Gastbeitrag von Gabor Steingart - Scholz' Machtverlust lässt nur eine bittere Schlussfolgerung zu

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)Christoph Reichwein/dpa-Pool/dpa

Olaf Scholz erlebt einen rapiden Autoritätsverlust, während drohende Wahlniederlagen und interne Unstimmigkeiten in der Ampelkoalition die Wiederwahl des Bundeskanzlers in weite Ferne rücken lassen.

  • Im Video: „Olaf Scholz beschädigt den Rechtsstaat und verspielt das Vertrauen der Bürger“

Der Bundeskanzler steht am Beginn einer neuen Woche des Missvergnügens. Es gibt, wenn man vom engsten Arbeitsumfeld absieht (bestehend aus Kanzleramtsminister Schmidt, Wirtschaftsberater Kukies und Regierungssprecher Hebestreit), in Berlin keine Scholzianer mehr.

Der Autoritätsverfall des Regierungschefs hat sich im Lichte der Haushaltsdebatte und im Schatten drohender Niederlagen in Sachsen und Thüringen nochmals beschleunigt. Hier die sechs Treiber einer Entwicklung, die mit vielem enden kann, nur nicht mit seiner Wiederwahl:

1. Haushalt: die Einigung, die keine ist

Der Vorrat der Gemeinsamkeiten innerhalb der Ampelkoalition ist aufgebraucht. Das Unvermögen zum Kompromiss findet in dem Zahlenwerk, das Kanzler, Vizekanzler und Finanzminister nun dem Parlament überstellt haben, sein weithin sichtbares Zeichen.

Das Problem der Koalition in einem Satz: Sie muss sparen, aber sie will nicht sparen.

Der von den Nachrichtenagenturen fälschlicherweise mit der Überschrift „Einigung im Haushaltsstreit“ versehene Sachverhalt ist keine Einigung, sondern eine Kapitulationsurkunde. Denn trotz der Buchungstricks, so werden Milliarden-Zuschüsse an die Bahn AG jetzt als „Eigenkapitalerhöhung“ und als „Darlehen“ deklariert, besitzt der Bundeshaushalt eine Unterdeckung von zwölf Milliarden Euro. Das entspricht in seiner Größenordnung dem Etat der Familienministerin.

Diese fehlenden zwölf Milliarden sollen nun die einfachen Abgeordneten im Bundestag aufspüren. Das gleicht einer „Mission Impossible“ angesichts der Tatsache, dass die Koalitionäre sich wie feindliche Heere hinter befestigten Stellungen verschanzt haben.

2. Woidke: der SPD-Ministerpräsident, der „Scholz? – Nein, danke“ sagt

Der brandenburgische Ministerpräsident hat deutlich gemacht, dass er auf Olaf Scholz keine Lust mehr hat. Auf die einfache Frage des Handelsblatt, ob er gemeinsame Wahlkampfauftritte mit dem Bundeskanzler plane und ob diese ihm helfen könnten, sagte er frei heraus „nein“ und schob zur Begründung gleich zwei Gemeinheiten hinterher:

„Wir haben sieben Landtagswahlen gewonnen, wir wollen auch die achte gewinnen.“

Und:

„Hilfe heißt ja helfen.“

In Woidke wirkt die Europawahl nach, als sich Scholz – in völliger Verkennung seiner Unbeliebtheit – auf den Wahlplakaten platzierte. Damit machte er die Wahl zum Plebiszit über sich und fuhr für die SPD das schlechteste Europawahlergebnis aller Zeiten ein.

3. Lindner: der loyale Partner, der zum Gegenspieler wurde

Der Finanzminister, der den Bundeskanzler vor zwei Jahren noch zu seiner Hochzeit nach Sylt einlud, lebt heute auf Distanz zum Regierungschef. Olaf Scholz hat sich aus Sicht des Finanzministeriums als ineffizient erwiesen, da er die mit ihm verabredeten Kürzungsvolumina innerhalb der Koalition nicht durchsetzen konnte.

Stattdessen ließ er die Diskussion um die Schuldenbremse auflodern, die seitens der Grünen und aus der SPD-Fraktion heraus lustvoll befeuert wurde. Auch die Tatsache, dass der Haushalt 2024 mit den im Kanzleramt designten Umbuchungstricks vom obersten Verfassungsgericht kassiert wurde, hat Lindner dem Kanzler nicht verziehen.

Das werde ihm kein zweites Mal passieren, sagt er im ZDF-Sommerinterview. Bewaffnet mit zwei Gutachten zog der Finanzminister gegen den Kanzler zu Felde – was als neuerlicher Reputationsverlust bei Scholz zu Buche schlug.

4. Habeck: der Vize, der sein Momentum verlor

Robert Habeck ist nicht mehr der Alte, womit Scholz das wichtigste Zugpferd seiner Regierung verloren hat. Habeck 1.0 war der wortgewandte und sympathische Philosoph aus dem Norden, der erst spät in die Politik fand und in der Wirtschaft zunächst auf Wohlwollen stieß.

Doch diesen Habeck gibt es nicht mehr. Der Wirtschafts- und Klimaminister hat im Zuge persönlicher Affären und politischer Fehler sein Momentum verloren. Die Wirtschaft will von ihm nichts mehr hören. Der Kanzler und sein Vize werden als die zwei Triebwerke einer ins Trudeln geratenen Regierungsmaschine wahrgenommen.

Dass der Stellvertreter sich nichts sehnlicher wünscht, als im Amte des grünen Kanzlerkandidaten gegen seinen Chef bei der Bundestagswahl in den Ring zu steigen, bedeutet für Scholz einen weiteren Autoritätsverlust. Kellner gegen Koch: Das wäre einem Gerhard Schröder nicht passiert.

5. Wagenknecht: die Frau, die im Osten als Scholz-Alternative antritt

Die frühe Prognose der SPD, Sahra Wagenknecht würde vor allem der AfD Stimmen abjagen, war keine Prognose, sondern eine Hoffnung. Sie ist nicht in Erfüllung gegangen.

Ausweislich aller demoskopischen Erhebungen – jüngst der des Forsa-Instituts von Manfred Güllner – fischt die ehemalige Linke Wagenknecht, wie zuvor ihr Ehemann Oskar Lafontaine, im Teich der SPD. Sie erreicht das klassische Arbeitermilieu, das die SPD nach und nach aufgegeben hat. Güllners Befund:

„Jeder vierte jetzige Anhänger des BSW in Ost wie West hat zuvor die SPD gewählt.“

6. Klingbeil: die Anti-Rechts-Kampagne, die zur Stärkung der Rechten führte

Der Kampf gegen Rechts ist für den Bundeskanzler nach hinten losgegangen. Die permanente Stigmatisierung der AfD durch SPD, ARD, ZDF und den Verfassungsschutz hat den Rechtspopulisten mehr genutzt als geschadet. Und sie hat, sagt der NS-Forscher und Antisemitismus-Experte Götz Aly, die Verbrechen des NS-Staates im Interesse eines erhofften innenpolitischen Vorteils relativiert.

Der Kampf gegen Rechts ist zur Chiffre geworden, um die inhaltlichen Anliegen der AfD-Wähler – als da wären die Unzufriedenheit mit der Zuwanderung, die innere Unsicherheit und die deutsche Unterstützung im Ukraine-Krieg – zu negieren. Polemik sollte Politik ersetzen.

Mittlerweile hat die SPD-Führung ihre Herausforderer von der AfD reihum als Nazis und Faschisten bezeichnet. Selbst der Spiegel, der nicht müde wird, Hitler/Höcke-Vergleiche anzustellen, hat seine Zweifel, ob das jenseits der Überzeugten noch jemanden überzeugt. Lothar Gorris und Tobias Rapp schreiben am Ende ihrer aktuellen Titelgeschichte:

„Man darf, das hat ein Gericht in Meiningen verfügt, Höcke einen Faschisten nennen. Die Frage bleibt, was man davon hat.“

 

Fazit: Die Geschichte des Olaf Scholz ist die Geschichte fortgesetzter Autoritätsverluste. Vieles ist in den kommenden Monaten denkbar, nur kein Happy End.