Ferngesteuerte Explosionen - Todes-Signal an tausende Pager: Was wir über Israels geheimen Großangriff wissen
Bei einer geheimen Spreng-Aktion wurden im Libanon tausende Menschen verletzt. Die technischen Details der Pager-Attacke sind noch unbekannt. Doch der israelische Geheimdienst scheint tief in die Aktion involviert zu sein.
Neue Eskalation in Nahost: Durch die ferngesteuerte Explosion hunderter Funkgeräte , sogenannter Pagern, sind gestern im Libanon 2.750 Menschen verletzt und neun Menschen getötet worden. Der Angriff ereignete sich um 15.30 Uhr Ortszeit. Die Opferzahlen stammen vom libanesischen Gesundheitsministerium.
1. Wo hat sich der Anschlag genau ereignet?
Die Explosionen betrafen mehrere Gebiete im Libanon, insbesondere die südlichen Vororte Beiruts. Aus Syrien wird ebenfalls von Pager-Explosionen berichtet. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtet von 14 Verletzten.
2. Wie geht es den Opfern?
Aus dem Libanon wird vom Transport blutverschmierter Verletzter, Panik in den Straßen Beiruts und Menschen, die sich vor dem Telefonieren fürchten, berichtet. Die Opfer leiden hauptsächlich unter Verletzungen an den Händen, dem Bauch und im Gesicht, sagte ein Sprecher des libanesischen Gesundheitsministeriums.
Mindestens 200 Menschen befinden sich in kritischem Zustand. Das Gesundheitsministerium rief die Krankenhäuser zu höchster Alarmbereitschaft und die Bevölkerung zu Blutspenden auf. Bisher wurden in etwa hundert Krankenhäusern Verletzte aufgenommen.
Der Angriff zielte vor allem auf Kämpfer der Hisbollah-Miliz ab. Unter den Todesopfern befindet sich ein achtjähriges Mädchen aus der Bekaa-Ebene.
Auch der iranische Botschafter im Libanon, Modschtaba Amani, wurde verletzt. Ein Leibwächter des Diplomaten habe ein solches Gerät bei sich getragen. Laut Angaben der Botschaft habe Amani nur leichte Verletzungen erlitten und befinde sich in einem guten Gesundheitszustand.
3. Wie hat dieser Angriff technisch funktioniert?
Die manipulierten Funkgeräte soll die Miliz erst vor wenigen Tagen erhalten haben, berichtet das Wall Street Journal und bezieht sich auf eine mit der Angelegenheit vertraute Person. Die Hisbollah hat ihre Kommunikation seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober von Smartphones auf ältere Kommunikationsmittel umgestellt.
Laut Nachrichtenagentur Reuters wurden insgesamt 5000 Geräte manipuliert. Die Pager, die die Hisbollah bei Gold Apollo in Taiwan bestellt hatte, waren nach Angaben von US-Beamten manipuliert worden, bevor sie den Libanon erreichten, wie die New York Times berichtet. Insidern zufolge sei bereits bei der Produktion eine kleine Menge Sprengstoff versteckt worden.
Der Gründer von Gold Apollo, Hsu Ching-Kuang, wies Vorwürfe zurück, sein Unternehmen habe die bei den Explosionen verwendeten Pager hergestellt. Laut Hsu wurden die Pager von einer Firma in Europa gebaut, die das Recht habe, die Marke der taiwanesischen Firma zu verwenden. Den Namen der Firma nannte er zunächst nicht. Später bestätigte das Unternehmen, dass die Geräte von der in Ungarn ansässigen Firma BAC gefertigt worden waren.
Bei den meisten handelte es sich um das Modell AP924 des Unternehmens, aber auch drei andere Modelle von Gold Apollo waren in der Lieferung enthalten. Diese wurde laut „New York Times“ abgefangen. Eine der Hisbollah nahestehende Quelle sagte der Nachrichtenagentur AFP hingegen, dass die Pager „an der Quelle sabotiert“ worden seien.
Hat Israel das Pager-Unternehmen eigens für den Angriff aufgebaut?
Um neue Pager mit Sprengsätzen zu versehen, „hätte Israel Zugang zur Lieferkette dieser Geräte gebraucht“, sagt der in Brüssel ansässige Militär- und Sicherheitsexperte Elijah Magnier. Der israelische Geheimdienst habe also offenbar „den Produktionsprozess infiltriert, eine explosive Komponente und Fernzündemechanismen in die Pager eingebaut, ohne Verdacht zu erregen“. Der unheimliche Verdacht: Laut Magnier könnte es sich bei dem Anbieter der Pager sogar um ein Unternehmen gehandelt haben, das der israelische Geheimdienst eigens dafür aufgebaut hat.
Der Sprengstoff, der nur rund 50 Gramm wiegt, wurde neben der Batterie in jeden Pager implantiert, so zwei der Beamten. Wie der Sprengstoff gezündet wurde, ist noch unklar: Es könnte ein Schalter eingebaut worden sein, der aus der Ferne ausgelöst werden konnte. Denkbar ist aber auch eine programmierte Zündung zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Um 15.30 Uhr empfingen die Pager im Libanon eine Nachricht, die scheinbar von der Hisbollah-Führung stammte, so zwei der Beamten. Stattdessen aktivierte die Nachricht den Sprengstoff.
4. Hat sich jemand zu dem Anschlag bekannt?
Das israelische Militär hat sich nicht zu dem Anschlag geäußert. Doch nach Angaben von verschiedenen US-Beamten habe der israelische Sicherheitsapparat die Sprengladungen platziert und die Explosionen ausgelöst.
Die libanesische Regierung und die Hisbollah machen den Nachbarstaat offen für den Anschlag verantwortlich. Der libanesische Premierminister Najib Mikati nannte die Aktion eine „kriminelle israelische Aggression“. Die Hisbollah erklärte:
„Wir machen den israelischen Feind in vollem Umfang für diesen kriminellen Angriff verantwortlich, der zum Märtyrertod mehrerer Menschen führte, Zivilisten traf und eine große Anzahl von Menschen verletzte.“
Die Vorgeschichte: Erst am Montag drohte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu der Hisbollah mit einer Reaktion auf ihre Angriffe in Nordisrael. Dort hatte die Terrorgruppe mit Raketenangriffen die Evakuierung von zehntausenden Israelis ausgelöst, denen Netanjahu nun „die sichere Rückkehr“ in ihre Häuser versprach. Deshalb erwäge er einen größeren Militäreinsatz gegen die Terrormiliz, ließ sein Büro am Montag mitteilen.
Der Anschlag würde in ein altes Muster von Israel passen: 1996 tötete der Inlandsgeheimdienst Schin Bet einen Hamas-Militär in Gaza. Dazu wurde der hochexplosive Militärsprengstoff RDX in ein präpariertes Mobiltelefon gegeben.
5. Wie reagierte die Hisbollah?
Die Hisbollah teilte mit:
„Dieser kriminelle und verräterische Feind wird auf jeden Fall eine gerechte Strafe für diesen sündhaften Angriff erhalten, sowohl in erwarteter als auch in unerwarteter Weise.“
Experten erwarten, dass es in absehbarer Zeit zu weiteren und möglicherweise intensiveren militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah kommen könnte.
Maha Yahya, Direktorin des Carnegie Middle East Center in Beirut, stellt fest:
„Die Hisbollah sitzt zwischen allen Stühlen. Sie hat im letzten Jahr buchstäblich eine Tracht Prügel bezogen. Sie haben mehr als 450 Mitglieder der Organisation verloren, ihre Infrastruktur wurde erheblich beschädigt – und jetzt das.“
Der libanesische Außenminister Abdallah Bou Habib erklärte, das Land bereite sich nun auf einen großen Gegenschlag der Hisbollah vor:
„Wenn Israel glaubt, dass es dadurch seine Vertriebenen aus dem Norden Israels zurückbringen kann, irrt es sich. Das eskaliert diesen Krieg.“
6. Wie hat die Welt auf diesen Anschlag reagiert?
Matthew Miller, der Sprecher des US-Außenministeriums, sagte, die Vereinigten Staaten seien weder in den offenbar koordinierten Angriff im Libanon verwickelt noch hätten sie irgendeine Vorankündigung darüber erhalten. „Zu diesem Zeitpunkt sammeln wir Informationen“, sagte er.
Die Vereinten Nationen zeigten sich über die Entwicklungen extrem besorgt. Man bedauere die zivilen Opfer, sagt UN-Sprecher Stephane Dujarric. Es bestehe das Risiko einer Eskalation im Libanon. Die Lage sei extrem volatil.
Die Airlines der Lufthansa Group setzten mit sofortiger Wirkung alle Verbindungen von und nach Tel Aviv sowie in die iranische Hauptstadt Teheran aus. Der gesamte israelische und der iranische Luftraum würden bis einschließlich Donnerstag umflogen. Air France gab bekannt, dass die Flüge nach Tel Aviv und in die libanesische Hauptstadt Beirut eingestellt worden seien.
7. Und Deutschland?
Aus Berlin blieb es bislang still.