Gastbeitrag von Gabor Steingart - Selbst wenn die Ampel will – die Migrationswende ist zum Scheitern verurteilt

Innenministerin Nancy Faeser und Bundeskanzler Olaf Scholz<span class="copyright">The Pioneer</span>
Innenministerin Nancy Faeser und Bundeskanzler Olaf ScholzThe Pioneer

Die Wahlschlappen haben die Ampel zum Umdenken in der Migrationspolitik gezwungen. Doch schnelle Erfolge sind selbst bei politischem Willen unmöglich. Sechs Punkte offenbaren, warum die Wende nur scheitern kann.

Der Migrationsdruck auf das deutsche Staatsgebiet ist weiterhin hoch: Pro Abschiebung rückten im ersten Halbjahr 2024 17 Flüchtlinge nach.

Die gute Nachricht: Erstmals seit ihrem Bestehen beschäftigt sich die Ampel-Regierung ernsthaft mit der illegalen Migration und wie diese zu stoppen ist. Die Wahlschlappen haben SPD, FDP und Grüne hellhörig gemacht.

Die schlechte Nachricht: Durch Verträge zur grenzüberschreitenden Freizügigkeit und den hoch entwickelten Wohlfahrtsstaat wurden in Deutschland Mechanismen installiert, die schnelle Erfolge unmöglich machen. Das Scheitern der deutschen Migrationspolitik in sechs Kapiteln.

#1 Deutschland lockt Migranten weltweit an

Es sind nicht allein politische Verfolgung, Krieg oder die Furcht vor Hungersnot, die Menschen nach Deutschland migrieren lassen. Eine der Ursachen für die Immigration gründet darin, dass die Bundesrepublik sich großzügiger gegenüber Flüchtlingen zeigt als alle anderen Staaten der Erde.

 

Jeder alleinstehende Neuankömmling (Bedarfsstufe 1) erhält vom Staat nach dem Asylbewerberleistungsgesetz monatlich Sachleistungen oder Geld in Höhe von 460 Euro. Wird dem Asylantrag stattgegeben, besteht ein Anrecht auf weitere Sozialleistungen wie das Bürgergeld. Derzeit ist fast jeder zweite Bürgergeldempfänger kein deutscher Staatsbürger.

Hinzu kommt: Deutschland bietet einen kostenfreien Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem, großzügige Regeln für den Familiennachzug und den erleichterten Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft. In Summe sind das wichtige Pull-Faktoren, die zu einer erhöhten Attraktivität der Bundesrepublik führen.

#2 Im Abkommen von Schengen wurden die Grenzkontrollen abgeschafft

Deutschland hat neun Nachbarländer und ist Teil des Schengen-Raums, der bisher keine Grenzkontrollen innerhalb der Mitgliedsstaaten vorsah. Dadurch konnten Migranten problemlos von einem EU-Land in ein anderes reisen. Immerhin: Die Innenministerin hat jetzt für sechs Monate stichprobenartige systematische Grenzkontrollen angeordnet.

Damit darf von der Bundespolizei zwar wieder nach Name, Pass und Visa gefragt werden. Aber eine Zurückweisung von Asylbewerbern an einer EU-Binnengrenze ist laut Europarecht grundsätzlich verboten. Der Asylantrag ist somit die Eintrittskarte.

#3 Rückführungen funktionieren nur in homöopathischen Dosen

Bindende Abkommen zur Rückführung illegaler Flüchtlinge hat Deutschland mit Indien, Georgien und jetzt Kenia und Usbekistan abgeschlossen. Weitere Abkommen sind mit der Republik Moldau, Kirgisistan und den Philippinen in Vorbereitung. Mit Marokko und Kolumbien bestehen mündliche Übereinkünfte. Mit Ghana wird gesprochen.

Die bisherigen Abkommen funktionieren, sind aber trotzdem wenig effektiv, weil aus diesen Ländern nur wenige ausreisepflichtige Menschen in Deutschland leben. Aus Kenia sind etwa 800 Menschen geduldet, aber ausreisepflichtig. Das am Sonntag unterzeichnete Abkommen mit Usbekistan betrifft nur 203 Usbeken in Deutschland.

Insgesamt stammten nach Berechnungen des Mediendienstes Integration gerade einmal 5,9 Prozent der gesamten Asylanträge 2023 aus Ländern, mit denen Deutschland Migrationsvereinbarungen unterhält.

#4 Die wichtigsten Flüchtlingsländer bleiben außen vor

Rückführungen abgelehnter Asylbewerber aus Ländern wie Afghanistan, Syrien oder dem Irak gelingen kaum und werden auch in Zukunft nicht gelingen. Denn: Abkommen mit diesen Ländern sind kaum möglich. Mit Afghanistan und Syrien etwa bestehen keine diplomatischen Beziehungen. Aus Afghanistan kamen 2023 rund 16 Prozent aller Erst-Asylbewerber. Aus Syrien stammten 31 Prozent.

#5 Die deutsche Asyl-Bürokratie arbeitet nur im Schneckentempo

2023 gab es insgesamt rund 352.000 Asylanträge, davon 329.000 Erstanträge. Die Bearbeitung dauerte im ersten Halbjahr 2024 rund acht Monate.

Wenn die Anträge abgelehnt werden, können die Menschen in den Status der „Duldung“ wechseln. Stand Juni 2024 waren in Deutschland 226.882 Menschen ausreisepflichtig. Nur 44.155 davon sind „unmittelbar ausreisepflichtig“. Der Rest, also rund 80 Prozent, besitzt eine Duldung.

Im ersten Halbjahr 2024 wurden 9.465 Menschen aus Deutschland abgeschoben. Das heißt: Von den unmittelbar Ausreisepflichtigen, die sofort das Land verlassen sollen, wurden in den vergangenen sechs Monaten nur knapp 20 Prozent abgeschoben.

#6 Die meisten EU-Staaten arbeiten gegen Deutschland

Illegale Einreisen durch sichere Drittstaaten sind gang und gäbe und werden von den dortigen Regierungen auch unterstützt. Laut der Dublin-III-Verordnung müssten diese in dem ersten sicheren Land, das sie betreten, Asyl beantragen. In der Praxis funktioniert das nicht, weil diese Länder die Flüchtlinge gerne nach Deutschland weiterschicken.

 

Fazit: Der Gedanke der europäischen Solidargemeinschaft wird proklamiert, aber nicht gelebt. Das bedeutet: Der deutsche Nationalstaat muss seine Funktionsfähigkeit unter Beweis stellen – notfalls allein.