Gastbeitrag von Gabor Steingart - Scholz und Baerbock sind nur Mitläufer der Geschichte – das hat fatale Folgen

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)<span class="copyright">The Pioneer</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)The Pioneer

Einst gab es Kanzler, die selbstbewusst Geschichte geschrieben haben. Diese Zeiten sind mit Scholz und seiner Ampel-Regierung vorbei. Vier Beispiele zeigen, wie der Kanzler Deutschland damit schrumpft.

Auch das eigene Land kann einem fremd sein. Zum Beispiel dann, wenn es seine Interessen in der Welt nur noch im Flüsterton vertritt. Oder gar nicht.

Hier ist zuerst der Kanzler gemeint, der die selbstbewusste Tradition seiner Vorgänger abreißen ließ. Zur Erinnerung: Bundeskanzler Brandt beendete den Kalten Krieg in Europa und setzte seine Entspannungspolitik durch – auch gegen den zunächst zögerlichen John F. Kennedy.

Bundeskanzler Kohl vollendete die deutsche Einheit, indem er die Amerikaner mit seinem Zehn-Punkte-Plan überraschte und Franzosen und Briten ausmanövrierte.

Bundeskanzler Schröder war der erste, der den Amerikanern zum Entsetzen von George W. Bush die militärische Gefolgschaft versagte:

„Unter meiner Führung wird es eine deutsche Beteiligung an einem Krieg im Irak nicht geben.“

Olaf Scholz ist ein Mitläufer der Geschichte

Diese außenpolitische Selbstständigkeit ist verloren gegangen – im strategischen Denken wie auch in der Praxis. Olaf Scholz ist nicht der Gestalter von Geschichte, sondern ihr Mitläufer.

Aber Scholz – und deshalb ragt die Problematik über ihn hinaus – ist in seiner Mitläuferschaft nicht allein. Er läuft im Team. Die Außenministerin, wichtige Wirtschaftsführer und auch einige der Präsidenten der Wirtschaftsverbände sind mit ihm im Gleichschritt unterwegs.

Der wenig schmeichelhafte Befund: Unterwürfigkeit gegenüber den USA, Passivität im Umgang mit Russland, Arroganz gegenüber China und Leisetreterei in Brüssel. In der Addition ergeben sich ein Reputationsverlust und ein nicht unerheblicher Schaden für die deutsche Volkswirtschaft und ihre Beschäftigten. Hier die Sachverhalte im Einzelnen:

#1 Keine diplomatische Friedensoffensive im europäischen Krieg

Im Ukrainekrieg ist der Punkt erreicht, an dem das westliche Europa eine diplomatische Offensive starten müsste. Die Ausgangslage ist günstig, da die ukrainische Armee mittlerweile auch russisches Territorium besetzt hält.

Allen Militärexperten ist klar: Aggressor Russland kann dank der westlichen Waffenbrüderschaft die gesamte Ukraine niemals besetzen, so wie die überfallene Ukraine ihrerseits die Russen im Donbass und in den Regionen Cherson und Saporischschja aus eigener Kraft nicht vor die Tür setzen kann.

Der Konflikt ist festgefroren. Dieser befestigte Boden ist das Fundament, auf dem jetzt Friedensverhandlungen stattfinden müssten.

Scholz ist nicht für den Aggressor Putin verantwortlich. Aber er ist verantwortlich dafür, dass er selbst keine diplomatische Idee entwickelt, den Krieg vor unserer Haustür zu beenden. Wer auf die Amerikaner wartet, entmündigt sich selbst.

#2 Kein Widerspruch zum amerikanischen Decoupling

Die von Donald Trump entwickelte Politik einer Entkopplung des Westens vom chinesischen Wirtschaftskreislauf wurde von Biden und Harris übernommen. Deren Kalkül ist politisch nachvollziehbar: Da Trump den Strongman spielt, wollen sie nicht nachgiebig erscheinen.

Für Deutschland gelten andere Spielregeln. Das von Amerika gewollte Decoupling verstößt gegen fundamentale Interessen der deutschen Volkswirtschaft. Das Geschäftsmodell der Bundesrepublik ist der Export.

Deutschland lebt davon, dass es Automobile, Kraftwerke, Produkte des Maschinen- und Anlagenbaus und Wertstoffe der chemischen Industrie verkauft – auch und insbesondere an eine Nation, die aus 1,4 Milliarden Menschen besteht, deren Kaufkraft in hohem Tempo wächst. Das Abnicken der amerikanischen Anti-China-Politik kommt die deutschen Industriearbeiter teuer zu stehen.

#3 Deutsche Arroganz gegenüber China

Dass es sich bei der Volksrepublik China um eine kommunistische Autokratie mit angeschlossenem Staatskapitalismus handelt, ist unbestritten. Aber seit der China-Reise von Richard Nixon und Henry Kissinger und der Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping hatte sich der Westen mit dieser Weltmacht im Werden arrangiert. Der Handel blühte auf.

Die Tatsache, dass Deutschland jetzt nicht nur den amerikanischen Schwenk mitvollzieht, sondern auch noch begonnen hat, die Chinesen moralisch zu belehren, muss verstören. Ein Land, das zwei Weltkriege lostrat, beginnt 70 Jahre später, globalen Ethikunterricht zu erteilen. Ausgerechnet im rechtspopulistischen Fox-TV der USA nennt Annalena Baerbock den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping einen „Diktator“.

BDI-Präsident Siegfried Russwurm und Olaf Scholz veredeln das amerikanische Decoupling neuerdings zum „De-Risking“. Der Verbandschef findet es sogar gut, dass die Politik neuerdings „geopolitische Risiken betont“.

#4 Kein Widerstand gegen das Verbrenner-Verbot

Die Passivität von Politik und Wirtschaft in Deutschland wiegt an dieser Stelle am schwersten, weil ohne Zustimmung der Deutschen das Verbrenner-Aus niemals hätte beschlossen werden können. Bundesumweltministerin Steffi Lemke jubelte sogar:

„Die Entscheidung ist eine klare Weichenstellung für wirkungsvollen Klimaschutz im Verkehr.“

Das Verbot einer fossil betriebenen Technologie, die auf der ganzen Welt nachgefragt wird, in Deutschland erfunden wurde und bislang den Kern vom Kern des deutschen Wohlstandes bildete, bleibt das Mysterium der deutschen Politik. Die auf Drängen der FDP erzielte Zulassung von E-Fuels hat die Härte des Beschlusses gelindert, nicht geheilt.

Es handelt sich um die größte Zerstörung industrieller Kapazitäten in Friedenszeiten. Zumal der Beschluss des Europaparlaments (Februar 2023) und Europarats (März 2023), der ab 2035 die Neuzulassung von fossil betriebenen Verbrennerfahrzeugen in Europa unter Strafe stellt, zu strategischen Fehlentscheidungen bei Volkswagen führte, die für den geplanten Jobabbau in Wolfsburg und anderswo mitverantwortlich sind.

Fazit: Unterwürfigkeit gegenüber den USA und Duckmäusertum in Europa werden nicht dadurch geadelt, dass man sich auf die nationale Sicherheit beruft. Gemeinsamkeit, die durch Akte des Souveränitätsverzichts erkauft wird, ist nicht viel wert. Oder um es mit Thomas Jefferson zu sagen:

„Eine Nation, die bereit ist, ein wenig Freiheit für ein wenig Sicherheit aufzugeben, verdient weder das eine noch das andere.“