Gastbeitrag von Gabor Steingart - Scholz' SPD muss nicht verzweifeln - sondern einen Blick ins Ausland werfen
Auch, wenn es sich für manch einen anders anfühlen mag: Sozialdemokraten sind nicht dabei, auf dem Scheiterhaufen der Geschichte zu landen. Im Ausland zeigt sich, warum.
Im öffentlichen Diskurs hat man das Gefühl: Die Welt marschiert im Gleichschritt nach rechts. Noch vor Buddhismus, Christentum und Islam steigt der Populismus zur neuen Weltreligion auf.
Richtig ist: Trump, Netanjahu, Erdoğan, Meloni, Orbán und womöglich bald auch Marine Le Pen und Kickl haben in ihren Ländern das Sagen. Und die AfD rangiert vor der SPD auf Platz 2: Alice für Deutschland.
Mindestens genauso bemerkenswert: Sozialisten und Sozialdemokraten sind dennoch nicht dabei, auf dem Scheiterhaufen der Geschichte zu landen. Sie haben sich auch nicht „zu Tode gesiegt“, wie Ralf Dahrendorf 1983 schrieb, als er leichtfertig „das Ende des sozialdemokratischen Zeitalters“ ausrief.
SPD sollte Blick ins Ausland richten
Offenbar besitzt das Wahlvolk länderübergreifend ein Gefühl für Balance. Der Mensch braucht zum guten Leben immer zwei: Zwei Beine, zwei Ohren, zwei Herzkammern und zwei politische Glaubensrichtungen braucht er auch.
Wenn also die deutsche SPD, die ausweislich der Meinungsumfragen von CDU, AfD und Grünen abgehängt wurde, ihren Slogan vom „lebenslangen Lernen“ ernst nimmt, muss sie nicht verzweifeln, nur lernen. Und den Blick ins Ausland richten.
Hier die wichtigsten Länder, in denen sozialdemokratische Kandidaten Wahlerfolge erzielten – und die Gründe warum:
Großbritannien: Stabilität und Erneuerung
Keir Starmer und seine Labour-Partei beendeten vergangenes Jahr die 14-jährige Herrschaft der Konservativen. Was mit Verzagtheit begann, endete mit einem Erdrutschsieg. 412 vs. 121 Sitze im britischen Unterhaus war das Resultat. Ein euphorisierter Starmer versprach ein „Jahrzehnt nationaler Erneuerung“. Die britischen Populisten erlebten mitten in Großbritannien ihr Waterloo.
Das Rezept des Wahlsiegers war die bedingungslose Abgrenzung von der vorangegangenen britischen Politik. Es reichte, einen Kontrast zum Brexit und den vier Tory-Premiers zu bieten, darunter Theresa May, von der nur ihr Parteitagstanz („Dancing Queen“) blieb, der Polit-Clown Boris Johnson und die Kurzfrist-Regierungschefin Liz Truss (45 Tage).
Starmer polemisierte gegen das „conservative chaos“, warb etwas ungelenk für eine gemäßigte Variante der Veränderung („Let’s get Britain’s future back“) und rückte seine Partei in die Mitte, so dass wie unter Tony Blair auch Arbeiter und kleine Angestellte für Labour votieren konnten. Der linke Springteufel Jeremy Corbyn hatte sie einst vertrieben.
Brasilien: Sozialstaat und Wachstum
Die Wahl von Luiz Inácio Lula da Silva, dem Chef der Partido dos Trabalhadores, bedeutete das Ende des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro. Die Themen von Lula, der aus der Arbeiterbewegung stammt und 2011 abgewählt wurde, waren plötzlich wieder populär. Kein Zufall: Der Ausbau des Sozialstaates (Null-Hunger-Programm) ist in einem Land mit steigender Ernährungsunsicherheit kein Hobby, sondern eine Notwendigkeit.
In Kombination mit seinem breiten Bündnis gegen Bolsonaro – Lula machte den Mitte-Rechts-Gouverneur und ehemaligen Wahlgegner Geraldo Alckmin zu seinem Vize – wurde sein Versprechen des „Wiederaufbaus Brasiliens“ und von „Frieden und Einigkeit“ glaubwürdig.
Dänemark: Flüchtlingspolitik neu denken
Seit fast zehn Jahren ist Mette Frederiksen Vorsitzende der dänischen Sozialdemokraten und seit 2019 Ministerpräsidentin. Im Herbst 2022 erreichte sie das beste Ergebnis der Sozialdemokraten seit über zwei Jahrzehnten: Sie holte 27,5 Prozent der Stimmen, so dass Olaf Scholz noch heute auf dem Fährschiff Color Line einchecken sollte, um ihr einen Besuch abzustatten.
Spektakulär war vor allem ihr Schwenk in der Asylpolitik: Sie initiierte Sammellager für Asylbewerber, reduzierte Bargeld- auf Sachleistungen und setzte eine maximale Quote „nicht-westlicher Ausländer“ von 30 Prozent in allen dänischen Stadtteilen ab 2030 in Kraft.
Mit dieser restriktiven Asylpolitik deklassierte sie die Rechtspopulisten der Dänischen Volkspartei. Deren Prozente schnurrten von 23,4 auf 13,3 Prozent zusammen.
Norwegen: „Jetzt sind die normalen Leute dran.“
Auch die sozialdemokratischen Nachbarn im hohen Norden verstehen es, Wahlen zu gewinnen. So konnte die „Arbeiderpartiet“ unter Jonas Gahr Støre die konservative Ministerpräsidentin Erna Solberg bei der Wahl 2021 ablösen.
Das Ergebnis: Zwar hat die Arbeiterpartei gut einen Prozentpunkt im Vergleich zur vorherigen Wahl verloren, konnte aber mit 26,3 Prozent trotzdem deutlich vor der konservativen Høyre (20,4 Prozent) gewinnen. Denn die verloren rund fünf Prozent.
Normalos vor: Nach acht Jahren unter der konservativen Høyre-Regierung standen 2021 vor allem soziale Ungleichheit, Verteilungsgerechtigkeit und der Klimawandel im Mittelpunkt der Wahlkampagne. Støres Slogan: !Jetzt sind die normalen Leute dran."
Dafür versprach Støre, die Steuern von Arbeitern, die weniger als 74.000 Euro jährlich verdienen, zu senken und stattdessen die Vermögenssteuer zu erhöhen. Das kam gut an – außer bei den Vermögenden.
Klimapolitik für Kluge: Mit Blick auf das Klima hat sich die Arbeiterpartei zwar verpflichtet, die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken, allerdings ohne die Ölförderung zu reduzieren. Denn die Ölmilliarden fließen in den 1,8 Billionen Dollar großen Staatsfonds, der für die Zeit vorsorgen soll, in der die Ölreserven ausgeschöpft sind.
Mexiko: Sozialdemokratie pur
Die Wahl in Mexiko im Juni 2024 endete als Fest der Sozialdemokratie – und der Frauen. Die beiden erfolgreichsten Parteien sind sozialdemokratisch ausgerichtet, beide schickten Frauen ins Rennen um das Präsidentenamt. Haushoch gewonnen hat Claudia Sheinbaums „Bewegung Nationaler Erneuerung“ mit 60,7 Prozent der Stimmen. Die Sozialdemokratin steht links der Mitte und regiert mit Linken und Grünen.
Sheinbaum ist eine politische Ziehtochter des ehemaligen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador. Ihre Erneuerungs-Partei will vor allem seine erfolgreiche Sozialpolitik fortsetzen: Er setzte einen höheren Mindestlohn und die staatliche Grundrente durch.
Als Physikerin will Sheinbaum zudem die erneuerbaren Energien ausbauen. In ihrer ersten Rede als Präsidentin machte sie zudem klar: „Es ist Zeit für Transformation, es ist Zeit für Frauen.“
Fazit: Will der deutsche SPD-Kanzler nicht an einer Überdosis Sauertöpfigkeit krepieren, muss er sich dringend Amphetamine aus dem Ausland besorgen. Das hilft womöglich nicht mehr, aber hellt die Stimmung der SPD-Wahlkämpfer auf. Politik, sagt Peter Sloterdijk, ist ohnehin nur „die Heilkunde für das Unheilbare.“