksparteien verbindet und wozu es führen wird.
Der Kampf gegen den Populismus hat in Deutschland offenbar zu einem Missverständnis geführt: In den Gremien der etablierten Parteien glaubt man, als Gegenmodell zum Populisten gehöre jetzt der vorsätzlich Unpopuläre auf die Bühne: nicht laut, aber langweilig.
Womit wir bei Olaf Scholz und Friedrich Merz wären. Beide Volksparteien schicken sich an, die nachweislich unbeliebtesten Politiker ihrer Truppe ins Rennen zu schicken, in der Annahme, Merz kämpfe gegen Scholz und Scholz gegen Merz.
Das strategische Dilemma von SPD und CDU
Doch das Duell der Aktentaschen fällt aus. Denn beide müssen sich im wahren Leben gegen Sahra Wagenknecht und Alice Weidel behaupten. Die AfD-Chefin ist für konservative Wähler eine Versuchung, so wie Sahra Wagenknecht der SPD erst die Show und dann die Stimmen streitig macht.
Darin besteht das strategische Dilemma der beiden Volksparteien: Die stehenden Heere von CDU und SPD haben die Speere aufeinander ausgerichtet, derweil sie von hinten angegriffen werden.
Auf diesen Zweifrontenkrieg sind die beiden Spitzenkandidaten denkbar schlecht vorbereitet, denn sie verkörpern jeder auf seine Art die alte Bundesrepublik, die gerade im Nebel der Geschichte verschwindet.
Zwei in die Jahre gekommene Juristen
Zwei in die Jahre gekommene Juristen, denen Charme und Lässigkeit im Laufe ihres Berufslebens abhandengekommen sind, treten an zum letzten Gefecht ihrer Karriere. Den Stock, den beide verschluckt haben, hat derselbe Schreiner geliefert. Hartholz, einmal in Rot und einmal in Schwarz lackiert.
Offiziell ist jeder für den anderen der Herausforderer, in Wahrheit aber die Rettung. Denn CDU und SPD können sich nur noch gemeinsam an der Macht halten. Rechnerisch dürfte es vielleicht noch für die CDU zusammen mit den Grünen reichen, aber das ist bloß Theorie.
Grün und Schwarz stoßen sich innerlich ab. Es gibt da – anders als von vielen Hauptstadt-Journalisten erträumt – keinen Magnetismus, der für die Wählerinnen und Wähler funktioniert.
Auch Lars Klingbeil und Kevin Kühnert sind ins Grübeln geraten
Im Fall der SPD ist noch offen, ob man wirklich mit einem Kanzler, der beim Publikum durchgefallen ist, noch mal antreten soll. Auch Lars Klingbeil und Kevin Kühnert sind ins Grübeln geraten. Ihr Vorteil: Mit Verteidigungsminister Boris Pistorius steht Deutschlands beliebtester Politiker bereits in der Garderobe. Sobald die Regie ihm einen Wink gibt, könnte er die Bühne betreten.
Spätestens dann würde auffallen, dass Merz der falsche Mann zur falschen Zeit ist. Er überzeugt die Überzeugten. In einer Zeit, in der es um politische Kreativität und bündnispolitische Flexibilität geht, hat er der Laufkundschaft wenig zu bieten.
Früher war die Beurteilung von Politikern eine reine Geschmackssache. Im Zeitalter der Demoskopie gibt es keine Geheimnisse mehr. Der Politiker Friedrich Merz ist von allen Seiten – und das seit Jahrzehnten – vermessen.
Daher weiß man: Die Zielgruppe von Friedrich Merz lebt im ländlichen Raum, ist christlich, männlich und älter als 60 Jahre.
Und was man auch weiß: Sein öffentliches Erscheinungsbild ist seit Jahrzehnten unverändert. Ihm ist es in all den Jahren seiner politischen und dann wirtschaftlichen Tätigkeit nicht gelungen, die engere Zielgruppe zu erweitern. Selbst von der AfD – obwohl Fleisch vom Fleisch der Union – zieht er keine Stimmen.
Alter ist wie in den USA auch hier das beherrschende Tuschel-Thema
Natürlich ist das Alter genauso wie in den USA auch hier das beherrschende Tuschel-Thema, nicht in der Tagesschau, aber am Küchentisch. Merz ist der Dinosaurier, der im Jurassic Park der Parteipolitik überlebt hat. Alle Dax-Kapitäne seiner BlackRock-Zeit wurden mittlerweile abgelöst.
Der wertvollste deutsche Konzern, die SAP in Walldorf, wird von einem Anfang 40-Jährigen geführt und die Deutsche Bank von einem Mitte 50-Jährigen, derweil Friedrich Merz kurz nach der Bundestagswahl 2025 seinen 70. Geburtstag feiert.
Auch in den erfolgreichen deutschen Familienunternehmen – bei den Familien Sixt, von Metzler, Grupp, Miele (Ende des Jahres) und Oetker hat längst ein Generationenwechsel stattgefunden. Wenn man heute im Mittelstand über „die Nachfolgeproblematik“ spricht, meint man jene Fälle, wo der verdiente Senior möglichst stilvoll in den Beirat bugsiert werden soll.
Es gibt keine einzige deutsche Firma, wo man den Senior von der Gartenbank holt und auf den Chefsessel setzt. Warum die CDU glaubt, ihren Senior in die umgekehrte Richtung bewegen zu müssen, bleibt unverständlich. Man hat das Gefühl, im Konrad-Adenauer-Haus laufen die Uhren rückwärts.
Fazit: Mit Scholz und Merz sind die beiden Volksparteien im Irrtum vereint. Beide werden den Populismus in Deutschland nicht bekämpfen, sondern befeuern. Und am Ende – diese Prognose sei zwölf Monate vor der Bundestagswahl gewagt – fallen CDU und SPD einander in die Arme. Von allen großen Koalitionen droht Deutschland die kleinste. Das verbindende Element: die Erschöpfung.